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Der Mann der über Autos sprang

Der Mann der über Autos sprang

DRAMA: Deutschland, 2010
Regie: Nick Baker-Monteys
Darsteller: Robert Stadlober, Jessica Schwarz, Martin Feifel, Anna Schudt

STORY:

Julian (Robert Stadlober) haut aus der Psychiatrie ab, in der er seit vier Jahren behandelt wird, weil er einen schweren Autounfall verursacht hat, bei dem sein bester Freund ums Leben kam. Jetzt will er zu Fuß von Berlin nach Stuttgart laufen um dem Vater seines besten Freundes somit Energie zu schicken. Der hat nämlich ein schwaches Herz. Auf seinem Weg trifft er die unglückliche Ärztin Ju (Jessica Schwarz) und weitere verlorene Seelen.

KRITIK:

Der Mann der über Autos sprang ist reine Poesie. "Es gibt kein Nichts - Nichts gibt es nie." erklärt Julian zu Beginn des Films aus dem Off. Das Nichts ist Energie, daraus entstand das Universum, daraus der Mensch und mit ihm der Geist, für Julian die höchste Entwicklungsstufe, denn der Geist kann alles. Auch die Schwerkraft überwinden? Das hat Julian nämlich versucht, als er über das fahrende Auto seines Freundes springen wollte, der dabei verunglückte.

Beim Betrachten des Films war ich mir lange nicht sicher ob ich ihn mag, oder nicht. Irgendwie konnte ich mich nicht ganz mit dem spirituellen Touch von Julian anfreunden. Auch verwirrte mich, dass er bestimmte Dinge kann oder weiss. Irgendwie hatte ich das Gefühl es passt nicht ganz in die Handlung. Der übliche Plot wäre gewesen, Julian hat tatsächlich ein bisschen einen Schaden und kann natürlich nicht die Schwerkraft überwinden, oder Hellsehen, sondern verrennt sich da in etwas. Die Geschichte endet dann tragisch und trotzdem haben alle was daraus gelernt. Doch irgendwann begriff ich, dass es gar nicht darum geht. Und dass der Film eben genau nicht diesen üblichen Weg einschlug, fand ich interessant. Wer diesen Film fühlen will muss zwischen den Zeilen lesen und nicht auf gnadenlosen Realismus setzen.

Der Film ist ein modernes Märchen. Die Protagonisten sind allesamt auf der Suche nach etwas. So etwa die unglückliche Ju. Bei ihrem Job als Ärztin ging ihr etwas verloren, nämlich ihr Herz. Der abgehalfterte Polizist Jan (Martin Feifel), der darauf angesetzt wurde, Julian zu finden und ihn zurückzubringen, handelt herzlos. Und die Ehefrau Ruth (Anna Schudt) ist nicht mehr mit vollem Herzen bei ihrer Ehe und bei ihren Kindern. Diese unglücklichen Seelen begegnen auf ihrer Suche dem wandernden Julian und schließen sich ihm an. In der Hoffnung etwas zu finden, das ihnen verloren ging: Ihr Herz. Mit ihrem Fußmarsch stärken sie zugleich das Herz des kranken Vaters. So zumindest die Hoffnung Julians.

Alle Protagonisten fliehen aus ihrem Alltag - und mal ganz ehrlich - haben wir uns das nicht alles schonmal gewünscht, hatte nicht jeder von uns schonmal das Gefühl, dass ihm etwas fehlt, auch wenn wir nicht sagen können was das ist? Somit trifft der Film einen Nerv, weil er das Tempo rausnimmt, alles verlangsamt und die heute so schnelllebige Zeit einen kleinen Moment anhält. Die Gespräche der Protagonisten verstärken zudem die ruhigen Momente.

