OT: El Cadáver de Anna Fritz
THRILLER: SPANIEN, 2015
Regie: Hèctor Hernández Vicens
Darsteller: Albert Carbó, Alba Ribas, Bernat Saumell, Cristian Valencia
Pau arbeitet in der Leichenhalle, in der die Leiche der urplötzlich verstorbenen Anna Fritz aufbewahrt wird - sie ist Spaniens größter Filmstar und eine der begehrtesten Frauen der Welt. Pau schickt seinen Freunden Ivan und Javi ein Foto der toten Anna. Kurz darauf tauchen sie bei ihm auf um einen Blick auf Anna Fritz zu werfen. Doch dabei bleibt es nicht lange - nur zu gerne würden sie einmal mit Anna Fritz geschlafen haben. Doch während Pau sich an ihr vergeht, wacht sie plötzlich auf...
Die Spanier mögen 2013 mit Jess Franco einen ihrer kreativsten und visionärsten Regisseure verloren haben. Aber eine neue Generation von Filmemachern sorgt in den letzten Jahren regelmäßig für genug (Horrorfilm-)Material aus dem Land der Tapas und Siesta. Mir persönlich haben vor allem [REC] und [REC]3 sehr gut gefallen - über die Teile 2 und 4 hüllen wir an dieser Stelle lieber den Mantel des Schweigens.
Und nun kommt mit DIE LEICHE DER ANNA FRITZ ein kleiner perfider Thriller aus Spanien, spannend inszeniert als Kammerspiel. Das Thema an sich ist nicht neu, schon Anfang der 90er inszenierte Ole Bornedal mit NIGHTWATCH - NACHTWACHE (und seinem Remake FREEZE - ALBTRAUM NACHTWACHE) einen Thriller über nekrophile Umtriebe in einer pathologischen Abteilung. Regisseur Hèctor Hernández Vicens wählte jedoch einen anderen Ansatz für seinen Film, denn jetzt ist es die vermeintliche Leiche selbst, die die Hauptrolle spielt.
Dabei zieht das sehr gute Drehbuch die Spannungsschraube stetig und ordentlich an. Und es dürfte keine Rolle spielen, ob der Zuschauer bereits weiß, dass die Männer sich an der Leiche vergehen werden, oder ob er völlig ohne Vorwissen an den Film herangeht. Vincens macht sehr schnell deutlich, dass es bei einem Foto, einer unangemessenen Berührung nicht lange bleiben wird. Die Männer wollen mehr, und wem sollten sie damit auch schon wehtun. Einer Leiche? Zugekokst und in Partylaune denken sie über ihre Konsequenzen kaum nach. Doch dafür werden sie noch bezahlen.
Am stärksten, am intensivsten, ist DIE LEICHE DER ANNA FRITZ in der wichtigsten Szene des ganzen Films - der Szene in der Anna Fritz ihre Augen öffnet. Schrecklich-schön gefilmt, getragen ganz vom grandiosen Spiel Alba Ribas, dürfte sie nur die empatielosesten Zeitgenossen völlig kalt
lassen. Wie sie mit tränenden Augen, orientierungslos, verwirrt und völlig verstört während ihrer eigenen Vergewaltigung in der Leichenhalle erwacht, ist harter Tobak. Es ist auch eine Schande, dass Ribas außerhalb Spaniens bisher kaum zu sehen war - mal abgesehen von PARANORMAL EXPERIENCE 3D, der ziemlich schrottig aussieht. Ich würde sie gerne noch in weiteren Filmen sehen, denn sie trägt DIE LEICHE DER ANNA FRITZ mit ihrer Leistung fast alleine.
Das Drehbuch von Vicens und Isaac P. Creus indes orientiert sich mehr oder weniger an bekannten Thrillermotiven und folgt im Prinzip bereits bekannten Routen, dennoch passiert manches Mal nicht ganz das, was man eigentlich erwartet hätte. Auch bleibt das Ende bis zum Schluss offen, gerade aufgrund der Konsequenz mit der Creus und Vicens die Handlung vorantreiben - ergo bietet die Auflösung nur bedingt Erleichterung. DIE LEICHE DER ANNA FRITZ endet mit dem gleichen Gefühl der Beklemmung, mit dem er begonnen hat.
In diesem Sinne schließe ich ausnahmsweise mit einem Liedtext:
"Dein Blaubeermund im Neonlicht
dein Blaubeermund so viel verspricht
ich liebe diesen Duft der Süße
weiße Schilder an kalten Füssen
regungslos im Totenhaus
siehst du von allen am schönsten aus"
(E Nomine - Nachtwache)
DIE LEICHE DER ANNA FRITZ ist ein beklemmender Film, der tief in menschliche Abgründe blickt und enorm von dem genialen Spiel seiner Hauptdarstellerin profitiert. Alba Ribas macht das Leiden der Anna Fritz förmlich spürbar und unterstützt von einer stimmungsvollen Lichtregie und der ökonomischen und spannenden Inszenierung wird daraus ein packender Thriller um den Überlebenskampf einer Todgeweihten.