OT: The Blue Dahlia
FILM NOIR: USA, 1946
Regie: George Marshall
Darsteller: William Bendix, Howard Da Silva, Doris Dowling, Alan Ladd, Veronica Lake
Als der Kriegsheimkehrer Johnny Morrison (Alan Ladd) nach Hause kommt feiert seine alkoholkranke Ehefrau Helen (Doris Dowling) gerade eine wilde Party. Darüer hinaus hat sie auch noch ein Verhältnis mit dem Nachtclubbesitzer Eddie Harwood (Howard Da Silva) und war schuld am Tode ihres Sohnes. Johnny verlässt Hellen und trifft auf die schöne Joyce (Veronica Lake), die zufälligerweise die Frau von Eddy ist. In der gleichen Nacht wird seine Frau ermordet und er somit zum Hauptverdächtigen. Johnny versteckt sich und versucht auf eigene Faust den wahren Täter zu ermitteln ...
KRITIK:Wenn man heute den Titel DIE BLAUE DAHLIE (1946) hört, muss man wahrscheinlich unweigerlich an Brian de Palmas Verfilmung des gleichnamigen Buches von James Ellroy THE BLACK DAHLIA (2006) denken. Doch haben diese beiden Filme wirklich etwas miteinander zu tun? - Ja und nein!
Das Buch, mit welchem dem gegenwärtig besten Hard-boiled-Autor James Ellroy der internationale Durchbruch gelang, behandelt den realen Fall der Ermordung der jungen Elisabeth Short in den 40er Jahren in L.A., die damals als "Die schwarze Dahlie" berühmt wurde. Obwohl der Ursprung dieses Namens, wie auch der Fall an sich, bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte, vertritt Ellroy selbst die These, dass dieser sich auf den damals in den Kinos laufenden Film DIE BLAUE DAHLIE bezieht.
Elisabeth Short war bekannt dafür dass sie immer in schwarzer Kleidung herumlief. Und so kam Ellroy zufolge ein findiger Reporter auf den Namen, unter dem einer der spektakulärsten Kriminalfälle in der Geschichte der USA auch noch heute bekannt ist. Allerdings bezeichnet DIE BLAUE DAHLIE im vorliegenden Film von George Marshall gar keine Frau, sondern ist der Name des Nachtclubs von Eddie Harwood.
Doch die eigentliche Besonderheit dieses Films besteht darin, dass er nach dem einzigen komplett von Raymond Chandler verfassten Original-Script gedreht wurde. Und Chandler ist immerhin der wohl berühmteste klassische Hard-boiled-Autor überhaup und hat entscheidende Beiträge zu dem literarischen Genre beigetragen, das den Film noir überhaupt erst inspiriert hat. Da verwundert es natürlich auch nicht, dass eine ganze Reihe von Klassikern des Film noir nach Roman von Raymond Chandler bzw. unter seiner Mitwirkung als Drehbuchautor entstanden sind. Tatsächlich avancierte der Autor auf diese Weise nach eigener Aussage zu einem der vier oder fünf am besten bezahlten Drehbuchautoren seiner Zeit.
Das alles weckt natürlich recht hohe Erwartungen an DIE BLAUE DAHLIE. Doch, um es gleich zu sagen, einer der ganz großen Klassiker des Film noir ist der Film leider nicht geworden. Für Raymond Chandler waren die Dreharbeiten offensichtlich eine recht traumatische Erfahrung, die er Gerüchten zufolge nur im permanenten Vollrausch überstand. Auch wenn es sich bei letzterem wohl um eine nachträglich vom Produzenten (!) erdachte Legende handeln dürfte, so ist auf jeden Fall verbürgt, dass der Autor sowohl den Regisseur, als auch die Hauptdarstellerin für völlig unfähig hielt.
Und diese waren damals wahrlich keine Unbekannten. Der Regisseur George Marshall war ein Hollywood-Urgestein der ersten Stunde, der im Laufe seiner langen Karriere Dutzende von Filmen abgekurbelt hat (unter anderem DER GROSSE BLUFF). Und die Hauptdarstellerin Veronica Lake war eines de größten Sexsymbole ihrer Zeit. Damals wurde in den USA nicht nur ihr Haarschnitt zur großen Mode. Ebenso richtig ist anscheinend, dass damals in L.A. sogar zahlreiche (Edel-)Prostituierte als Veronica Lake-Double ihrer Arbeit nachgingen. Letzteres kann man auch in dem genialen Neo-Noir L.A. CONFIDENTIAL (1997) sehen, im übrigen ebenfalls ein Film, der auf einem gleichnamigen Buch von James Ellroy basiert...
Wenn man DIE BLAUE DAHLIE anschaut, dann kann man Chandlers harte Kritik auch relativ gut nachvollziehen. Der Film ist zwar zu jedem Zeitpunkt perfekt ausgeleuchtet und auch die Bildkompositionen sind stets äußerst stimmig. Aber wahre Inspiration ist dann doch etwas anderes und eine richtige Film noir-Stimmung kommt hier nur selten auf. Auch zeigt der Film recht deutlich, dass Veronica Lake tatsächlich kein großes Schauspieltalent war. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Der Frau fehlt es ganz schlicht an jedem Funken von Charisma! - Natürlich ist sie makellos schön, aber zugleich ist sie auch so langweilig, wie die netten Frauen aus einer Waschmittelwerbung.
