OT: Filth
DRAMA/KOMÖDIE: GB, 2013
Regie: Jon S. Baird
Darsteller: James McAvoy, Jamie Bell, Imogen Poots, Eddie Marsan
So ein rassistischer Mordfall in der Vorweihnachtszeit, der kann einem schon mal den Tag versauen. Besonders wenn man sich auf den Wochenend-Trip auf die Hamburger Reeperbahn gefreut hat. Und sollte die wohlverdiente Beförderung auf sich warten lassen, muss eben nachgeholfen werden: Niemand spinnt so elegante Intrigen, schläft so unverfroren mit den Frauen der Kollegen und schüttet anderen so lustige Pulverln in die Getränke wie Sergeant Bruce "Der Deckhengst" Robertson ...
Ein lieber Bekannter, der sich berufsmäßig sehr viele Filme ansieht, während ich im Büro sitze, hat mich gewarnt: Nein, FILTH (DRECKSAU) sei kein guter Film. Viel zu sehr verheddere sich der Regisseur in einer gewollt schrillen Nineties-Pop-Inszenierung, die mit dem Versuch, das Erfolgsrezept von TRAINSPOTTING anno 2013 noch einmal zu melken, einen gewaltigen - und gewaltig nervenden - Bauchfleck hinlegt.
Tatsächlich ist die Buchvorlage von Irvine Welsh, die ich damals praktisch in einem Zug verschlungen hatte, manischer und völlig unverfilmbarer Wahnsinn, an dem eigentlich jeder noch so talentierte Regisseur scheitern müsste. Ich hab mir lange überlegt, wer diesen tobenden Irrsinn von einem Kriminalroman, der eine ultra-vulgäre Fäkalsprache zur Kunstform erhebt und einen Bandwurm (!) als Erzähler einführt, einigermaßen krampffrei auf die Leinwand bringen könnte. Ben Wheatley möglicherweise. Dann würde der Film wohl A FILTHY FIELD IN SCOTLAND heißen und am /slash-Festival laufen ...
Die gute Nachricht: Der liebe Bekannte C. irrt ausnahmsweise; FILTH - Der Film ist nicht der befürchtete zweitklassige TRAINSPOTTING-Aufguss und auch mehr als nur eine 90-Minuten-Version von Prodigys berüchtigtem "Smack my Bitch-Up"-Video.
Nun gibt es ja nichts Dümmeres und Nerdigeres, als stur die Unterschiede zwischen Buch und Verfilmung aufzulisten und jede noch so kleine Abweichung als Verrat an der Literaturvorlage zu brandmarken. Aber genau das mache ich jetzt.
Dass Bruce, so heißt die titelgebende Drecksau im Film, seinen Kollegen und angeblich besten Freund nicht nach Amsterdam, sondern nach Hamburg verzarrt, werte ich als kleines Zugeständnis an die deutschen Co-Produzenten. Damit hat der Film auch einen Grund, Nenas "99 Luftballons" anzuspielen, was ja nie eine schlechte Idee ist, wie man aus BOOGIE NIGHTS weiß.
Schwerer wiegt hingegen, dass das Mordopfer vom Afro-Amerikaner zum japanischen Gaststudenten mutierte. Und dass damit ein nicht ganz unwichtiges erzählerisches Detail - nämlich das Mordmotiv! - einfach verschwindet. Fast unmöglich, näher auf diese Thematik einzugehen, ohne Entscheidendes zu spoilern. Nur so viel: Dass die Polizei gut beraten wäre, den Mörder in den eigenen Reihen zu suchen, wie es das Buch suggeriert, das schien den Filmemachern dann doch ein wenig zu brisant.
Der Roman von Irvine Welsh war ja auch ein wütender und polemischer Rundumschlag gegen einen als rassistisch, korrupt und exzessiv gewalttätig empfundenen Polizeiapparat. Die schottische Polizei versuchte damals gar (erfolglos), eine Verfügung gegen das Buch zu erwirken. Im Film aber wird die strukturelle, sozusagen system-immanente Polizeigewalt auf eine Einzelperson reduziert. Damit folgt der Film jener konservativen Sichtweise, wonach Polizeiübergriffe nicht systemisch bedingt wären, sondern stets die Schuld von einzelnen Beamten sind. Die berühmten "Schwarzen Schafe" halt, die es immer schon gegeben hat, jo mei, gegen die man leider nix machen kann ...
Trotzdem muss man unterm Strich ein positives Fazit ziehen. Erstaunlicherweise gelingt es Regisseur Jon S. Baird recht gut, die unbändige erzählerische Energie und den finsteren Witz der Vorlage in den Film zu übertragen. Selbst der Bandwurm hat es in den Film geschafft - wenn auch nur als Zitat. Seine Rolle als kommentierendes Gewissen übernimmt der irre Psychiater Dr. Rossi.
Die tragische Seite der Hauptfigur baut Baird überraschend stark aus. Ja, dieses kranke Durch-und-durch-Charakterschwein hat auch ein hilfsbereites, ein menschliches Gesicht, das sich in unerwarteten Momenten zeigt. Wie so oft sind es starke Frauenfiguren - die Kollegin Amanda (Imogen Poots, zuletzt in THE LOOK OF LOVE) und die alleinerziehende Mutter Mary (Joanne Froggatt) - , die an die Rest-Humanität in der Drecksau appellieren und - so sieht es zumindest aus - zum Rettungsanker werden könnten.
Gerade in diesen Momenten, in denen eine unerwartete Dosis an menschlicher Wärme ins Spiel kommt, könnte man glatt Mitleid mit dieser psychisch defekten, getriebenen Figur bekommen. An dieser Stelle ein großes Lob an den fantastischen Hauptdarsteller. Als Comicfilm-Skeptiker kannte ich ja James McAvoy bislang nicht wirklich; möglicherweise eine schwere Bildungslücke meinerseits.
Zurück zum Thema. Eine Rettung wird der Drecksau aber nicht zuteil; Läuterung oder gar ein Happy End: Ausgeschlossen. Die Abwärtsspirale dreht sich immer schneller, die Schinge um den Hals der Drecksau zieht sich unaufhaltsam zu, bis zum bitteren Ende ...
... bei dem sich der Film leider inszenatorisch mutwillig ins Knie schießt. Ich will nicht spoilern, aber direkt an das niederschmetternde Ende so ein halblustiges schweinisches Animationsfilmchen draufzuknallen, das tut weh. Und hat mich brutal aus der Stimmung rausgerissen. Als würde irgendein ach-so origineller DJ-Kasperl direkt nach einem Radiohead-Song das Kinderlied vom Wolf und den Schweinchen spielen ...
Erstaunlicherweise kommt der Film DRECKSAU der Tonlage der eigentlich unverfilmbaren Buchvorlage näher, als ich es für möglich gehalten habe. Grelles, lautes, mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit heischendes britisches Popkino, das die Grenzen des guten Geschmacks weit hinter sich lässt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.