HOAMATKITSCH: A, 2010
Regie: Reinhold Bilgeri
Darsteller: Beatrix Bilgeri, Jaron Löwenberg, Gerd Böckmann, Laura Bilgeri
Die verarmte Adelige Erna sucht nach dem Tod ihres Vaters nach ihrem Sein als Individuum. Sie findet dieses als Lehrerin in den Bergen des Großen Walsertales (Vorarlberg). Als sie sich in ihren Lehrerkollegen und Lawinenforscher Eugenio verliebt, nutzt sie ihre aristokratischen und persönlichen Beziehungen zum Baron von Kessel um einen besseren Lawinenschutz für ihre neue Heimatgemeinde zu erwirken. Doch als dieser einwilligt die Hänge über Blons zu verkaufen, um dort Lawinenschutzbauten errichten zu können, ist es bereits zu spät...
An einem Wochenende durchquerte ich die kleine Gemeinde Blons. Wie immer, wenn ich als Vorarlberger dieses Dreihundertzwanzigseelendorf streife, gedachte ich der größten Lawinenkatastrophe der Alpen, die sich am 11. Jänner 2014 zum 60. Male jährte. Ganz Vorarlberg hatte mit heftigen Schneefällen und unzähligen Lawinenabgängen zu kämpfen, wobei Blons am härtesten getroffen wurde. Von über 120 Todesopfern, waren alleine in Blons 57 zu betrauern. Rund ein Drittel aller Blonser Häuser war zerstört. Und wie das Schicksal so will, wurde just am Abend meines Besuches, DER ATEM DES HIMMELS ausgestrahlt.
Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman von Reinhold Bilgeri. Der Roman wiederum beruht zu einem Gutteil auf dem Leben Bilgeris Mutter und zu einem anderen Gutteil auf eben dieser Lawinenkatastrophe. Und weil (entgegen der Behauptung Bilgeris) wohl keiner den Roman verfilmen wollte, nahm Bilgeri das einfach selbst in die Hand. Er zeichnet sich deshalb auch als Drehbuchschreiber, Regisseur und Produzent. Aufgrund seiner Vergangenheit als mehr oder weniger erfolgreicher Austropopper, grenzt es an ein Wunder, dass er nicht auch noch am Soundtrack gebastelt hat. Aber dieser stammt von Raimund Hepp. Und trotzdem ist DER ATEM DES HIMMELS, alles in allem, ein sehr autokratisches Projekt. Ob dies dem Film gut getan hat, mag getrost bezweifelt werden.
Anfangs stellt sich der Film noch als Charakterdrama dar. Sehr präzise und einfühlsam werden Erna von Gaderthurn (Beatrix Bilgeri) und Ernas Mutter (Krista Stadler) gezeichnet. Die beiden Frauen stehen, nach dem Tod des Familienoberhauptes, vor dem Verlust ihrer adeligen Integrität. Als Zuseher spürt man dabei den Mutter/Tochter-Konflikt und erfreut sich einer recht akzeptablen dramaturgischen und schauspielerischen Leistung. Leider ändert sich diese Einschätzung mit Fortdauer zunehmend. Zu sehr ist der Regisseur, den restlichen Film lang, darauf bedacht Hollywood zu imitieren. Das mag vermarktungstechnische Gründe habe, steht einer österreichischen Produktion aber nicht gerade gut zu Gesicht.
Reinhold Bilgeri, ein Autodidakt der Filmkunst, dürfte sich das Drehbuchschreiben mittels Syd Fields The Screenwriter's Workbook beigebracht haben. Nachdem im ersten Akt nämlich das Familiendrama der Von Gaderthurns erzählt wird, folgt der allseits beliebte PP1 (Plot Point 1). Erna entschließt sich ihrem Herzen zu folgen und Lehrerin in einem kleinen Bergdorf namens Blons zu werden. Soweit so gut, hätte der ATEM DES HIMMELS nicht trotz Drehbuch à la Hollywood den Anspruch, auch ein vorarlbergerischer Film zu sein.
