OT: La belle captive
EROTIKTHRILLER/MYSTERY: Frankreich, 1983
Regie: Alain Robbe-Grillet
Darsteller: Daniel Mesguich, Gabrielle Lazure, Cyrielle Claire, Daniel Emilfork
In einem Nachtclub lernt der Agent Walter (Daniel Mesguich) eine geheimnisvolle, attraktive Blondine (Gabrielle Lazure) kennen. Da wird er von seiner ebenfalls attraktiven brünetten Chefin, der geheimnisvollen Sara Zeitgeist (Cyrielle Claire) ans Telefon gerufen. Er soll zu einem Brunnen fahren, an welchem sie ihm einen Brief für den Grafen von Corinth überreichen wird. Während Sara mit dem Motorrad zum vereinbarten Treffpunkt fährt, wird Walter auf der Fahrt mit seinem Auto aufgehalten, als eine verwundete Frau in Handschellen vor ihm auf der Straße liegt. Er nimmt die Frau, der ein Schuh fehlt, mit zu sich ins Auto und hält bei seiner Suche um Hilfe für die Verletzte bei dem nächsten verlassen liegenden Gebäude an.
In dieser Villa ist eine ominöse Herrenrunde versammelt, die Walter bereits zu erwarten scheint, und die sich sehr interessiert an seinem "Eigentum" zeigt. Die schöne Gefangene trinkt zur Stärkung einen Drink, der verdächtig nach Blut aussieht. Walter hingegen verlangt nach einem Arzt, welcher alsbald in Gestalt eines Herrn Morgentodt erscheint. Dieser führt das Paar in ein Schlafzimmer und schließt es dort ein. Die beiden verbringen dort eine heiße Liebesnacht. Am nächsten Morgen hat Walter eine Wunde am Hals, die schöne Fremde ist verschwunden, das Haus ist verlassen und scheint bereits seit Jahren verfallen zu sein. Nun begibt sich Walter auf die Suche nach der Identität dieser mysteriösen Dame und versucht das rätselhafte Geschehen zu entschlüsseln...
Juhee, welcher schwarze Afghane hat den da zu tief ins Absinth-Glas geschaut? - Bei solch einer Inhaltsangabe sicherlich eine berechtigte Frage! - Umso erstaunlicher, dass LA BELLE CAPTIVE nicht von einem Regie-Berserker, wie z.B. Alejandro Jodorowsky, sondern von dem französischem Intellektuellen Alain Robbe-Grillet stammt. Der ist in unseren Breitengraden eher als Schriftsteller, genauer gesagt als einer der Begründer des Nouveau Roman, bekannt. Letzteres verwundert weniger, wenn man bedenkt, dass bis zum heutigen Tage noch kein einziger seiner immerhin zehn Regiearbeiten in deutscher Sprache auf DVD veröffentlicht wurde.
Sehr bekannt ist dahingegen ein Film, bei welchem Alain Robbe-Grillet zwar nicht die Regie geführt, dafür jedoch immerhin das Drehbuch verfasst hat: der aus dem Jahre 1961 stammende LETZTES JAHR IN MARIENBAD von Alain Resnais. - Und dieser gleichfalls unfassbar kryptische Film gilt vielen völlig zu Recht als eines der herausragendsten Filmkunstwerke des gesamten 20. Jahrhunderts! - Und auch LA BELLE CAPTIVE atmet unverkennbar den verqueren Geist seines genialen Schöpfers.
