OT: Clouds of Sils Maria
DRAMA: D/CH, 2014
Regie: Olivier Assayas
Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger
Eine ältere Frau namens Helena verliebt sich in die junge, verführerische Sigrid und wird von dieser manipuliert und in den Selbstmord getrieben. Das ist - flapsig zusammengefasst von Hollywood-Sternchen Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) - der Inhalt eines Theaterstücks, das Marie (Juliette Binoche) nur zu gut kennt. Vor 20 Jahren feierte sie damit ihren Durchbruch - in der Rolle der jungen Sigrid. Der Regisseur hält es für eine geniale Blitzidee, dass Maria nun, 20 Jahre später, in die Rolle der reiferen Helena schlüpfen soll. Begleitet von ihrer persönlichen Assistentin Valentine (Kristen Stewart) reist Maria in die Idylle der Schweizer Alpen, um mit den Proben zu beginnen. Je tiefer sie in die Rolle eintaucht, desto größer werden ihre Zweifel und ihre Ängste. Maria ist entschlossen, den Kampf gegen ihre Ängste aufzunehmen.
Alter vs. Jugend. Celebrity-Wahnsinn vs. klassische Schauspielkunst. Arthouse vs. Mainstream. Pop- vs. Hochkultur. CLOUDS OF SILS MARIA, das neue Werk des französischen Autorenfilmers Olivier Assayas, ist ein Film, der sich mit großer Leidenschaft an Gegensatzpaaren abarbeitet, wunderschön auf den Punkt gebracht in einer Film-im-Film-Szene:
Maria (Juliette Binoche), die alternde, leicht snobistische Kunstfilm-Actrice sieht sich zusammen mit ihrer jungen Assistentin Valentine (Kristen Stewart) einen Comic-Blockbuster in einem Züricher Kino an. Auf der Leinwand liefert sich Kick-Ass-Hitgirl Chloë Moretz (mit roter Perücke) ein Laserstrahl-Duell mit Nora von Waldstätten (mit blauer Perücke). Maria findet den Film kindisch und lächerlich, macht sich über die - wie sie meint - küchenpsychologischen Pseudo-Konflikte lustig ("Alles ist heutzutage verstörend, selbst die trivialste Konvention"), während die junge Valentine echte Begeisterung verspürt. Das Schöne daran: Der Regisseur schlägt sich auf keine der beiden Seiten. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung. Am bequemsten ist es zwischen den Stühlen. Ein Motto, das Assayas selbst stets beherzigt hat. Pendelten doch die meisten seiner Filme, angefangen mit IRMA VEP und DEMONLOVER, stets irgendwo zwischen Kunstfilm-Ambition und Genre-Kino-Aneignungen.
CLOUDS OF SILS MARIA springt ziemlich leichtfüßig von einer Meta-Ebene zur nächsten: Die Abgründe des Jugendwahns. Die Angst vor dem Altern und dem eigenen Bedeutungsverlust. Der Celebrity-Wahn im Zeitalter der asozialen Medien (Frage zwischendurch: Seit wann sagt man eigentlich nicht mehr Web 2.0? Ist das auch so eine Alters-Sache meinerseits?). Und natürlich die Frage aller Fragen: Läuft da was zwischen Juliette Binoche und Kristen Stewart? Oder ist das nur wieder so eine Männerphantasie? Über die sich Juliette Binoche im Film denkbar abfällig äußert ...
Doch trotz der Fülle an verhandelten Themen wirkt der Film zu keiner Zeit überladen oder auch nur anstrengend. Die stattliche Laufzeit von 125 Minuten vergeht zügig. Konzentration ist natürlich trotzdem gefordert, und die Bereitschaft, sich auf einen sehr dialoglastigen Film einzulassen. Wer, wie Kristen Stewart im Film, alle paar Minuten nach dem Smartphone fingert, könnte wahrscheinlich Probleme bekommen.
Vieles könnte man noch schreiben. Über die Vorliebe des Regisseurs für starke Frauenfiguren. Über die Alpen als phänomenale Naturkulisse. Über diese rätselhafte Szene mit dem Primal Scream-Song. Über die seltsam entrückte, schön melancholische Stimmung dieses Films.
Wer möchte, kann diese Reise über die Wolken auch als lebendigen, spannenden und sinnlichen Filmtheorie-Diskurs betrachten. Es schadet auch nicht, ein wenig zu recherchieren, Hintergründe zu googeln. Wer Wilhelm Melchior war, zum Beispiel. Was Nietsche in Sils Maria getan hat. Ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber dümmer wird man davon gewiss nicht.
Wer sich auf einen - no na - hervorragend gespielten, dialogintensiven, klugen und melancholischen Film einlassen kann, sollte einen baldigen Kinobesuch einplanen. Worum geht es? Um so Vieles - lest doch bitte die Review ;-)
Lohnt es sich? Selbstverständlich. Auch wenn einige Fragen offen bleiben. Olivier Assayas ist ein Garant für ungewöhnliches Autorenkino, das sich auch gerne mal über bildungsbürgerliche Vorbehalte gegen Popkultur im Allgemeinen und dem ach-so-blöden Hollywood im Speziellen lustig macht. Und Kristen Stewart ist eine Gute. Ich hab's immer schon gewusst, aber das ist eine andere Geschichte ...