Der zweite Akt ist deshalb von typischen Merkmalen des Heimatfilms geprägt. Almwiesen, Berge, Täler, die "unberührte" Natur des schönen Walsertals wird - in zugegebenermaßen teilweise tollen Bildern und langen Kameraflügen - zur Hauptattraktion. Bedauerlicherweise wird diese alsbald von dunklen Seiten des Heimatfilms abgelöst. Schlecht inszenierte, stereotype Figuren wechseln sich dann mit teilweise unmotivierten, dafür höchst kitschigen Handlungselementen ab. So zum Beispiel wenn Erna sich allzu plötzlich zu Rock´n`Roll dreht, sodass Seppe (Bernhard Gstöhl) ihr unters (Trachten)Röckchen schauen kann. Auch eine "dramatische" Liebesgeschichte, in dörflicher Gemeinschaft, darf hier natürlich nicht fehlen. Erna kann sich nämlich nicht so recht zwischen dem Lehrer/Lawinenforscher Eugenio (Jaron Löwenberg) und dem Landbesitzer/Baron von Kessel (Gerd Böckmann) entscheiden. Doch pünktlich zum MD (Midpoint) steht ihre Entscheidung fest. Sie entscheidet sich für Eugenio und will diesem helfen, den Baron davon zu überzeugen, Land für Lawinenbauten herzugeben. Es folgt ein langatmiges Durcheinander, mit Missverständnissen und anderen Problemen, welches den Rest des zweiten Aktes füllt.
Den PP2 bildet dann, die trotz aller Mühe kommende und vom Zuseher schon beinahe herbeigesehnte, Lawine vom Falvkopf. Auch hier liefert DER ATEM DES HIMMELS einige ganz ansehnliche Bilder. Doch wenn Erna andauernd zwischen dem Haus, unter dem Eugenio begraben liegt und dem Dorf hin und her irrt, es dann von einem Helikopter angehoben wird und Eugenio trotzdem stirbt, sind sowohl Darsteller an ihrem schauspielerischen, sowie das Publikum an seinem zuseherischen Zenit angekommen. Durch eine, vor Kitsch und Rührseligkeit triefende, Schlussszene, in der Erna ihren Kindern Pia (adoptiert/Laura Bilgeri) und dem namenlosen Bub (von Eugenio/Cornelius Rhomberg) liebevoll und froh Lauser (Lausbub, Frechdachs) hinterherruft, wird dann das Schicksal vieler zum Glück einzelner verkehrt und das Unglück scheint nie stattgefunden zu haben. Nach Syd Fields Paradigma also einwandfrei, aber ansonsten ganz ganz schwach.
Zum Schluss noch ein paar ganz subjektive Eindrücke zu DER ATEM DES HIMMELS in dialektischer Form: Als Vorarlberger fühl i mi nämlich durch dia pietätlose Darschtellung vo dar wohrschindle schlimmschta (Natur)Katastrophe üsara Landesgschicht und deam reschpektlosa Umgang mit üsaram schöana Dialekt persönlich agriffa und beleidigt. Wenn dar Tod vo über hundert Lüt zu na blöda Liebesgschicht gmacht würd, denn künnt i fascht plära. Und wenn denn oh noch so a blöde Mischsproch varwendat würd, dia nix mit unserm Dialekt zum toa hat, nur zum a vermoantliche Authentizität zum erreicha, denn würr i richtig load.
Us Vorarlberger Sicht isch DAR ATEM DES HIMMELS an depat-schnulziga Hoamatkitschfilm, der zwar a paar schöne Bilder dinna hat, aber erschtens reschpektlos mit üsaram Dialekt umgot und zwoatens a Liebesgschicht ganz pietätlos durch a riesen Unglück theatralisiert.