FILMTIPPS.at - Die Fundgrube für außergewöhnliche Filme

www.filmtipps.at
GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Der Exorzist

Der Exorzist

OT: The Exorcist
HORROR: USA, 1973
Regie: William Friedkin
Darsteller: Linda Blair, Ellen Burstyn, Max von Sydow, Lee J. Cobb, Jack MacGowran

STORY:

Von einem Tag auf den anderen erkrankt die 12-jährige Regan schwer. Sie rotzt ihren Mitmenschen Obszönitäten und Kotze ins Gesicht. Nachdem alle ärztlichen Untersuchungen ohne Ergebnis blieben, wendet sich die Mutter an einen Jesuitenpater...

KRITIK:

THE EXORCIST war für mich bislang immer ein Film, den ich schätzte, aber zugleich auch ein Film, der sein Versprechen nicht einlöste. Zu gut war sein Ruf, zu hoch meine Erwartungshaltung, als ich ihn vor gut 25 Jahren erstmals sah. Im Kino selbstverständlich. Formal brillant, aber zugleich nur selten so packend, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Dabei mangelt es dem Film nicht an offensichtlicher Qualität.

Die sehr lange Exposition etwa gibt dem Zuschauer ausgiebig Gelegenheit, sich in die Charaktere einzufinden. Regan ist ein pubertierendes Kind, und pubertierende Kinder sind eben nicht immer süß. Sie sind auf der Suche nach einer eigenen Persönlichkeit und versuchen sich durch Provokation zu emanzipieren. Exemplarisch drückt Regan ihre künstlerische Ader in Skulpturen aus und provoziert Gäste des Hauses mit einer Urinlache.

Das junge Mädchen hat es auch nicht einfach: ihre Mutter hat durch ihren Schauspielberuf nicht immer Zeit, der getrennt lebende Vater vergisst sogar ihren Geburtstag. Probleme also, wie sie in vielen Familien vorkommen. Dennoch bleibt die Mutter gelassen und reagiert auf Regans charakterliche und körperliche Veränderung liebevoll. Als das nicht mehr ausreicht, vertraut sie sich den Ärzten an. Sie bleibt auch dann noch gefasst, als diese zunächst nichts finden. Erst als die Ärzte erklären, dass ihre Mittel ausgeschöpft sind und ihr einen Exorzismus als Schocktherapie nahelegen, gerät ihr Weltbild ins Wanken.

Und erst jetzt führt der Film die parallel erzählte Geschichte eines jungen Paters mit dem Haupthandlungsstrang zusammen und damit zu Regan. Auch dieser hat mit seinen Dämonen zu kämpfen - er fühlt sich an dem Tod seiner Mutter schuldig. Dabei begreift der junge Pater Seelsorge durchaus modern und sieht seine Aufgabe eher psychotherapeutisch. An eine Besessenheit Regans durch den Teufel glaubt er nicht. Eigentlich glaubt er an gar nichts mehr.

Und so wird das Grauen erst nach und nach eingeführt. Es macht sich in unserer aufgeklärten Welt erst breit, als diese die scheinbare Sicherheit nicht mehr bieten kann. Friedkin vertraut auf seinen großen erzählerischen Bogen. Er beschränkt sich auf Andeutungen, Symbole, Hinweise, die man so, aber eben auch anders erklären könnte. Er lässt eine lange Zeit auch noch eine rationale Erklärung für all die Ereignisse zu. Erst im letzten Viertel wird die eigentliche Konfrontation unvermeidlich.

Genau damit fängt mein früheres Missverständnis an. Das Finale, das so oft herausgestellt wird und in scheinbarer Opposition zur Einleitung steht, kann sich überhaupt erst durch die lange Exposition entfalten. Wäre Friedkin mit der Tür ins Haus gefallen, wäre daraus ein banaler Schocker geworden, der den Gesetzen des Horrorfilms gehorcht. Es ist sein Verdienst, sich hiervon zu lösen und den Film einen Unterbau zu geben, der ihn weit darüber hinaushebt.

THE EXORCIST ist ein Film, der den Zuschauer in seinen Grundfesten erschüttern kann, weil er ihn in der Realität abholt. Er ist deshalb so verstörend, weil das Grauen sich langsam in den Alltag einschleicht und auf einer anderen Ebene auch alltäglich ist. Denn natürlich steht Regans körperliche und charakterliche Veränderung stellvertretend für die Angst der Eltern, ihre Kinder zu verlieren. Die Ärzte können eine Pubertät nicht verhindern. Oder das Erwachen der Sexualität unterdrücken. Es wäre ein aussichtsloser Kampf, die Zeit anhalten zu wollen, die Metamorphose zu verhindern. Und die Frage bleibt, ob es wirklich gut für alle Beteiligten ist, wenn man damit Erfolg hätte. Genau das aber strebt Regans Mutter an.

Friedkin spielt dazu souverän auf der filmischen Klaviatur. Er weiß, wann er welche Erwartungen schürt. Es ist eine kalkulierte Mischung aus subtilen, kaum wahrnehmbaren Andeutungen einerseits und plastischen Horror andererseits. Friedkin lässt beiläufig gezeigten Kinderzeichnungen eine extrem provozierende Masturbationsszene folgen. Nichts scheint mehr kontrollierbar. Das macht es dem Zuschauer unmöglich, Halt zu finden oder sich auf das Kommende vorzubereiten - und gerade dann, wenn er die Erwartungen unterläuft, gelingen Friedkins die unheimlichsten Momente.

So war dann auch die letzte Sichtung eines meiner unheimlichsten Erlebnisse der letzten Jahre. Obwohl ich den Film kannte, fühlte ich mich total verunsichert. All das, was ich zuvor vermisst habe, war plötzlich da. Weil ich den Film den Raum gegeben habe, den er beansprucht. Weil ich mich auf das teuflische Spiel eingelassen habe. Und wenn man mit dem Teufel spielt, kann man nur verlieren.

Bleibt abschließend noch der Blick auf den sogenannten Directors Cut. Treffender ist die ursprüngliche Bezeichnung "The Version you've never seen before". Richtig ist, sie zeigt mehr. Mehr Fratzen, mehr Dialoge und auch den Spiderwalk. Sie ist vulgärer und in allen Punkten wesentlich deutlicher. Das mag für den Zuschauer befriedigender sein. Aber das fragile, ausbalancierte Konstrukt bricht in sich zusammen. Und Friedkin betonte auch, dass er auf fehlenden Szenen in seiner ursprünglichen Kinofassung bewusst verzichtet hat.

Der Exorzist Bild 1
Der Exorzist Bild 2
Der Exorzist Bild 3
Der Exorzist Bild 4
Der Exorzist Bild 5
Der Exorzist Bild 6
Der Exorzist Bild 7
FAZIT:

THE EXORCIST ist ein Film, der das Gruseln lehrt. Ein Klassiker. Einer der wenigen gelungenen Filme, die Urängste sichtbar machen. Und der der dunklen Seite dieser Welt ein Gesicht geben. Ob es das der Mutter ist, das eigene Spiegelbild oder tatsächlich der Teufel in Menschengestalt, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Ob man den Film als Metapher oder wörtlich nimmt - die Wirkung bleibt nicht aus. Sie ist der pure Horror.

Und der Trailer ist ein Meisterwerk für sich. Zwei Minuten allein im Dunkeln, and it scares the shit out of you.

WERTUNG: 9 von 10 Gesichtern des Teufels
TEXT © Marcel
Dein Kommentar >>
Martin Navrátil | 08.12.2012 08:09
Amen!
(für mich persönlich ein Kunstwerk)
>> antworten