OT: La Possibilité d'une île
SCI-FI/DRAMA: F, 2008
Regie: Michel Houellebecq
Darsteller: Benoît Magimel, Patrick Bauchau, Arielle Dombasle
Nach atomaren Verwüstungen und einer Klimakatastrophe wurde die Weltbevölkerung auf ein Zwanzigstel reduziert. Überlebt hat nur der Neo-Mensch: Geklont und unsterblich. Daniel24 ist ein Neo-Mensch der 24. Generation. Er durchstreift das postapokalyptische Wasteland, um Spuren seiner menschlichen Vorfahren zu finden. Alles begann mit einer Sekte, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Menschen das ewige Leben versprach ...
Houellebecq-Romane sind im Grunde unverfilmbar. Fragt mal Oskar Roehler nach Elementarteilchen. Oder Philippe Harel nach Ausweitung der Kampfzone. Doch niemand dürfte dies besser wissen als Michel Houellebecq selbst, der 2008 seinen gleichnamigen Roman DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL fürs Kino adaptierte und auch selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm.
Zitat aus der Buchvorlage: "Filmemacher zeichnen sich nicht gerade durch überdurchschnittliche Intelligenz aus, wie ich sehr bald festgestellt hatte: Man braucht ihnen nur eine originelle Idee, eine Situation oder das Bruchstück einer Geschichte vorzuschlagen, alles Dinge, auf die sie selbst nie gekommen wären; man fügt ein paar Dialoge hinzu, drei oder vier idiotische Einfälle - ich war imstande, etwa 40 Drehbuchseiten pro Tag zu schreiben -, legt ihnen das Skript vor, und schon sind sie hellauf begeistert."
Um es kurz zu machen: Hellauf begeistert war niemand von der INSEL-Verfilmung. "Ausweitung der Flop-Zone", "Die Unmöglichkeit eines Films", "Die Möglichkeit des totalen Flops" - die Urteile der französischen Kritiker waren frei von Freundlichkeiten. Die Einspielergebnisse fielen desaströs aus, und außerhalb Frankreichs wurde nicht einmal einen Verleih gefunden. Lediglich ARTE erbarmte sich und zeigte den Film diesen Sommer gut versteckt im Morgengrauen. An dieser Stelle ein Dankeschön an Facebook-Freund A. fürs Aufnehmen!
Aber ist der Film jetzt wirklich so schlecht? Nein, natürlich nicht. Houellebecq wusste von Vornherein um die Unmöglichkeit der Verfilmung seines komplexen 440-Seiten-Wälzers. Nichts läge ihm ferner als eine Verfilmung, die sich sklavisch an die Buchvorlage hält. Im Gegenteil, weniger Werktreue ist kaum mehr denkbar. Lediglich ein paar Figuren und Motive haben es in den Film geschafft, der nach gänzlich anderen Regeln funktionieren will als das Buch.
Blöd nur, dass der Film eben nicht wirklich funktioniert. Dass auf ein Markenzeichen der Houellebecq'schen Schreibkunst - nämlich der seitenlangen Schilderung expliziter Sexszenen - verzichtet wurde, lässt sich verschmerzen. Viel schwerer wiegt, dass auch die schmerzhaft treffende Gesellschaftsanalyse der Buchvorlage völlig wegfällt.
"Wenn die körperliche Liebe vorbei ist, ist alles vorbei; und dann verrinnen die Tage in gereizter trostloser Eintönigkeit. Was die körperliche Liebe anging, machte ich mir keine Illusionen. Jugend, Schönheit, Kraft. Die Kriterien der körperlichen Liebe waren dieselben wie bei den Nazis. Mit einem Wort, ich steckte ganz schön in der Scheiße."
Solche Sätze schreibt Houellebecq. Und bringt damit die Probleme von Männern mit Frauen, mit Sex, mit ihrer animalischen und destruktiven Natur auf den Punkt. Bloß findet sich nichts davon in der Film-Version. Mein Lieblingscharakter im Buch, der zynische, sexsüchtige, mit Depressionen und Lebensüberdruss kämpfende Showstar Daniel1 mutiert hier zu einer farblosen Randfigur, zum Mann ohne Eigenschaften.
Inszenatorisch hingegen kann man Houellebecq, der zwei Jahre auf einer Filmschule verbrachte, kaum Vorwürfe machen. Die elegische, temporeduzierte Erzählweise geht in Ordnung - wiewohl sie freilich Spannung vermissen lässt. Im letzten Filmdrittel setzt Houellebecq voll auf die Kraft der Bilder: Verwüstete Industrieruinen, spektakuläre schwarze Vulkanlandschaften und giftfarbene Bäche erinnern an Highlights des postapokalyptischen Films wie zuletzt THE ROAD. Der Sender Arte zieht dann auch Vergleiche mit Michelangelo Antonioni und Stanley Kubrick. So weit würde ich nicht gehen, aber den radikalen filmischen "Die-Landschaft-spielt-die-eigentliche-Hauptrolle"-Ansatz weiß ich zu schätzen.
Der französische Bestseller-Autor scheitert auf sehr interessante Weise an der Verfilmung seines Sci-Fi-Dramas DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL. Arte sei Dank für die Ausstrahlung des eigentlich zu Unrecht brutal gefloppten Films, der wohl kein heimisches DVD-Regal mehr von innen sehen wird.