DRAMA: D, 2005
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Franka Potente, Nina Hoss, Martina Gedeck
Die lang erwartete Verfilmung von Michel Houellebecqs Roman Elementarteilchen
schildert die Geschichte zweier Halbbrüder, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten:
Michael (Christian Ulmen), der asexuelle Molekularbiologe, der wie besessen an seinem Lebenstraum,
dem Klonen von Menschen, arbeitet.
Und der sexsüchtige, aber frustrierte Deutschlehrer Bruno (Moritz Bleibtreu),
der zwanghaft über den Aufsätzen sener Schülerinnen masturbiert. Bis zum Nervenzusammenbruch.
Von ihrer esoterischen Hippie-Mutter (Nina Hoss) im Stich gelassen,
bleibt ihnen als einzige Gemeinsamkeit nur die lebenslange,
von kalter Einsamkeit bestimmte emotionale Leere ...
Da ist er also: Der Film, dem ich alter Houellebecq-Jünger regelrecht entgegen gefiebert hatte.
Das Buch habe ich ja seinerzeit in Rekordzeit verschlungen; mehr noch:
Houellebecqs angeblicher "Skandalroman" (ja ja) ist mir wochenlang im Hirn herum gespukt.
Und hat solche Kleinigkeiten wie meine Sicht auf Politik,
Gesellschaft, Paarbeziehungen und den Geschlechterkampf ziemlich auf den Kopf gestellt.
"Was die körperliche Liebe anging, machte ich mir keine Illusionen. Schönheit, Jugend, Kraft.
Die Kriterien der körperlichen Liebe sind dieselben wie bei den Nazis. Mit einem Wort, ich steckte ganz schön in der Scheiße."
Solche Sätze schreibt Houellebecq. Und stellt damit eine bemerkenswerte These auf: Das Prinzip
des Kapitalismus (die Reichen werden reicher, die Armen ärmer) breitet sich auf alle Lebensbereiche aus,
macht vor nichts Halt. Auch nicht vor Sex.
Nur die wenigen Schönen, Gesunden, Jungen und Reichen können sich den Luxus
eines erfüllten Sexlebens leisten.
Der große Rest, die weniger Attraktiven, die Älteren, die Schüchternen, die Durchschnitts-Loser wie du und ich,
gehen leer aus. Sie sind am freien Partnermarkt schlicht nicht konkurrenzfähig, wie Karl-Heinz Grasser wohl sagen würde.
Da bleibt nur Einsamkeit und Frustration. Willkommen in der Pornohölle, arme Wichser!
Nun hat Oskar Roehler, "Deutschlands unberechenbarster Filmemacher" (© profil), eine Verfilmung dieses
Buches gewagt.
Ein höchst mutiges Unterfangen, das natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Denn die Romanvorlage mit ihren genialen Gesellschafts-Analysen und seitenlangen pornographischen - ähm -
Ergüssen ist schlicht unverfilmbar.
Dementsprechend hart wurde der Film von diversen Kritikern auch in die Mangel genommen:
Es hagelte Verrisse en masse.
Einerseits stimmen die Vorwürfe, wonach der Film zu "oberflächlich", "glatt", zu "kommerziell", zu "warmherzig" ausgefallen wäre.
Und dann doch wieder nicht.
Im Grunde macht der Regisseur dort weiter, wo er mit seinem höchst sehenswerten Film Agnes und seine Brüder (2003) aufgehört hat.
Auch hier dreht sich wieder alles um Sex. Genauer gesagt: Um sexuelle Probleme.
Um Frustration, um Depressionen, um Einsamkeit, um die verzweifelte Suche nach Liebe.
Zwar bei weitem nicht mehr in der Radikalität, wie man sie von Roehlers früheren Filmen kennt.
(Fragt mal in der Videothek nach dem schönen Titel Suck my Dick).
Aber sehenswert ist dieses Werk dennoch.
Oskar Roehler schafft es, eine ganz eigentümliche Stimmung zu erzeugen,
die Christian Fuchs von FM4 treffend als
"Rosamunde Pilcher auf Anti-Depressiva und einem schweren Kater vom Vorabend" bezeichnet hat.
Klingt vielleicht seltsam. Ist aber durchaus reizvoll.
Genauso wie das traurige Happy End. Ja, richtig gelesen, es gibt ein trauriges Happy End,
das von der Romanvorlage stark abweicht.
Oskar Roehler ist nun mal Deutschlands unberechenbarster Filmemacher.
Nicht ganz fehlerfreie, aber interessante Film-Version eines an und für sich unverfilmbaren Stoffes. Nicht allzu verbitterte Houellebecq-Fans (gibt es die?) dürften zufrieden sein. Und Unbedarfte, die sich allein wegen der deutschen Allstar-Besetzung ins Kino verirrt haben, werden sich wundern, zu welchen hübschen Sauereien Moritz Bleibtreu fähig ist *g*.