DREHBUCH: USA, 2011
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller:
Djangos ohnehin mieserables Leben ist an einem Tiefpunkt angelangt. In einem Land in dem Sklaverei ein einträgliches Geschäft ist, wurde seine Frau auf Umwegen an den schmierigen und gefährlichen Monsieur Candie verkauft, während er selbst an weitere Sklaven gekettet zu einem Todesmarsch angetreten ist. Doch Rettung naht in Form des deutschen Zahnarztes/Kopfgeldjägers Dr. Schultz, der ihn rettet und zu seinem Partner macht.
Dr. Schultz lehrt Django alles, was ein waschechter Kopfgeldjäger können und wissen muss. Dann machen sie sich auf den Weg zu Candies Plantage um Djangos Frau zu befreien. Doch nicht alles verläuft nach Plan.
KRITIK:Es ist eines der großen ungeschriebenen Gesetze des Drehbuchschreibens, dass die ersten zehn Seiten die wichtigsten sind. Sie sind es die wirklich zählen. Die Leser, in der Regel unterbezahlte, überlastete Sklaven - womit wir in gewisser Weise gleich schon beim Thema wären - deren Schreibtische mit eingesandten Drehbüchern vollgepackt sind, deren Gewicht die Tischplatte beunruhigend durchbiegen dürfte, haben ein hartes Pensum zu schaffen. Ein Pensum das nicht zu schaffen ist, wenn man langsam liest. Und schon gar nicht dann, wenn man seine Zeit mit schlechten Drehbüchern verschwendet. Es liegt also in der Natur der Leser - und um das nochmal klar zu stellen, damit ist nicht Otto Normalverbraucher gemeint, denn er ist es nicht, der von dem Stoff überzeugt werden soll - schnell zu lesen. Doch auch schnell wird nur gelesen, was gut ist, spannend, das fesselt und den Leser sofort dazu bringt mehr erfahren zu wollen, ihn quasi zum Umblättern zwingt - ein wahrer page turner eben, wie es schlechtdeutsch so heißt. Sicherlich, es ist bereits das erste Wort auf der ersten Seite, das zählen sollte. Denn schließlich ist es nicht nur das Drehbuch, das man verkaufen möchte, man bietet auch sich selbst an, denn bei einem Drehbuch soll es nicht bleiben. Das erste Wort auf der ersten Seite jedoch entscheidet noch nicht darüber, ob das Drehbuch nun gelesen wird oder zusammen mit einer schier unglaublichen Menge anderer im Papierkorb landet und niemand anderer, als der chronisch überarbeitete, übermüdete Leser es je zu Gesicht bekommt. Es sind die ersten 10 Seiten, die zählen.
Nun hat es Quentin Tarantino sicherlich nicht nötig, die ersten 10 Seiten zu den Seiten zu machen, die alles entscheiden. Niemand würde ein Quentin Tarantino-Drehbuch ungelesen in den Papierkorb werfen oder es ablehnen, weil ihn die ersten 10 Seiten nicht gleich vom Hocker hauen - so unwahrscheinlich es auch sein mag, dass so etwas je passieren könnte. Der Name Quentin Tarantino ist einfach zu bekannt, steht für zu viel, als das solche feinen Details zu seinem Verhängnis werden könnten. Davon abgesehen, hat ein Tarantino es nicht nötig sein Drehbuch irgendwem zu verkaufen - nicht mehr. Ein Tarantino schreibt ein Drehbuch, und er verfilmt es. So läuft es, so hat es zu laufen.
Ich bin weiterhin auch ziemlich sicher, dass Quentin niemals von diesem ungeschriebenen Gesetz gehört haben dürfte. Zumindest nicht, als er noch in der Video Archives-Videothek hinterm Tresen stand, sein Geld verdiente, von einer Karriere beim Film träumte und sein erstes, wichtiges Drehbuch schrieb - ein Drehbuch das ob seines Umfangs aufgeteilt und in zwei verschiedene Geschichten, TRUE ROMANCE und NATURAL BORN KILLERS, umgearbeitet werden musste. Und dennoch besitzt Tarantino etwas, das man gemeinhin als Talent bezeichnen kann. Ein Talent, das dazu führt, dass eben diese ersten wichtigen 10 Seiten einschlagen wie eine Granate und den Leser sowie später im dunklen Kinosaal auch den Zuseher, fesseln. Noch wichtiger aber, weiter über diese 10 Seiten hinaus, eine Atmosphäre zu schaffen, die es einem unglaublich schwer macht, das Drehbuch auch nur für einen Moment beiseite zu legen. So war es bei TRUE ROMANCE, so war es bei PULP FICTION - um nur einige Stationen zu nennen - und so ist es nun auch wieder beim 168 Seiten starken DJANGO UNCHAINED.
