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Der Gejagte

Der Gejagte

OT: Affliction
DRAMA: USA, 1997
Regie: Paul Schrader
Darsteller: Nick Nolte, James Coburn, Sissy Spacek, Willem Dafoe

STORY:

Der Kleinstadtcop Wade Whitehouse (Nick Nolte) untersucht einen sehr rätselhaften Jagdunfall. Gezeichnet von tiefsitzenden, seelischen Wunden verirrt er sich in falschen Fakten, falsch kanalisiertem Zorn und bodenlosem, oft unterschwelligem, unauslöschlichem Hass.

KRITIK:

Der Ton des Films ist unglaublich bedrückend und die Trostlosigkeit von New Hampshires' eisiger Winterlandschaft daher ein mehr als geeigneter Schauplatz für Paul Schraders Geschichte. Schraders Kameramann Paul Sarossy fängt aber nicht nur Bedrückendes, sondern auch die oft majestätische Schönheit einer solch abgelegenen Gegend ein. Das Setting erinnert an Joel und Etan Coens FARGO oder Sam Raimis A SIMPLE PLAN, jedoch ist der Grundton des Films ein anderer und präsentiert einen oft und gern gesehenen Schauplatz in einem neuen, trostlosen Schimmer.

AFFLICTION (engl. Leiden/Gebrechen - Der deutsche Titel DER GEJAGTE ist eher irreführend und wie so oft leider sehr schwach) erzeugt ein kraftvolles Bild häuslicher Gewalt und was es heißt ein "richtiger" Mann zu sein. Der Film erzählt die Geschichte eines Mannes, der in den traurigen Teufelskreis dieser Gewalt gerät. Wie frei geborenes Wild in eine Bärenfalle sollte auch Wade nicht in diese feige Falle gedrängt werden und darin leben müssen. Doch einmal hineingetappt, entkommt man nur schwer seinen Peinigern. Genau wie sein Großvater seinen Vater (James Coburn) mit diesem Leiden infizierte, so tat dies sein Vater mit ihm. Ähnlich dem allgegenwärtigen, dominanten Schnee, der jeglichen Hilfeschrei, jeden noch so kleinen Laut auffängt, dämpft und erstickt, frist Wade jeden Schmerz in sich rein und absorbiert das Leiden bis zur Eruption... aus Angst die Kontrolle zu verlieren und zu werden wie sein Vater.

Doch Wades Schicksal ist besiegelt. Wade wurde von seinem Vater psychologisch unterworfen, geprügelt und gepeitscht zu einem seelischen Krüpel. Er ist dafür verantwortlich, dass Wade auf dem Torso durchs gesellschaftliche Leben kriecht. Das wahre Rätsel der Geschichte hat also nichts mit dem vordergründigen Jadgunfall, sondern mit Erziehung und der Relevanz von Genen zu tun... dem Grund für dieses ständige Weitergeben männlicher Gewalt... Generation um Generation um Generation... ein Gebrechen, welches auch Frauen trifft, die in solch einem Umfeld leben müssen und ihr Leben lang auf lautlos geschaltet werden. Der Film basiert auf einem Roman von Russel Banks (THE SWEET HEREAFTER) und hat einen eher reservierten Erzähl-Rhythmus.

Als Kontrast zum doch sehr emotionalen Plot begleitet uns immer wieder das kühle, distanzierte Voice-Over von Wades Bruder Rolfe (Willem Dafoe). Viele Kritiker bezeichneten dieses als Schwachpunkt des Films und man will ihnen eigentlich zustimmen. Obwohl es den Ton der bereits hoffnungslosen Atmosphäre trifft, richtet es mehr Schaden an als Nutzen oder ist einfach nur redundant. Vieles was im Film bereits gezeigt wurde, wird von Rolfe noch mal in kurzen Sätzen wiederholt als wolle Schrader sicher gehen, dass auch wirklich jeder der Zuschauer dem Geschehen folgen kann. Dazu muss man sagen, dass man kein Genie sein muss, um der Handlung zu folgen.

Wirklich eigenartig wird es aber erst, als sich der Erzähler zum selbsternannten Psychologen erklärt, Moralpredigten schwingt und irgendwelche möglichen Schicksale Wades präsentiert. Diese Voice-Over Momente könnten dem Film ernsthaft schaden, wäre da nicht so viel Bemerkenswertes. Ausserdem sind Dafoes Erzähl-Passagen so rar verstreut, dass sie schließlich nicht allzu viel anrichten. AFFLICTION funktioniert vor allem so gut wegen der brillanten Darsteller. Allen voran Nolte und Coburn, die in ihren gemeinsamen Szenen einen Erdrutsch physischer Dominanz lostreten wie man ihn selten im Spielfilm sah... ähnlich zwei Raubtieren, denen es um die Vorherrschaft im Rudel oder einfach nur ums Territorium geht. Die Figur des Wade Whitehouse lebt von einer enormen Vielseitigkeit. Durch großartige Vorbereitung und einer erstklassigen Umsetzung wird Wade Whitehouse Leben eingehaucht. Es entsteht eine komplexe Figur, ein echter Mensch. Er ist tragisch, hilflos, erbärmlich, wahnsinnig, verdammt. Und Nick Nolte ist sein mächtiger Herr. (Michael Shannon spielt ähnlich großartig in TAKE SHELTER, der eine ähnliche Thematik hat. Hier werden auch zwei Handlungen miteinander verwoben. Realität oder schlimmer werdender Wahnsinn, weitergegeben durch Erbgut?).

Wie ja bekannt ist, ist Nick Nolte eine ziemlich einschüchternde Wucht von Schauspieler, der meistens grobe Typen mimt. Anstelle eines auf den ersten Blick passenderen Schauspielers, gibt Schrader die Rolle des geprügelten Hundes ausgerechnet dem robusten Hollywood-Hünen und holt sich dadurch Gold. Was macht man aber, wenn man einen Schauspieler braucht, der auf den einschüchternden Nolte glaubhaft einschüchternd wirken soll? Genau. Man holt sich das noch robustere Raubein James Coburn, der hier vielleicht seine beste Leistung abliefert und dafür mit dem Oscar belohnt wurde. Daher möchte ich zum Schluss noch eine kleine (traurige?) Anekdote von Roger Ebert teilen, die bestätigt, was wir eigentlich schon immer wussten...'Schauspieler ' sind in Hollywood nicht unbedingt Schaupieler.

Roger Ebert: "I met with Coburn before the picture began,'' Schrader told me, "and told him how carefully Nolte prepares for a role. I told Coburn that if he walked through the movie, Nolte might let him get away with it for a day, but on the second day all hell would break lose. Coburn said, 'Oh, you mean you want me to really act? I can do that. I haven't often been asked to, but I can.' '' He can."

In diesem oder jenem oder weiß Gott welchem Sinne..."Wades Nerven lagen blank."

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FAZIT:

Eine ernstzunehmende und wichtige Anklage an das Patriarchat in der amerikanischen Kernfamilie. Eine Reise in die schwarze Seele falscher Männlichkeit. Der Kern des Films spiegelt einen Schmerz wider, so heftig wie Wades faulender Zahn... mit dem Unterschied, dass er sich nicht 'einfach' extrahieren lässt.

WERTUNG: 9 von 10 Mundspülungen mit Whiskey
TEXT © Thomas Haider
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