Es geht um Schuld und Wiedergutmachung, ums Verlieren und Finden und vor allem ums Suchen. Der Weg ist ihr Ziel. Diese Menschen brauchen sich. Dabei ist nicht Julian ihr grosser Retter, denn "...was sie suchen tragen sie schon in sich." sagt Jan zu Julian, als er ihn als Scharlatan beschimpft. "...der Zauberer aus dem Zauberer von Oz entpuppt sich als Scharlatan...". In der Tat ist hier nicht Julian der grosse Erretter, er kann zwar besondere Dinge, aber eigentlich ist er doch nur ein normaler Mensch und genau davor hat er Angst. Sie alle wollen gerettet werden, auch Julian. Er braucht Ju dazu, so wie sie ihn braucht um sich selbst zu retten. "Sind sie mein Retter?" fragt Ruth Jan an einer Stelle des Films. Und so brauchen wir alle unsere Retter im Leben.

Es geht um die kleinen Dinge, nicht um die großen Wunder. Das ist zentrales Thema des Films. Julian tritt zwar als der Allwissende auf, doch wie schon erwähnt, ist auch er nur ein ganz normaler Mensch und das ist es worum es in Der Mann der über Autos sprang wirklich geht. Wir alle sind nur normale Menschen die von Zeit zu Zeit ihre Retter brauchen und selbst Retter sind. Ju die Ärztin, die täglich Leben rettet, aber auch Mensch sterben sieht, ebenso der Polizist Jan, auch Ruth die ihr Leben opfert für ihre Familie und nicht zuletzt der Retter Julian, der den Tod seines Freundes zu verantworten hat. All diese Protagonisten, genauso wie wir selbst, werden in ihren zwischenmenschlichen Begegnungen ein Stück weit gerettet und retten. Was mir daran gefiel war, dass der Film nicht übertrieben sentimental ist. Die Protagonisten sind traurig wie Menschen nunmal traurig sind. Als Ju Ruth im Supermarkt begegnet, fragt Ruth sie: "Was ist?" Ju antwortet: "Sie weinen". Nicht mehr nicht weniger.

Der Mann der über Autos sprang ist ein Moment der Stille, ein Innehalten. Ein verlangsamendes, Tempo rausnehmendes Gedicht über Zwischenmenschlichkeit. Die Musik im Film spiegelt dies wunderschön wider. Zu keiner Sekunde hab ich mich gelangweilt. Alles ist eine Sinnsuche, das ganze Leben und so wandern die Hauptdarsteller, genauso wie wir, auf unserem Weg um irgendwann anzukommen.

Der Mann der über Autos sprang seit dem 2.12.2011 auf DVD erhältlich.

Der Mann der über Autos sprang Bild 1
Der Mann der über Autos sprang Bild 2
Der Mann der über Autos sprang Bild 3
Der Mann der über Autos sprang Bild 4
Der Mann der über Autos sprang Bild 5
FAZIT:

Ein sicherlich verträumtes Filmgedicht. Und trotzdem gerade deswegen so realistisch. Ein kleiner Ausbruch aus dem Alltag für alle von uns, nachdem wir uns sehnen. Und ein Ankommen auf dem Boden. Ein Moment der Stille und des Begreifens worum es wirklich geht. Ganz einfach ein tröstender Film.

WERTUNG: 7 von 10 Fußmärschen nach Süddeutschland
TEXT © Nicky
Dein Kommentar >>
Gregor | 14.01.2012 23:34
Schöne Kritik die Lust auf den Film macht!
nicky | 15.01.2012 01:00
Danke :)
Marcel | 15.01.2012 11:08
Das ist wirklich eine schöne Kritik. Schreibst du so etwas schönes auch noch zu Manson?
Harald | 15.01.2012 11:51
Den Manson-Film hab ich unangesehen wieder in die Videothek zurückgetragen. Weil ich mich aus Prinzip weigere, völlig verstümmelte Schnittfassungen anzusehen. In der aktuellen deutschen Veröffentlichung fehlen 8 Minuten.
nicky | 15.01.2012 11:58
Hatte bis jetzt leider noch keine Zeit für
den Film. Mal sehen was rauskommt.
Marcel | 15.01.2012 12:43
@Harald, dann bleibt nur die Anchor-Bay bei den englischen Amazonen...
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