THRILLER: GB, 2007
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel, Armin Müller-Stahl
Eine blutjunge Frau stirbt bei der Geburt ihres Babys in einem Londoner Krankenhaus. Die Hebamme Anna (Naomi Watts) will nach Angehörigen des Babys suchen. Ein Tagebuch in russischer Sprache bringt sie auf die Spur der lokalen Russenmafia: Ahnungslos rutscht die Frau in ein Netz aus Menschenhandel und moderner Sklaverei...
KRITIK:David Cronenberg ist endgültig im Mainstream angekommen, dachte ich mir angesichts der Menschenmenge, die sich Donnerstag Nachmittag in den viel zu kleinen Saal der Wiener Village Kinos drängte.
Das Internet-Filmmagazin dasmanifest.com formulierte es etwas griffiger:
"Vielleicht ist dies wirklich sogar der erste Cronenberg-Film, den man zusammen mit seiner Brigitte lesenden Kollegin, die wirklich nett ist, ansehen kann, ohne Angst haben zu müssen, einen leicht verstörenden Eindruck bei ihr zu hinterlassen Auch wenn sie drei, vier mal ein hörbares "Uff!" von sich gibt, er wird ihr gefallen, so wie ihr auch DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER damals gefallen hat."
Auf den ersten Blick erscheint Eastern Promises tatsächlich als der zugängstliche Film,
den Cronenberg, der Meister des abgründigen Body Horrors, je abgeliefert hat:
Das Drehbuch von Steve Knight, der auch die Vorlage zu Stephen Frears' unterschätztem London-Thriller Dirty Pretty Things
lieferte, fällt in die Kategorie "Klassische Thriller-Unterhaltung" (samt obligaten Twist im letzten Drittel).
Doch der Eindruck täuscht: Cronenberg bleibt nämlich dem Körperkino treu.
"Schuld" daran trägt die vielzitierte Sauna-Szene. Die hat es wahrlich in sich:
Viggo Mortensen kämpft da buchstäblich um sein Leben, nackt, in einem Dampfbad,
gegen zwei Killer mit krummen Messern in der Hand.
Diese unglaubliche Szene setzt neue Maßstäbe in Sachen Körpereinsatz und graphischer Gewaltdarstellung
in einem Eben-doch-nicht-Mainstream-Film. Aber lassen wir den Meister selbst zu Wort kommen:
In Eastern Promises gibt es zwar nicht viele Gewaltszenen, aber sie haben deshalb Wirkung, weil ich mit ihnen zeigen will, wie sie sich wirklich anfühlt. Wie es ist, als jemand zu leben, in dessen Leben Gewalt eine zentrale Rolle spielt. Ich werde also nicht wegschauen oder wegschneiden. Ich werde es ganz ausführlich zeigen. Ich nehme das Morden ernst. Es ist ein absoluter Akt der Zerstörung. Ich bin Atheist und glaube nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Es gibt eine Lebenskraft, die nicht ausgelöscht werden will.
(Aus einem Interview im Standard.)
Viel könnte man noch schreiben über die formale Schlichtheit und Klarheit der Bilder, die sich so wohltuend vom nervösen Schnitt- und CGI-Stakkato unterscheidet,
mit dem jüngere Filmemacher glauben, ihre Werke aufpimpen zu müssen.
Und dass die Schauspieler, allen voran der unglaublich gute Viggo Mortensen, Beachtliches leisten, versteht sich bei einem Cronenberg-Film ohnedies von selbst.
Dass Eastern Promises um diese Jahreszeit in die Kinos kommt, werte ich als cineastisches Weihnachtsgeschenk. Besser kann das ohnedies schon sehr starke Kinojahr 2007 nicht mehr ausklingen.
Auf seine alten Tage läuft David Cronenberg zur Höchstform auf: Der mehr als würdige Nachfolge-Film zum gefeierten A History of Violence begibt sich ins Milieu von kriminellen Exil-Russen in London. Thriller-Ballade meets Body-Horror, virtuos gespielt und in bestechender Klarheit in Szene gesetzt: Ein später Höhepunkt des Kinojahres 2007.