DRAMA: A, 2023
Regie: Severin Fiala, Veronika Franz
Darsteller: Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter, Elias Schützenhofer
Oberösterreich im 18. Jahrhundert: Die Bauerntochter Agnes heiratet ins Nachbardorf. Doch auf die rauschende Hochzeitsfeier folgt rasch Ernüchterung: Der Ehemann hat kein sexuelles Interesse an ihr, der Kinderwunsch bleibt folglich unerfüllt, und die harte körperliche Arbeit überfordert sie zusehends. Die junge Frau sinkt in eine klinische Depression, die man damals "des Teufels Bad" nannte. In ihrer Verzweiflung trifft sie eine fatale Entscheidung ...
Narzisstisch, wie wir reichen und schönen Film-Influencer nun mal sind, mache ich gerne nach dem Kinobesuch ein Selfie vor dem Filmplakat. Diesmal sehe ich auf dem Foto ziemlich mitgenommen aus, was der Film zweifellos beabsichtigt hat.
Mit Aufsehen erregenden Filmen zwischen Arthouse und Horror hat sich das österreichische Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala einen Namen gemacht. Ihren Erstlingsfilm ICH SEH ICH SEH (2014) liebe ich - hallo, Narzissmus - allein schon deshalb, weil im Trailer meine kleine Website zitiert wird.
Auf diesen Achtungserfolg, der sogar ein US-Remake (mit Naomi Watts) nach sich zog, folgte der für die wiederauferstandene Produktionsfirma Hammer in Kanada gedrehte Psychothriller THE LODGE (mit dem ich nicht wirklich warm werden konnte, aber egal).
DES TEUFELS BAD ist kein Horrorfilm, sondern ein akribisch recherchiertes, fast schon dokumentarisches Historiendrama. Der Film basiert auf historischen Gerichtsprotokollen und zeichnet einen verbürgten Fall von "Suicide by Proxy", also indirektem Selbstmord - nach. Die Logik dahinter ist so absurd wie niederschmetternd: Suizid war eine "Todsünde". Selbstmörder wurden damals nicht begraben und ihre Seele war - so die katholische Lehre - für immer verloren. Mit dem Segen der Kirche aus dem Leben zu scheiden war nur möglich, wenn man ein schweres Verbrechen beging, auf das die Todesstrafe stand. Durch die Beichte vor der Hinrichtung konnte man seine Seele retten. Über 400 solcher Fälle, hauptsächlich Frauen, sind im deutschen Sprachraum dokumentiert.
Nicht unbedingt der Stoff also, aus dem die Feelgood-Movies mit Happy End gemacht sind. Was aber niemandem vom Kinobesuch abhalten sollte. Ja, es ist ein Film, der etwas mit einem macht. Ein Film, der einen durchschüttelt, den man beinahe körperlich spürt.
Schöner als ich es ausdrücken könnte, hat es Walter Gröbchen auf seiner Facebook-Seite auf den Punkt gebracht:
"Was in mir aber wirkliche Beklemmung auslöste abseits der abgründigen Handlung des (Horror-)Films, war die Wucht des fiktiven Rückfalls in eine Zeit, in der die Dunkelheit noch das Helle der Aufklärung dominierte. Und das Leben - fast ausschließlich - aus menschlichem Elend, knochenharter Arbeit, kargem Brot, kalten Steinmauern und knietiefem Dreck, aus Religionszwänglerei und Aberglauben, aus täglichem Überleben und einem stoisch erwartbaren Tod bestand. Die bäuerliche Existenz jenseits der Stadtgrenzen und inmitten eines nie vergehenden Mittelalters. Alles keine hundertfünfzig Jahre her. Wenn man die Dinge positiv sehen will: das hat sich radikal verändert, zumindest hierzulande (in vielen Gegenden der Welt eher nicht). Nur der Mensch scheint in seiner - vorgeblich humanen - Grundkondition unverändert. Und das ist die offen lesbare Flaschenpost von "Des Teufels Bad" an die Gegenwart."
Bei aller archaischen Wucht des Leidensweges, die über die Hauptfigur Agnes (unglaublich: Anja Plaschg, die als Soap & Skin auch den Soundtrack verantwortete) hereinbricht, vermeidet der Film aber plakative Klischees. Nichts wäre einfacher gewesen, als die Bewohner eines Bauerndorfs im 18. Jahrhundert als unaufgeklärte Hinterwäldler zu denunzieren - also "toxische Männlichkeit", sexualisierte Gewalt, für Frauen die Hölle auf Erden.
Das alles gab es zweifellos, doch Fiala und Franz interessieren sich vielmehr für die Ambivalenzen und Zwischentöne: Es gibt auch sanfte, nicht gewalttätige Männer in diesem Film. Und zwiespältige Frauenfiguren.
Ein intensiver, bildstarker Film (Kameramann Martin Gschlacht wurde in Berlin zu Recht prämiert) vor einer unglaublichen Landschaftskulisse. Wenn sich bei den Wald-Aufnahmen dezente "Antichrist"-Vibes einstellen, ist das kein Zufall. Gedreht wurde in Nordrhein-Westfalen, in der selben Gegend, wo auch Lars von Triers kontroverser Schocker entstand. Der ist aber fast noch ein Feelgood-Movie gegen DES TEUFELS BAD.
Ein abgründiges, an die Nieren gehendes, bildgewaltiges Meisterwerk. Für das, was Anja Plaschg in diesem Film leistet, fehlen mir grad die adäquaten Worte. Ansehen!