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Faust

Faust

DRAMA: Russland, 2011
Regie: Alexander Sokurow
Darsteller: Johannes Zeiler, Anton Adassinsky, Isolda Dychauk, Georg Friedrich, Hanna Schygulla

STORY:

Eine postmoderne Interpretation des Faust-Stoffes, eine alte Volkssage in der europäischen Literatur, wo ein Mann seine Seele an den Teufel verkauft, um seine Ziele zu erreichen.

KRITIK:

Eine Kritik über eine Faust-Verfilmung zu verfassen ist in einem deutschsprachigen Land, wo jeder Schüler mit dem Stoff gequält und in der Folge in den meisten Fällen verschreckt wurde, keine leichte Aufgabe.

Diejenigen, die den Teufelspakt nicht als Leitmotiv der Moderne und somit als faszinierende Gedankenfigur, welche als Voraussetzung für ein modernes Leben aus einer eben vormodernen Sicht steht, verstanden haben, werden wahrscheinlich schon beim Titel, die aus Schülerzeiten ankonditionierten Gefühlswallungen oder eine schale Gleichgültigkeit erfahren.

Tja, tut mir leid für euch, denn ich konnte es kaum erwarten diesen Film zu sehen. Aber ist die Vorfreude der "Fans" auch berechtigt, die ja möglicherweise angesichts des Regiegiganten und Tarkowskystudenten Alexander Sokurow ("Russian Ark", "Vater und Sohn") am Stuhl in vielleicht unrealistische Höhen getrieben wurde. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht.

Hauptdarsteller Johannes Zeiler meinte, für Sokurow ist das ein wahrlich rasanter Film. Ohne ein allzu großer Kenner seines Werkes zu sein, stimme ich da jetzt einfach zu. Aber das Schöne an diesem Sokurow ist ja, dass er einer der Regisseure ist, die sich erfreulich wenig um Sehgewohnheiten scheren. Wenn man sich seine Filme ansieht, dann ja gerade um eine geistige / ästhetische / dramaturgische Herausforderung zu erleben.

Das mag jetzt daher Neugierigen und Neueinsteigern den Versuch erleichtern, aber meiner Meinung nach gereicht das dem Film weder zum Vor- noch zum Nachteil. Ich würde sogar sagen, der Film leidet ein wenig unter ein paar falschen Entscheidungen, die von seinen Machern getroffen wurden. Einerseits haben wir da ein ausgeprägtes Problem bei der Visualität des Films. Als Besonderheit und (vermutliche) Hommage an das frühe Kino wurde das 4:3 Bildformat gewählt.

Schade sag ich nur, denn das nimmt dem Film viel visuelle Kraft. Es hat schon einen Grund, warum Breitbilder sich durchgesetzt haben. Sie zeigen mehr Information, sind daher vielschichtiger und entsprechen dem menschlichen Blickfeld besser. Es schmerzt ein wenig in dieses Quasiquadrat hineinschauen zu müssen wie durch ein Schlüsselloch. Außerdem verfügte der Film über ein stattliches Budget und tolle Sets, eine mittelalterliche Stadt und die Weiten Islands, die durch diese beengten Bilder und den Überhang an Nahaufnahmen ihrer Wirkung beraubt wurden.

Der Film läuft nun einmal gemächlich, und da hat man viel Zeit sich die Bilder und Bildfolgen anzusehen. Und so bemerkt man viele Schlampigkeiten im Schnitt, wo viele Einstellungen doch recht willkürlich und disharmonisch aufeinander zu folgen scheinen.

Der zweite große Problemkomplex des Films ist der Ton. Sokurow wollte mit russischen und deutschen Darstellern einen deutschsprachigen Film drehen. Da die Sprachen aber so unterschiedlich sind und daher Dialoge nicht so einfach synchronisiert werden konnten, musste man dazu übergehen, den gesamten Film nachzuvertonen. Resultat ist ein befremdliches Eigenleben des Tons, welches eine Diskrepanz zwischen Dialogen und Figuren erzeugt und letztlich an Tiefe nimmt.

Darüber hinaus wurde die Musik auch extrem eigenartig eingesetzt, ich nehme an wiederum als Hommage an das frühe Kino, wo Stummfilme einfach mit Dauermusik unterlegt wurden. So fiedelt und brabbelt es auch hier unentwegt vor sich hin, was einfach störend und unprofessionell wirkt. Wenn also Darren Aronofsky in Venedig als Kopf der Jury davon sprach, dass dieser Faust einer der wenigen Filme ist, die das Leben des Zusehers für immer verändern, dann muss ich sagen, schon möglich, aber sicher nicht für ein deutschsprachiges Publikum, welches einfach "versteht" wie künstlich und zusammengeschustert und daher verkümmert die auditive Seele dieses Films ist.

Daher muss ich jetzt sagen, dass dieser Film auf der ästhetischen Ebene gescheitert ist. So eine Art Transformers 3 im Kunstfilmbereich, wo der Regisseur die Größe seiner Vision einfach nicht zusammenhalten konnte. Trotzdem, und jetzt kommt endlich mal die gute Nachricht, ist dieser Faust kein misslungener Film, denn er bietet auf der anderen Seite eine ganze Menge an Schätzen, die ihn sehr sehenswert machen.

Allen voran die Schauspieler. Schauspielhausensemblemitglied Johannes Zeiler als grimmig-intensiver Faust, der russische Tänzer und Schauspieler Anton Adassinsky als mephistophelisch-verschlagener Wucherer, die deutsch-russische Schauspielerin Isolda Dychauk als lolitamäßiges Gretchen und der unvergleichliche Georg Friedrich als Möchtegernthronfolger und Faustschüler Wagner spielen sich gegenseitig inbrünstig und oft im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand.

