OT: Spalovac mrtvol
DRAMA/HORROR: CSSR, 1968
Regie: Juraj Herz
Darsteller: Rudolf Hrusínský, Vlasta Chramostová, Jana Stehnová
Prag in den 30er Jahren. Karl Kopferkingl führt eine nahezu perfekte Spießbürger-Existenz, in der alles seine Ordnung hat und nach streng Fahrplan läuft: Artige Ehefrau, wohlerzogene Kinder, trautes Bilderbuch-Heim, Glück allein. Auch beruflich steht alles zum Besten: Getreu seiner buddhistischen Überzeugung, wonach die Einäscherung von Toten das irdische Leiden verkürzt, leitet das Karl das städtische Krematorium mit großer Hingabe. Als eine neue Partei im benachbarten Deutschland große Erfolge feiert, ergeben sich auch für Karl beruflich (und sexuell) noch vielversprechendere Möglichkeiten ...
Anstelle einer knackigen Einleitung seien an dieser Stelle ausnahmsweise fremde Pressestimmen zitiert - und zwar direkt von der Website des Labels Bildstörung. Ganz einfach, weil die freundlichen Menschen dort immer recht haben und den Zitaten wenig hinzuzufügen ist:
"Egal ob man den Film nun urkomisch oder erschreckend findet, oder eventuell sogar unmöglich, entsetzlich und inakzeptabel. Eines ist ziemlich sicher: man wird ihn so schnell nicht vergessen." [BFI / Sight & Sound]
"Purer Horror, der sich langsam anschleicht, um einem dann mit seiner abscheulichen Schönheit den Kopf einzuschlagen." [Brutalashell.com]
"Definitiv ein Film, der die Bezeichnung 'Kult' verdient." [Eyeforfilm.co.uk]
"Ein Horrorfilm, der mit vollkommen irrem Grinsen die Tiefen geistesgestörter Verrücktheit auslotet." [Cinema-Suicide.com]
"Ein genial gruseliger Film, eine Mischung aus DR. SELTSAM und EKEL. Angenehm seltsam, zweifellos originell und gelegentlich furchteinflößend." [Channel4]
"Verwirrend, beunruhigend und voller pechschwarzen Humors bleibt DER LEICHENVERBRENNER einer der am stärksten nachhallenden Alpträume auf Celluloid." [Electric Sheep Magazine]
Nach VALERIE veröffentlicht das auf rare und kontroverse europäische Arthouse-Filme spezialisierte Label Bildstörung erneut einen Klassiker aus der "Neuen Tschechischen Welle". Das war eine cineastische Bewegung während der politischen und kulturellen Liberalisierung des tschechoslowakischen Kommunismus - Stichwort Prager Frühling - aus der international erfolgreiche Regisseure wie Milos Forman und Jaromil Jires hervorgegangen sind. DER LEICHENVERBRENNER kam 1968 in die Kinos. Zu einer Zeit also, als sowjetische Panzer den Prager Frühling buchstäblich niederwalzten. Auch wenn der Film die Rückgratlosigkeit der tschechischen Nazi-Kollaborature anprangert, kann er auch als Kritik am kommunistischen Unterdrückungsapparat selbst gelesen werden.
Aber keine Angst, ich habe nicht vor, mich hier zum Experten für osteuropäische Zeitgeschichte aufzuspielen und verweise lieber auf das 38-seitige, eng bedruckte Booklet, das diesbezüglich mehr als genug Information bereithält.
Zurück zum Film. Der Leichenverbrenner passt ins Programm von Bildstörung wie die berühmte Faust aufs Auge. Womit auch die Wirkung des Films hinreichend genau beschrieben wäre. Ein beklemmenderer und eindringlicher Blick in die gestörte Psyche eines opportunistischen Wahnsinnigen ist wohl kaum mehr denkbar. Qualtingers Herr Karl trifft Kubricks Dr. Seltsam im Kabinett, nein, Krematorium des Doktor Caligari.
DER LEICHENVERBRENNER ist ein lupenreiner Horrorfilm. Und zwar einer von der besonders hinterhältigen Sorte, bei dem sich das Grauen langsam anschleicht und fast ausschließlich im Kopf des Zusehers abspielt. Die Inszenierung erinnert an klassische Gruselfilme, die expressionistischen Bilder an die deutsche Stummfilm-Ära. Die Geschichte wird fragmentarisch erzählt, in der sprunghaften Art, in der die kranken Gedanken durch die Ganglien der wahnsinnigen Hauptfigur geistern.
Und falls jemand das Gesicht von Karl Kopferkingl (was für ein Name ;-) bekannt vorkommt: Es gehört Rudolf Hrusinsky, einem der bekanntesten tschechischen Schauspieler, dessen braver Soldat Schwejk das genaue Gegenteil des opportunistischen Nazi-Kollaborateurs Kopferkingl ist.
DER LEICHENVERBRENNER ist ein wahrlich beklemmender Bastard aus Satire, Drama und blankem Horror. Der wahnsinnige Zwillingsbruder von Qualtingers Herrn Karl lehrt uns das Fürchten vor betörend schönen, surreal anmutenden Schauplätzen in Prag, kurz vor dem Einmarsch der Nazis. Ein vergessenes Meisterwerk in expressionistischem Schwarz/Weiß, von unserem Lieblings-Label Bildstörung aus der Versenkung geholt. Danke dafür!