Wie schon INGLOURIOUS BASTERDS zuvor, ist auch DJANGO UNCHAINED ein Remake. Remake eines Stoffes, den Tarantino liebt und verehrt. Doch kein simples Remake würde weder dem Können Tarantinos noch dem Originalstoff gerecht werden, nein so etwas schickt sich nicht. Was Tarantino tut und was ihm mit BASTERDS bereits einmal vorzüglich gelang, ist im Prinzip das gleiche, was auch Michael Bay und Marcus Nispel - ihres Zeichens Filmverbrecher erster Güte - mit FREITAG DER 13. versuchten. Einen bekannten Stoff in ein moderneres Gewand stecken, ihn gleichzeitig neu zu interpretieren und somit auch einem neuen, cineastisch ungeschulten Publikum zugänglich zu machen. Nun, was soll man sagen. Nispel und, vor allem, Bay mögen ein Talent haben, viel Geld mit möglichst seichten aber umso teureren Filmchen in die Kinokassen zu spülen. Was ihnen jedoch abgeht, ist das was Tarantino zu Hauf besitzt. Kreative Intelligenz nämlich. So schaffte er es einen simplen Kriegsploiter in ein vielschichtiges Kriegsdrama zu transformieren, dem die gnadenlose Coolness des Originals nicht abhanden kommt, nein, das sogar noch eins oben drauf legt.
Sergio Corbuccis DJANGO nun - für mich einer der Über-Western schlechthin und Karrierehoch für Franco Nero ohne Zweifel - war bereits mehr als nur ein simpler Spagetti-Western in dem ein einsamer Held seinen Weg beschreitet. Django war nie ein Held, ein strahlender Ritter in weißer Rüstung. Der Mann mit dem Sarg im Schlepptau war ein Anti-Held, in gewisser Weise, der Frank Castle der Prärie. Ein düsterer Charakter in einer düsteren Umgebung, einer düsteren Welt.
Ein Element, das Tarantino für seine Neuinterpretation aufgreift. Denn auch sein Django ist alles andere als eine glanzvolle Persönlichkeit, ein Licht inmitten des Dunkels. Er ist ein 'Nigger', in einer Welt in der Nigger nichts wert sind. In der der weiße Mann das Sagen hat. Ein Sklave, Ware. Ungebildet und unterdrückt seit er denken kann. Und doch, trotz all den Leiden die dieser Mann in seinem Leben ertragen musste, all dem Schmerz den es zu erleiden galt, ist er eines nicht: Gebrochen. Er hat den Willen und den Mut zu kämpfen. Und auch wenn sein Herz voller Wut und Hass ist, ist sein Herz noch lange nicht erfroren, hat er seine Menschlichkeit noch nicht an den Nagel gehängt, was sich wunderbar unaufdringlich manifestiert in seiner anfänglichen Weigerung einen Verbrecher in der Gegenwart dessen Sohnes zu erschießen. Doch Dr. Schultz schafft es sehr schnell, Django zu lehren, seine Menschlichkeit nicht bei falschen Gelegenheiten zum Hindernis werden zu lassen. Im Übrigen ist es dieselbe Szene, deren unbedeutende Details später noch von großer Bedeutung sein sollen - ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig eine gute Struktur für ein Drehbuch ist, und dass Tarantino sich dessen durchaus bewusst ist.
Eine weitere Parallele findet sich, ein Motiv, das während der Transformation des Stoffes durch Quentin Tarantino erhalten blieb. Der Rassismus. Während sich in DJANGO noch Amerikaner und Mexikaner bis aufs Blut bekämpften, sind es nun Schwarze und Weiße - 'Nigger' und ihre ihnen überlegenen weißen Herren. Jeweils ein Volk, das sich über ein anderes erhebt. In beiden Fällen sind es Amerikaner, die sich ob ihrer weißen Hautfarbe über andere Stellen, durch ihr zerstörerisches, egomanisches und John Wayne'sches Auftreten zu Antagonisten aller erster Güte werden. Das Erschreckende daran? Die erschreckende Aktualität. Beiden Filmen gelingt damit eine mehr - im Falle DJANGOs - oder weniger - im Falle DJANGO UNCHAINEDs - subtile Kritik nicht nur an der Vergangenheit der USA - die in unserer amerikanisierten Gesellschaft leider viel zu wenig gewagt wird - sondern auch der Gegenwart.
