OT: The Devils
DRAMA: GB, 1971
Regie: Ken Russell
Darsteller: Oliver Reed, Vanessa Redgrave, Dudley Sutten, Gemma Jones
Rockstar-Priester Urbain Grandier versucht die Stadt Loudon vor der übers Land kriechenden Korruption zu schützen. Cardinal Richelieu erkennt seine Chance und die schutzbietenden Mauern fallen leise als eine von Grandier sexuell zurückgewiesene Nonne diesen als Ketzer beschuldigt. Der Hexerei angeklagt, kämpft der nicht von Sünden freie Grandier um seine Unschuld ... und um sein Leben.
"Is there balm in Gilead?"
Diese Frage stellte einst ’The Tomahawk Man’ Quarles und bekam in dunkelster Stunde von einem pechschwarzem Federvieh oder Herrn Urian eine herzzerreißende und niederprügelnde Antwort. 125 Jahre später stellt und beantwortet Ken Russell dieselbe biblische Frage im ultimativen Kontext... und prügelt uns windelweich.
Fast 50 Jahre hat Russells skandalösester Film nun schon auf dem Buckel. Von Staub ist keine Spur. Jedoch machte der Film sowie sein Dirigent so einiges mit. Russell musste seine Arbeit mehrmals zerschneiden, sodass sein Film nicht mehr richtig funktionierte. THE DEVILS war und ist nicht nur den rechtschaffenen Heiligen von der Zensur ein Dorn im Auge. Auch Scheinheilige aus aller Welt machten sich ins frisch gebügelte Hemd. Nachdem THE DEVILS bei den Filmfestspielen in Venedig ‘71 sogar den Pasinetti Preis für den besten fremdsprachigen Film gewann, hatte der Papst mehr als eine Schleifspur in der von Selbstgerechtigkeit triefenden Robe und forderte den sofortigen Rücktritt des Festival-Direktors... und Ken Russell den Rücktritt des Papstes.
Lange konnte man den Film nicht in voller Pracht betrachten, da so manch drastische Szene entfernt wurde. War der Film in vielen Ländern verboten, x-rated und von Preisverleihungen ausgeschlossen, so feiert er seit Kurzem eine glorreiche Rückkehr auf einige Leinwände, zuhause und anderswo. Der Film war nicht wirklich in Vergessenheit geraten, sondern einfach nur schwer zu sehen. Warner Brothers gab niemals die Rechte des Films frei, blockierte die Veröffentlichung des Films auf VHS, DVD, BluRay etc. und erlaubte eine Vorführung des Films nur, wenn es sich um ein Bildungsprojekt handelte. Hin und wieder verlieh Martin Scorsese eine Kopie seiner persönlichen Sammlung zur Vorführung des Films. Guillermo del Toro beschuldigte Warner Brothers der 40+ jährigen Zensur des Films, da dieser nie auf HomeVideo-Systemen erschienen war.
Jedoch versteht keiner so recht warum. Zwei Jahre nach der Premiere von The Devils veröffentlichte WB The Excorcist, ein Film, in dem ein pubertierendes Mädchen sich ein Kruzifix in ihr Allerheiligstes rammt und dabei ziemlich Obszönes von sich gibt. Nun gut, Russell lässt, unter anderem, die Katholiken nicht gut aussehen, doch das ändert auch durch die rausgerissenen Szenen nichts. Also warum das ganze Theater? Mos? Es geht doch immer nur ums Mos.
Russell adaptierte Aldous Huxleys non-fiction Roman "The Devils of Loudon" sowie John Whitings Nachfolger-Theaterstück "The Devils". Diese Schriftsteller waren fasziniert von einem Fall der angeblichen Ketzerei, welcher sich im Frankreich des 17. Jahrhunderts zugetragen hatte. Urbain Grandier, einem ziemlich populären, eitlen und charismatischen Priester, wurde damals vorgeworfen, er verhexe Nonnen. Das ganze war natürlich, was auch sonst, politisch sowie religiös motiviert, da Kardinal Richelieu diese protestantische Hochburg zu Fall bringen wollte.
“Reality is a dirty word for me. I know it isn’t for most people, but I am not interested. There’s too much of it about.”
Wie für Russell üblich, kümmert er sich nur marginal um die Realität. Stattdessen kreiert er einen Alptraum, der jedem besuchenden Träumer die Augen öffnet. In verstörten Bildern zeigt der Film eindrucksvoll den verfilzten Knäuel aus Religion, Staatsmacht, Sex und Gewalt. Macht ist hier heilig. Macht ist Wahrheit. Lügen und Korruption in Gottes Armen. Amen.
Die Kulissen sind reduziert auf jede Menge abstrakter Gebilde. In Russells Welt gibt es keine göttlichen Kathedralen mit gotischen Bögen und Türmen. Stattdessen gibt es eine ‘freie’, für die Armen und Kranken einstehende Stadt, physisch und metaphorisch abgeschieden vom restlichen Frankreich, personifizierte Bürokratie, mit Türen und Treppen, die ins Nichts führen, sowie einen Nationalismus, der glatt ist und engstirnig wie Mr. T oder Höllenkinder aus Bill Blakes schönstem Nachtschaden.
Die Geschichte ist übertrieben einfach. Der Symbolismus kreativ, doch offensichtlich. Subtilität? Fehlanzeige. Die Wirkung... fundamental genial, und die Botschaft aktueller denn je. Spätestens die Szenen des Höhepunkt bildenden Prozesses sollten diesen ‘fiktiven‘ Nachtmahr zu einer schwer verdaulichen Filmhostie machen.
Ken Russels jahrzehntelang verbotener bzw. unterschlagener Film THE DEVILS handelt nicht wie viele okkulte Filme vom leibhaftigen Teufel, sondern vielmehr vom hinterlistigen Pferdefuß in der menschlichen Seele, der bodenlosen Finsternis in unseren Herzen. Und was ist schon grässlicher als das? Sogar der edelste und gutmütigste aller Menschen wird wie Grandier, wie Jesus, schlussendlich am Hügel von Golgotha bluten.
Ein furchteinflößendes Bild der Menschheit. Ich für meinen Teil hatte Gänsehaut bis in den Dünndarm.