Das kann auch der befremdliche Ton nicht verhindern. Das wahrlich interessanteste Element dieser Verfilmung ist jedoch die, ich sag jetzt einfach postmoderne, das passt immer, Interpretation des Fauststoffes. Irgendetwas ist passiert mit der Menschheit im Zuge der Moderne. So sehr sie auch eine Befreiung von alten Zwängen und Fesseln war, so sehr hat sie ihm auch seine Unschuld geraubt. Der Teufelspakt wurde vom letzten Ausweg zur Lebenseinstellung.

Mit dem Verlust der Scham konnte zwar die Freiheit gewonnen werden, doch liefert sich diese ein seitdem ewiges Gefecht auf schmalem Grat mit der Würde des Menschen. Die extremste Ausformung dieses Prozesses erleben wir bei der gegenwärtigen Finanzkrise. Sprangen beim Börsencrash 1929 die Banker noch aus dem Fenster, so kämpften sie im Jahre 2008 um ihre Boni.

Es schien früher eine Art Pakt mit Gott zu geben, einen den es heute in vielen nichtwestlichen Kulturen immer noch zu geben scheint, am Leben nur festzuhalten, wenn man seine Würde behalten hat, wenn man moralisch das Recht dazu hat. Ansonsten verdient man es nicht zu leben. Heute hat jeder Mensch in der westlichen Welt das Recht zu leben, er hat das Recht sich nicht zu schämen, er hat das Recht in Schande zu leben. Er hat sogar das Recht, die Schande nicht mehr als solche wahrzunehmen. Das ist der Fortschritt der Moderne, das kann aber auch ein Rückschritt sein, wie (post?)moderne Banker, Politiker und sonstige Menschen immer wieder beweisen.

Sokurows Faust ist ein vergnügungssüchtiger Egomane, der einen Dreck auf den Pakt gibt. Gretchen ist eine kleine Schlampe, welche die Gretchenfrage nur noch formhalber stellt, sich aber nicht lange bitten bzw. verführen lassen muss. Der Wucherer (natürlich ist der Teufel heutzutage quasi Banker) ist ein listiges, ungeliebtes und entstelltes altes Männchen, welches leidenschafts- und eigentlich ziellos seine Mitmenschen in immer höhere Schulden und Kredite verstrickt, einfach nur weil es geht, nicht um damit irgend etwas zu erreichen.

Das hört sich jetzt alles so schlimm an, aber ich sage nur: Seht! Seht euch an. Das sind wir. Das sind (post?)moderne Menschen, die es als wohlerworbenes Recht betrachten das eigene Vergnügen zu maximieren. Sollen wir uns deswegen schämen? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ist Alexander Sokurow ein gemeiner Konservativer? Weiß ich auch nicht. Aber er ist ein großartiger Moralist. Das kann man mit Sicherheit sagen.

Faust Bild 1
Faust Bild 2
Faust Bild 3
Faust Bild 4
Faust Bild 5
Faust Bild 6
FAZIT:

Auch in dieser bis dato wahrscheinlich modernsten Filmversion des Faustmythos bleibt das Motiv des Teufelpaktes eines der faszinierendsten Ausformungen menschlichen Strebens. Regiegigant Alexander Sokurow leistet sich zwar ästhetisch gesehen einen brutalen Ausrutscher, fängt diesen aber durch überragende Schauspieler und einen erfrischenden Zugang zum Stoff auf. Wer also nach Kino mit ein bisschen geistiger Tiefe lechzt, sollte diese Chance nicht verpassen. Endlich mal wieder ein Film, über den es sich ein bisschen nachzudenken lohnt. Das tut echt gut.

WERTUNG: 7 von 10 listigen Verführungen
TEXT © Ralph Zlabinger
Dein Kommentar >>
Onkel Bodo | 05.04.2015 10:01
Dieser Film hat mich ehrlich überrascht. Überwältigend echte Kulisse , hervorragende schauspielerische Leistungen und eine interessante neue, aber erfrischende Interpretation dieses alten aber sehr anspruchsvollen Stoffes. Danke für diesen großartigen Film !
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Lena | 24.01.2012 15:24
"Teufelspakt als Leitmotiv der Moderne" - wow! *grübel*
Deine Rezensionen werden im Lauf der Jahre immer besser. Muss man jetzt echt mal sagen. Wobei gemeine Konservative Meiner Meinung nach keine "grossartigen Moralisten" sein können, aber ich muss mir den Film natürlich erst anschauen.
Harald | 24.01.2012 16:19
ich find's lustig, dass du "Meiner Meinung" nach mit großem M schreibst ;-)
Als Beispiel für einen Konservativen und großartigen Moralisten würde mir jetzt Clint Eastwood einfallen.
Lena | 25.01.2012 01:52
Ui, keine Absicht! ;-)
Aber Eastwood ist ja auch kein "gemeiner"
Konservativer ... glaub ich zumindestens.
Und stimmt schon, Konservativismus und Moralismus
passen natürlich gut zusammen, allerdings arbeiten
die halt oft mit so einem klassischen biblischen
(und oft bigottem) Gut-Böse-Schema, dass ich sie
nicht großartig, im Sinn von überzeugend, finde.
Ralph | 25.01.2012 11:05
Danke schön. Aber ich möchte wie immer darazf verweisen, dass es der Film selbst ist, der etwas in dir bewegt, oder auch nicht. ;-)

Und mit "gemein" habe ich eigentlich die ursprüngliche Version des Wortes gemeint, was man heutzutage wahrscheinlich mit "gewöhnlich" übersetzen könnte. Klingt aber nicht so gut. ;-)
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nicky | 14.01.2012 21:48
Tolle Kritik! Sehr schön zu lesen.
Ralph | 14.01.2012 22:43
Danke. :)
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