Damit enden die Parallelen zu DJANGO weitestgehend, denn DJANGO UNCHAINED ist keine Kopie im modernen Gewand, kein klassisches Remake. Es ist eine Neuinterpretation. Aus dem Stoff der alten (Anti-)Helden schneidert Tarantino seinen eigenen (Anti-)Helden, seinen eigenen Rächer seiner selbst, seinen eigenen Mythos - mit Versatzstücken aus der nordischen Mythologie, wie auch Dr. Schultz zu erzählen weiß, sowie aus unzähligen Jahren der (Spaghetti-)Western Geschichte, erschafft er so ein Konglomerat verschiedenster Ideen zu etwas neuem, eigenen, versehen mit tarantinoischen Eigenheit. So wird Brünhilde zu Broomhilda, Siegfried der Drachentöter zum schwarzen Rächer Django.
Überhaupt scheint Quentin seit seiner Weltkriegsgeschichte und seiner Zusammenarbeit mit Christoph Waltz Interesse am Deutschen gewonnen zu haben. So ist Dr. Schultz - in gewisser Weise heimliche Hauptfigur des Films ob seiner ausufernden Monologe - ein deutscher Zahnarzt, gebürtig aus Düsseldorf - oder Dusseldorf wie's im Drehbuch heißt -, spricht mit deutschem Akzent und weiß sich das ein oder andere Mal - sehr zur Freude des dem Deutschen Mächtigem - auf Deutsch auszudrücken. Vor allem sein immer wieder ausgerufenes "Wunderbar", weiß zu gefallen. Man darf gespannt sein, wie sich das auf der Leinwand macht, dürfte diese Eigenart zum Leben erweckt doch noch um einiges unterhaltsamer gestalten.
Eine Rolle wie gemacht also für Christoph Waltz, der dem Charakter des Dr. Schultz, meines Wissens nach, vor der Kamera schließlich Leben einhauchen soll. Berührungspunkte zwischen dieser und seiner letzten Rolle des Colonels - beziehungsweise SS-Standartenführers - Hans Landas - die der Österreicher Waltz dermaßen dämonisch gut spielte, dass es einen selbst als des Nachbarlandes Einwohner mit Stolz erfüllt, solch talentierte Schauspieler aus dem eigenen Sprachraum kommend zu wissen - sind nicht zu übersehen. So ist es vor allem die Eloquenz, mit der beide Charaktere glänzen, die am stärksten auffällt.
Doch auch die reservierte, eben deutsche Art weißt eine Verbindung beider Charaktere. Auch, wenn sie sich ansonsten zu einhundert Prozent unterscheiden. Hans Landa als SS-Mann und Judenjäger auf der einen Seite, Dr. Schultz als aufrechter Mann, der für den Sklavenhandel nichts als Verachtung aufbringen kann auf der anderen. Es bleibt abzusehen ob und wenn ja, wie Waltz diese Rolle anlegen und letztlich verkörpern wird, ich hege jedoch keinen Zweifel daran, dass er mit dieser gelungenen Vorlage wieder eine hervorragende Leistung auf die Leinwand bringen und dem eigentlichen Protagonisten die Schau stehlen wird.
Für die Rolle des Djangos, der in der Geschichte eine gewaltige Wandlung vom geschundenen Sklaven zum eiskalten, treffsicheren "Lucky Luke with an Attitude" - wie ich ihn getauft habe - hinlegt, dem dabei jedoch stets sein loses Mundwerk erhalten bleibt, hatte ich während des Lesens, vor allem bei fortschreitender Handlung, Chris Rock im Kopf. Dass dieser letztlich für die Rolle des Django letztlich überhaupt in Betracht kommt, bleibt allerdings mehr als fraglich. Eine gute Wahl wäre meines Erachtens nach auch Samuel L. Jackson, was wiederum weniger abwegig sein dürfte, wäre das schließlich nicht die erste Zusammenarbeit Jacksons und Tarantinos.
Wer es am Ende wird, wir dürfen überrascht sein. Vertrauen wir einfach auf des Maestros meist sicheres Händchen bei der Auswahl der Schauspieler für seine Filme - kann er doch auch inzwischen so gut wie jeden haben, den er haben möchte. Für die Rolle des schmierigen und gefährlichen Monsieur Candie, des Besitzers der viertgrößten Plantage des Staates, steht nach neusten Meldungen im Netz Leonardo DiCaprio zur Wahl, der damit bereits in seinem zweiten Western spielen würde. Könnte ich ihn mir zwar durchaus in dieser Rolle vorstellen, liest sie sich jedoch deutlich anders, als ein DiCaprio sie präsentieren könnte. Ein Tüpe wie Franco Nero müsste es sein, doch mit ausreichend schauspielerischem Talent um die subtile Unerträglichkeit dieses Charakters auf die Leinwand zu übertragen. Fast wünschte man sich gar, Christoph Waltz würde sich des Monsieurs annehmen.
