OT: The Woman in Black
HORROR: GB, 2011
Regie: James Watkins
Darsteller: Daniel Radcliffe, Emma Shorey, Harmon Molly, Sophie Stuckey
London, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der verwitwete, alleinerziehende Anwalt Arthur Kipps (Daniel Radcliffe) reist beruflich in ein abgelegenes Küstendorf, um eine Hinterlassenschaft abzuwickeln. Die Dorfbewohner geben dem jungen Mann unmissverständlich zu verstehen, dass sein Besuch alles andere als willkommen ist. Als Kipps in einem verlassenen Herrenhaus unheimliche Spukphänomene wahrnimmt und kurz darauf ein Kind vor seinen Augen verstirbt, beginnt sein Weltbild zu wanken: Was hat es mit dem Fluch der schwarzen Frau auf sich, vor dem sich die Dorfbewohner so sehr fürchten?
Im Grunde dürfte es einen Film wie diesen gar nicht geben: In einer Zeit der pseudorealistischen Wackelkamera-Experimente, der grenzüberschreitenden Folterporno-Exzesse und der aufgeblasenen dreidimensionalen Effekt-Overkill-Ödnis kommt wie aus dem Nichts ein altmodischer Gruselfilm daher, der wirkt, als hätte er sich in der Dekade geirrt. Atmosphärisch und stilistisch schließt DIE FRAU IN SCHWARZ nämlich nahtlos an die Glanzzeit der britischen Hammer-Studios an.
In den Fünfzigern und Sechzigern des letzten Jahrhunderts stand dieser Name für farbenprächtige klassische Horror-Stoffe wie DRACULA oder FRANKENSTEINS FLUCH. Mit Stars wie Christopher Lee und Peter Cushing und Regisseuren wie Terence Fisher schuf Hammer Meisterwerke des Gothic-Horrors. Bis sich der Zeitgeist wendete und die Zombie- und Terrorfilm-Welle der Seventies dem vergleichsweise harmlosen Hammer-Horror das Wasser abgrub und das Studio schließlich Konkurs anmelden musste.
Aber man weiß ja, dass Tote im Horror-Film selten wirklich tot sind. Ausgerechnet mit Hilfe des niederländischen Trash-TV-Moguls John de Mol wurde das Unternehmen im Jahr 2007 reanimiert. Dass sich der Schöpfer von modernen Klassikern der Volksverblödung wie BIG BROTHER aus allen künstlerischen Belangen heraushielt und lediglich sein reichlich vorhandenes Geld einsetzte, muss ihm hoch angerechnet werden.
Das Investment scheint sich jedenfalls gelohnt zu haben. DIE FRAU IN SCHWARZ hat kräftig das Box Office gerockt und bislang über 100 Millionen eingespielt. Nicht übel für eine klassische viktorianische Spukgeschichte, die auf jeden zeitgeistigen Aktionismus verzichtet.
Langsam, gaaanz laaaaaangsam schleicht sich hier das Grauen an: Die Kerzen flackern, die Türen knarren, die Schatten huschen, die Nebelbänke wabern, dass es eine Freude ist. Atmosphäre wird mit großem A geschrieben in diesem wunderschönen, im besten Sinne altmodischem Gruselgotikstreifen. Selten war die Naturkulisse einer englischen Küstenstadt verregneter, düsterer und nebelverhangener als hier. Ein stilvolleres Haunted House als das Domizil unserer Woman in Black muss erst einmal gebaut werden.
Dass ein Horror-Film seine Figuren ernst nimmt, ist (leider) keine Selbstverständlichkeit. Doch genau das tut dieser schöne Film, der auch in seinen dramatischen Parts funktioniert. Auch die Wahl des Hauptdarstellers erwies sich als Glücksgriff: Der ewige Zauberlehrling Daniel Radcliffe ist sichtlich erwachsen geworden, hat aber glücklicherweise von nebeligen Friedhöfen noch nicht genug bekommen.
Harry P. hat endlich ausgezaubert und überzeugt in seiner ersten erwachsenen Rolle als großstädtischer Anwalt, der in einem verregneten Küstendorf mit dem Unheimlichen konfrontiert wird. Ein schöner, atmosphärischer Old School-Gruselstreifen, der unter dem Banner der wiederauferstandenen Hammer-Studios verdientermaßen höchst erfolgreich durch die Kinos spukt.