Der Film bezieht sich auf Alain Robbe-Grillets gleichnamigen Roman von 1975, der seinerseits aus einem Dialog zwischen Bildern des belgischen Surrealisten René Magritte und Texten des französischen Schriftstellers besteht. So steht auch ein ebenfalls mit "La belle captive" betiteltes Gemälde Magrittes im Zentrum des Films, in welchem jedoch eine Kugel durch den verloren Schuh der schönen Gefangenen ersetzt wurde. Dies ist symptomatisch für den gesamten Film, welcher aus einem schier endlosen Fluss aus (Selbst-)Referenzen und Querverweisen zu anderen (Film-)Kunstwerken besteht:
Rein filmisch lässt sich LA BELLE CAPTIVE als eine Verbindung von Film noir, Erotik-Thriller, Mystery-Drama, Fantasy- und Vampirfilm beschreiben. Hinzu kommen jedoch noch unzählige literarische Referenzen, welche unter anderem Werke von Goethe, Proust und eben auch von Robbe-Grillet selbst umfassen. Und als ob dies noch nicht genug wäre, wird dieser intellektuelle Cocktail noch mit weiteren Referenzen aus der Welt der Malerei und der Musik garniert. Das Ergebnis liegt irgendwo zwischen dem unaufdringlichem erotischen Surrealismus von BELLE DE JOUR (1967) und dem extrem kryptischen Gedankenspiel LETZTES JAHR IN MARIENBAD.
Aber der stärkste Einfluss des Films liegt in der Malerei von René Magritte. Und nicht umsonst zeigt eines der bekanntesten Gemälde des Belgiers eine schlichte Pfeife, unter welcher steht, dass dies keine Pfeife sei (da es sich lediglich um die Abbildung einer Pfeife handle). Und so ist die rein narrative Ebene in LA BELLE CAPTIVE auch nur das Rohmaterial, aus welchem der Regisseur ein intellektuelles Puzzle konstruiert, welches um Begriffe wie Bild und Abbild, Realität und Traumwirklichkeit kreist.
Dabei ist der Film von seiner visuellen Seite her alles andere, als spröde ausgefallen: Die Bilder gleichen oftmals selbst Gemälden, bilden sie ja auch oft genug selbst Gemälde nach. So wartet LA BELLE CAPTIVE mit zahlreichen faszinierenden Einstellungen auf, bei welchem die Frage nach deren tieferen Sinn schnell zur Nebensache wird. Allzu tief ist dieser trotz des äußerst breitgefächerten intellektuellen Hintergrundwissens seines Machers auch nicht ausgefallen. Denn hier wird das gedankliche Spiel zur Freude an sich.
Doch so schön, wie all dies auch klingen mag: Ein völlig makelloses Meisterwerk ist DIE SCHÖNE GEFANGENE leider nicht. Was dem Film fehlt sind lebendige Charaktere mit denen der Betrachter wirklich tief in das immer irrationaler werdende Geschehen eintauchen könnte. - Marie-Ange, die schöne Gefangene, ist zwar schön, aber leider auch ziemlich frei von Charisma und der Hauptdarsteller des Films, der Agent Walter, ist nicht viel mehr, als eine reine Pappfigur.
Einzig die geheimnisvolle Sara Zeitgeist und der unheimliche Inspector Francis (Daniel Emilfork) vermögen zu faszinieren. Doch bleiben sie über den gesamten Film hinweg leider reine Nebenfiguren. In LETZTES JAHR IN MARIENBAD war es die Schauspielerin Delphine Seyrig, die diesem an und für sich noch viel kälteren und undurchschaubareren Verwirrspiel, eine gewisse menschliche Dimension und Wärme gab. Und Robbe-Grillet gab freimütig zu, dass dies der alleinige Verdienst von Resnais war...
LA BELLE CAPTIVE ist ein sowohl visuell, als auch intellektuell faszinierendes Gedankenspiel, welches nicht nur die verschiedensten Filmgenres, sondern auch unzählige Werke aus den Bereichen der Literatur, der Musik und der Malerei miteinander verbindet. Wie auch im von Alain Robbe-Grillet mitbegründeten Nouveau Roman wird eine schlüssige Narration durch eine endlose Abfolge von äußerst rätselhaften, strukturellen und selbstreferentiellen Beobachtungen ersetzt. Doch so reizvoll dieses Spiel auch ist: Aufgrund der Flachheit der Charaktere lässt einen das gesamte Geschehen am Ende doch eher kalt...