Doch der wird aller Voraussicht nach Django auf seinem Weg zum blutigen und bombastischen Finale begleiten, das, so unspektakulär es im Vergleich zu KILL BILL VOL. 1s furios-blutigem Showdown und dem Kampf der Braut gegen die Crazy 88 auch sein mag, durch seine Intensität auf seine gar eigene Weise eben unglaublich spektakulär wird und die Geschichte zu einem westerntypischen Ende führt. Störend mögen im Verlauf der Geschichte lediglich die vielen Flashbacks sein, die den Leser/Zuseher, "Spaghetti-Western-style", mit all den benötigten Hintergrundinformationen versorgen. Hier sei jedoch gesagt, dass diese Szenen, richtig inszeniert auf der Leinwand durchaus sehr gut werden können, immerhin gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Bildern auf der großen Leinwand und den geschriebenen Worten. Es bleibt also abzuwarten, was letztlich daraus wird, im Drehbuch selbst erscheinen sie - zumindest mir- jedoch als störendes Element.
Man merkt Tarantinos Filmen und Drehbüchern deutlich an, dass er älter geworden ist, reifer. Liest man sich durch seine Filmographie, wird dies mit jedem Film deutlicher. Zwar zitiert er auch heute noch, wo er nur kann und packt so viel dessen was ihm lieb ist in seine Filme wie er nur kann, doch mit den wilden Popkultur-Overkill-Eskapaden, die sich oftmals zu nah an der Grenze zum Plagiat befanden - was ihm bei mir den Beinamen "Mr I steel from every movie ever made" einbrachte -, hat das nichts mehr zu tun. Tarantino ist älter geworden, reifer, gesetzter. Und er hat sich weiterentwickelt, ohne sich und seinen Stil dabei zu verraten - etwas, das andere große Regisseure wie Peter Jackson oder Sam Raimi nicht schafften. Er huldigt seinen Lieblingsgenres, seinen Lieblingsfilmen und erschafft dabei Neues, Bombastisches.
In der Tradition der beiden Tarantino-Meisterwerke KILL BILL und INGLOURIOUS BASTERDS hat er einen Film geschrieben, der Fans des Spaghetti-Western Genres begeistern dürfte, ebenjenes einer gänzlich neuen Generation öffnen wird - auch wenn fraglich bleibt, wie viele der jungen durch Bay und Co. bereits völlig verwirrten jungen Nachwuchscineasten sich mehr als vielleicht DJANGO ansehen werden. Ein Werk, das ein neues Glanzstück in Tarantinos Filmographie darstellen wird, auch wenn er aus dem Schatten INGLOURIOUS BASTERDS vermutlich nicht herauszutreten vermag - wobei auch hier fraglich bleibt, ob irgendein nachfolgender Tarantino-Film dies je schaffen wird. Für mich persönlich teilt DJANGO UNCHAINED jedoch bereits jetzt Platz 2 mit eben jenen Basterds auf meiner Rangliste der besten Quentin Tarantino-Filme. In wie weit El Tarantino es schaffen wird, dieses Drehbuch in qualitativ hochwertiger Weise auf die Leinwand zu bringen, bleibt abzuwarten aber nicht fraglich. Ebenso abzuwarten gilt es, ob das Publikum DJANGO UNCHAINED ebenso gut annehmen wird wie INGLOURIOUS BASTERDS und ob es ihn überhaupt in seiner so vorliegenden Form zu sehen bekommen wird. Auf Grund vieler untypisch extrem sleaziger Szenen besteht die Möglichkeit, dass die zugeknöpfte, prüde Altherrenrunde der MPAA ein R-Rating nur unter starken Schnittauflagen zulassen wird. Und da auch ein Film mit dem Prädikat Tarantino darauf seine Kosten einspielen und möglichst noch Gewinn machen sollte, ist es nur allzu wahrscheinlich, dass den Forderungen der MPAA nachgegeben würde. Doch lassen wir uns jetzt noch nicht die Laune durch verschwendete Gedanken an mögliche Reaktionen der Zensoren vermiesen - freuen wir uns lieber auf einen weiteren - hoffentlich - bombastischen Film aus dem Hause Tarantino. Die Bewertung des Drehbuchs lässt übrigens noch Luft nach oben, denn schließlich könnte das, was wir letzten Endes auf der Leinwand zu sehen bekommen, noch viel besser sein!
In diesem Sinne: "Who was that Nigger?"