OT: The Hellstrom Chronicle
DOKUMENTARFILM/SCIENCE-FICTION-FILM: USA, 1970
Regie: Walon Green
Darsteller: Insekten ... und Lawrence Pressmann
Dr. Hellstrom vertritt die Meinung, dass Insekten eines Tages den Kampf, den wir gegen sie führen, gewinnen werden - weil sie weder Gewissen noch Moral haben, sich unglaublich anpassen können und alles auf das Überleben der eigenen Gattung ausrichten. Und er zeigt dies an einigen atemberaubenden Bildern.
Stöbert man in alten Science-Fiction-Lexika, stößt man irgendwann mal auf diesen Oscargewinner für den besten Dokumentarfilm 1971. Nun kann man sich natürlich fragen, was ein Dokumentarfilm in einem Science-Fiction-Lexikon zu suchen hat. DIE HELLSTROM CHRONIK ist so etwas wie ein Wanderer zwischen den Welten, er nutzt die Mittel des Dokumentarfilms, um in Wahrheit eine uralte Geschichte zu erzählen.
DIE HELLSTROM CHRONIK war zunächst nicht mehr als eine Aneinanderreihung von spektakulären Makroaufnahmen, teilweise sogar in Zeitraffer, die allerdings recht zusammenhanglos wirkte. Das Problem löste man durch einen fiktiven Wissenschaftler, der die Bilder als Beleg für seine These nutzt. Erst durch diesen dramaturgischen Kniff ergab sich ein roter Faden, zugleich gab man dem Film jedoch einen ganz anderen Touch, nämlich weg von einer reinen Bestandsaufnahme hin zu einer apokalyptischen Vision. Die klare Trennung von Realität und Fiktion wurde aufgelöst und der Zuschauer einer suggestiven Argumentationskette überlassen, die besagt, dass der Mensch dem Insekt im Zweifel nicht gewachsen ist.
Damit ist DIE HELLSTROM CHRONIK so etwas wie eine Introduktion für PHASE IV, denn worüber Dr. Hellstrom noch philosophiert, wird in Saul Bass' Meisterwerk Wirklichkeit. Kameramann Ken Middleham war demnach auch erste Wahl für PHASE IV, seine Erfahrungen waren wertvoll, nur wurden seine Bilder unter Saul Bass' Anleitung deutlich zielgerichteter eingesetzt. Denn während DIE HELLSTROM CHRONIK anfangs gar nicht wusste, wohin sie eigentlich wollte und daher zwar auch faszinierende Bilder von insektenfressenden Pflanzen zeigt - die aber der eigentlichen Kernaussage eher im Wege stehen - konzentriert sich Saul Bass von Anfang an auf den Konflikt Mensch gegen Ameise.
Dennoch werden in beiden Filmen die Ängste vor Insekten geschickt genutzt und verbildlicht. Das ist im Science-Fiction-Genre jedoch ein alter Hut, man denke nur an die Heerscharen von Riesenameisen, -spinnen und -kakerlaken, die in den 50er-Jahren die Leinwände bevölkerten. Ironischerweise vertauscht DIE HELLSTROM CHRONIK nun Ursache und Wirkung, wenn er Ausschnitte aus etwa FORMICULA zeigt, um seine Hypothese der Überlegenheit der Insekten zu belegen. Denn selbstverständlich sind die damaligen Autokino-Blockbuster eher geeignet, die irrationale Seite unserer Ängste zu beleuchten, statt eine wissenschaftliche Studie über Insekten zu sein.
Mit seiner zwar aus der Not geborenen, aber innovativen Erzählstruktur ist der Film so etwas wie ein Vorreiter der heutigen Infotainments. Kaum eine Tierdoku kommt heute ohne spektakuläre Bilder aus, die dramatisch montiert werden und so ihre Wirkung noch verstärken. Nach 40 Jahren bleibt DIE HELLSTROM CHRONIK aber etwas hinter seinem Ruf zurück. Dazu sind die Mechanismen, die damals für Aufregung sorgten, zu vertraut. Auch merkt man ihm heute seine schwere Geburt an. Der Eindruck, etwas beliebig zusammengesetzt zu sein, lässt sich auch durch die Figur eines fiktiven Erzählers nicht ganz vermeiden.
PHASE IV - Version 1.0: DIE HELLSTROM CHRONIK bleibt trotz des Academy Awards für den besten Dokumentarfilm spekulativ. Zwar sind seine Thesen nicht von der Hand zu weisen, aber längst nicht so eindeutig, wie postuliert, und der Film neigt dazu, Dinge zu überdramatisieren, alles auf Fressen und Gefressen zu reduzieren und darauf auszurichten. Andererseits zeigt der Film dann vor allem zum Ende hin Bilder, die seine Aussage geradezu schockierend untermauern und den Zuschauer ungläubig zurücklassen. Egal, ob nun wahr oder nur gut erfunden, ob Science-Fiction oder Dokumentation: DIE HELLSTROM CHRONIK ist ein Meilenstein in der Makroaufnahme und ein Musterbeispiel, wie man Zuschauer verunsichert.