So kann Veronica Lake auch als Femme fatale nicht so recht überzeugen. Doch zum Ausgleich bietet DIE BLAUE DAHLIE mit Doris Dowling immerhin eine andere Dame, die so durchtrieben, wie auf interessante Weise schön ist. Doch fataler Weise muss gerade diese wahre Femme fatale ja bereits nach kurzer Zeit wieder abtreten. Und so nimmt gleich in mehrfacher Hinsicht das Verhängnis seinen Lauf...
Doch auch Meister Chandler hätte reichlich Grund gehabt, nicht nur die anderen an diesem Projekt Beteiligten zu rügen, sondern auch das eine oder andere Mal sich selbst an die Nase zu fassen. Zwar begeistern seine durchgehend äußerst knackigen und spritzigen Dialoge, aber so richtige Spannung kommt in dem Film nur äußerst selten auf. Doch obwohl DIE BLAUE DAHLIE als Krimi nur leicht gehobenen Durchschnitt bietet, ist der Film in anderer Hinsicht äußerst interessant.
Denn dies ist einer der wenigen Filme, die ausdrücklich einige gesellschaftliche Problematiken in den Vereinigten Staaten der damaligen Zeit beleuchten: Auf der einen Seite stehen die oftmaligen Schwierigkeiten der Kriegsheimkehrer sich wieder in die Zivilgesellschaft ihrer Heimat zu reintegrieren. Und auf der anderen Seite sehen wir Frauen, die in der Abwesenheit ihrer Männer gelernt haben bestens alleine klar zu kommen.
Und gerade daraus folgt eben das in fast allen Film noirs als Subtext vorhandene Bild der selbstbewussten,emanzipierten Frauen, welche die Männer zwar faszinieren, aber von ihnen oft zugleich auch als eine Bedrohung wahrgenommen werden. Somit zeigt DIE BLAUE DAHLIE als einziger Film noir die Geburt der Femme fatale aus den gesellschaftlichen Umständen der damaligen Zeit. Dies ist umso interessanter, wenn man sich dann die Hollywoodfilme der 50er Jahren anschaut, in denen die Frauen oft wieder die dummen Hausmütterchen sind.
Doch auch der Aspekt der zum Teil vom Krieg traumatisierten Soldaten, die sich nach ihrer Rückkehr oft vollkommen alleine gelassen fühlten, wird in DIE BLAUE DAHLIE anhand von Johnnys ehemaligen Kameraden sehr schön gezeigt. Und hier glänzt insbesondere der durch William Bendix dargestellte Buzz, der den Film um ein paar wirklich beeindruckende Performances bereichert.
Und DIE BLAUE DAHLIE wäre sicherlich noch ein ganzes Stück besser geworden, wenn diese Figur die ihm von Raymond Chandler zugedachte noch größere Rolle für die Gesamthandlung auch im fertigen Film erhalten hätte. Doch leider wurde das Ende auf vollkommen hanebüchene Weise abgeändert. Die Schuld hieran hatte jedoch ausnahmsweise einmal nicht der maßgebliche Studio bzw. der Produzent. Nein, in diesem Fall kam es zu einer direkten Intervention durch das amerikanische Militär...
DIE BLAUE DAHLIE ist als erster Film der "Film Noir Collection" bei Koch erstmalig in Deutschland erschienen. Diese sehr schöne Reihe bietet neben einem für das Alter der Filme guten Transfer auch noch jeweis ein mehrseitiges Booklet. Und seit kurzem gibt es den Film auch zusammen mit den beiden folgenden Filmen der "Film Noir Collection" (SPIEL MIT DEM TODE und SCHWARZER ENGEL) in einer auf die reinen Filme reduzierten preiswerten Box. Die Filme stecken dabei in Slim Cases aus Plastik, die schöne Originalfilmplakate zeigen. Auf alle Hintergrundinformationen wurde hier jedoch verzichtet. Etwas befremdlich fand ich allerdings, dass sich auf der Rückseite der "Film Noir Collection Box 1" zwar kurze Inhaltsangaben zu den jeweiligen Filmen, jedoch ansonsten noch nicht einmal die Namen der jeweilige Regisseure finden.
DIE BLAUE DAHLIE zählt nicht zu den wirklich großen Klassikern des Film noir und bietet nur leicht gehobene Krimi-Unterhaltung. Doch ist der Film aus vielerlei anderer Hinsicht sehr interessant. - Dazu gehört allerdings eher weniger die Besetzung der beiden Hauptrollen mit dem damaligen Hollywood-Traumpaar Alan Ladd und Veronica Lake. Wesentlich interessanter ist die Tasache, dass es sich hierbei um den einzigen Film nach einem Originaldrehbuch des Hard-boiled-Autors Raymond Chandler handelt.
Auch veranschaulicht DIE BLAUE DAHLIE neben der eigentlichen Krimi-Handlung viele damals aktuelle Probleme der amerikanischen Gesellschaft, die sicherlich nicht zufällig mit der Blütezeit des klassischen Film noirs zusammenfielen. - Und für alle Fans von James Ellroy (bzw. Brian de Palma) gehört dieser Streifen selbstverständlich eh zum Pflichtprogramm. Denn nach diesem Film wurde (wahrscheinlich) auch DIE SCHWARZE DAHLIE benannt. Und so langt es insgesamt dann doch für respektierliche 6,5 Punkte und somit zu einer knappen Empfehlung.