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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Elle

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DRAMA: F/D, 2016
Regie: Paul Verhoeven
Darsteller: Isabelle Huppert, Alice Isaaz, Christian Berkel, Virginie Efira

STORY:

Michèle (Isabelle Huppert) ist Managerin einer Videogame-Firma, die in ihrer Villa von einem Maskierten vergewaltigt wird. Die Polizei will sie aber nicht einschalten. Michèle, die eine - gelinde gesagt - schwierige Kindheit hatte, findet ihre eigene Strategie, das Trauma zu bewältigen und dem Scheißkerl die Eier abzuschneiden (metaphorisch gemeint, aber bei Paul Verhoeven kann man sich da nie sicher sein) ...

KRITIK:

Bei Vergewaltigungen geht es bekanntlich nicht um Sex, sondern um gewalttätige Machtdemonstration und Unterwerfung des Opfers. Ich denke, wir sind alle uns einig, dass das kein Kavaliersdelikt darstellt, sondern eine schwere Straftat.

Aber sag das mal einem US-Präsidenten, der mit sexuellen Übergriffen prahlt. Sag das sogenannten Pick-up-Artists, Maskulinisten oder den Kotzbrocken von der "Make Rape Legal"-Bewegung. Sag das auch unseren Neo-Mitbürgern aus vormodernen Stamm-Clan-Sippe-Ehre-Gesellschaften, wo es mit "taharrush gamea" einen eigenen Begriff für organisierte sexuelle Übergriffe gibt. Sag das aber auch jenen Linken, die solche Phänomene relativieren und kleinreden, weil von Migranten verübte Verbrechen nicht ins Weltbild passen. Und die Opfer mit depperten Vergleichen a la "Am Oktoberfest passiert genau das selbe" verhöhnen. Und sag das umgekehrt den Rechten, die nach Köln ihr Herz für Frauenrechte entdeckt haben - natürlich nur, solange es gegen Migranten geht. Den Grapsch-Paragraphen zu unterschreiben weigern sie sich.

Mich macht das alles nur noch wütend. Weil ich ernsthaft angenommen hatte, wir wären zivilisatorisch schon weiter.

Vielleicht macht es sich Berufsprovokateur Paul Verhoeven etwas zu einfach, wenn er in Interviews betont, dass weder sein Film noch die Romanvorlage ( "Oh ..." von Philippe Djian) auf einen Diskurs über Vergewaltigung eingehen. 

Wie nicht anders erwartet, ist ELLE nicht gerade ein einfacher Film. Im Alter von 78 Jahren hat sich Verhoeven als französischer Autorenfilmer neu erfunden. Notgedrungen, denn ELLE war eigentlich als amerikanischer Film geplant. Aber lassen wir das Paul Verhoeven selbst erzählen:

"Es hat sich einfach keine amerikanische Schauspielerin über diese Rolle drüber getraut. Sie haben mir das nicht begründet, aber es war wohl einfach der Subtext, der ihnen zu heftig war. Wäre es nur ein Rachefilm gewesen, in dem sie ihren Vergewaltiger quält und umbringt, wäre das für amerikanische Verhältnisse völlig in Ordnung gewesen. Aber die Tatsache, dass sie das nicht tut, sondern dass etwas völlig anderes zwischen diesen beiden passiert, das ist so jenseits von allem, was eine amerikanische Schauspielerin bereit ist zu spielen. Alle Moral ist da beim Fenster raus, da ist Moral gar keine Kategorie mehr, auch wenn die Gründe für ihr Handeln mit ihrer Vergangenheit angedeutet sind. Aber es war wirklich unmöglich, diesen Film in den USA machen, weil mir alle A-Schauspielerinnen absagten."
(Aus einem Interview mit den Salzburger Nachrichten)

ELLE ist Verhoevens erster Film nach fast zehnjähriger Pause. Er könnte stilistisch nicht weiter von Filmen wie STARSHIP TROOPERS oder BASIC INSTINCT entfernt sein. ELLE ist ein französischer Arthouse-Film durch und durch und gleichzeitig eine Verhoeven'sche Parodie auf französische Arthouse-Filme. Er ist wie erwartet sehr dialoglastig (ich hatte meine Schwierigkeiten, den Untertiteln zu folgen), stilistisch unterkühlt und fast schon Haneke-mäßig reduziert, aber messerscharf und extrem gekonnt inszeniert. Ein radikales, in keiner Weise vorhersehbares Leinwanderlebnis, das zwischen grimmiger Härte und schwarzem Humor pendelt - und das durchaus im Wortsinne: Man achte auf die Geburt des Enkelkindes ...

Der Film wäre undenkbar ohne Isabelle Huppert, die laut Verhoeven viel weiter gegangen ist, als es das Drehbuch verlangt hätte, und einmal mehr beweist, dass sie zu den mutigsten Schauspielerinnen überhaupt zählt. "Kein Schamgefühl", sagt Michèle im Film einmal, "ist so stark, dass es uns an etwas hindern würde." Ich lasse das jetzt als würdigen Schlusssatz stehen.

Wer noch eine Analyse von ELLE aus feministischer Sicht lesen möchte, der/m sei dieser Viennale-Text auf orf.at empfohlen.

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FAZIT:

Amoralisch, doppelbödig, brutal, streckenweise aber auch irritierend lustig und stets verstörend: Mit 78 Jahren hat sich der ewige Regie-Provokateur Paul Verhoeven einmal mehr selbst übertroffen. ELLE ist eine messerscharfe Mischung aus Bourgeoisie-Satire, Krimi und Vergewaltigungsdrama und schon jetzt ein Kandidat für den ungewöhnlichsten Film des Jahres.

WERTUNG: 8/10
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