DRAMA: D, 2013
Regie: Frauke Finsterwalder
Darsteller: Christoph Bach, Margit Carstensen, Corinna Harfouch, Sandra Hüller, Carla Juri
Verliebte Fußpfleger, Polizisten im Bärenkostüm, stumme Einsiedler, reiche Schnösel, die keine Nazi-Autos fahren wollen und verzogene Privatschüler auf dem Weg zum KZ-Besuch: Irgendwo auf einer deutschen Autobahn werden sich die Schicksale dieser Menschen ineinander verstricken ...
Das Licht geht aus, der Film beginnt. Und ich bin ratlos. DAS soll also dieser hochgelobte deutsche Debut-Film sein, der sich auf praktisch jeder Jahresbestenliste meiner deutschen Film-Freunde wiederfand?
Bis jetzt - es sind wohl schon 25 Minuten vergangen - beobachte ich zunehmend irritiert das Treiben eines Ensembles, zu dessen Figuren ich keinen Zugang finde: Ich habe nämlich ein Problem mit gewollt skurrilen, kauzigen Charakteren, die einem alleine aufgrund ihrer Skurrilität und Kauzigkeit ans Herz wachsen sollen. Diese kalkuliert-aufdringliche Trademark-Warmherzigkeit, sie kann mir den Buckel runter rutschen. Und das Publikum, das bei jeder "lustigen" Szene so genau so wissend lacht wie der Klassenstreber, der als Einziger einen ach-so gescheiten Witz seines Lateinlehrers verstanden hat, gleich dazu.
Aber wie lautet das Elfte Gebot? Du sollst dich nicht täuschen. Dieses kleine hinterhältige Biest von einem Film macht sich nämlich einen höllischen Spaß daraus, sein Publikum auf falsche Fährten zu locken. Irgendwann, ungefähr zur Hälfte der Laufzeit, sind die nervigen akademischen Haha-Lacher nämlich abrupt verstummt. Die Heiterkeit im Saal ist schleichender Verunsicherung gewichen, die Verunsicherung schließlich blankem Entsetzen.
Verantwortlich dafür ist eine wahrlich unfassbare Szene. Vielleicht die ärgste und beklemmendste Szene, die man sich in einem deutschen Film vorstellen kann. Und die hier selbstverständlich nicht gespoilert wird - im Gegensatz zu fast allen Rezensionen, die ich bislang gelesen habe.
Danach ist nichts mehr, wie es vorher war.
Die Regisseurin Frauke Finsterwald lebt mit ihrem Mann, dem Literaten Christian Kracht, der auch das Drehbuch schrieb, in Afrika. Als sie nach langer Zeit Deutschland wieder besuchte und auf der Autobahn aus dem Fenster blickte, empfand sie Angst und Befremden.
So entstand dieser Film über Deutschland, über ganz spezifisch deutsche Befindlichkeiten.
Diese Sache mit dem Deusch-Sein - das ist zumindest mein Eindruck als gelernter Österreicher-"Schluchtenscheißer", muss mit einer gehörigen Portion Ekel und Selbsthass einhergehen. Oder, wie es der Rezensent des "Spiegel" viel schöner ausdrückt, als ich es je könnte: "Finsterworld gelingt ein Kino-Vexierbild, in dem mit atemberaubender Schnelligkeit und Souveränität Liebe in Hass, Bekenntnis in Zurückweisung, Menschlichkeit in Barbarei und Identität in einen Scherbenhaufen umschlägt."
Gute Schauspieler, eine seltsam entrückte, surreale Bildsprache - seit wann scheint in Deutschland eigentlich immer die Sonne? - und schließlich der minimalistische Soundtrack von Michaela Melián (FSK) sorgen für ein Kinoerlebnis, das in Erinnerung bleiben wird.
Finsterworld - ein Filmtitel wie ein Versprechen, das nach längerer Anlaufzeit auch eingelöst wird. Mit der unfassbarsten Szene, die je in einem deutschen Film zu sehen war. Entfernt vergleichbar mit den Arbeiten eines Ulrich Seidl -der im Film übrigens auch namentlich erwähnt wird - macht sich dieser tragikomische Episodenfilm daran, die deutsche Seele zu erkunden - und blickt dabei in - nona - finstere Abgründe.