OT: The Secret Life of Walter Mitty
KOMÖDIE/DRAMA: USA, 2013
Regie: Ben Stiller
Darsteller: Ben Stiller, Kristen Wiig, Adam Scott, Shirley MacLaine, Sean Penn
Seit 16 Jahren verwaltet der Mittvierziger Walter Mitty (Ben Stiller) das Archiv des Fotojournalismusmagazins "Life". Eine Million Bilder sind durch seine Hände gegangen, und noch nie ist ihm eines abhanden gekommen. Doch heute ist nicht gerade Walters Glückstag: Ein arschlöchriger Jung-Manager mit lächerlichem Bart eröffnet den fassungslosen Mitarbeitern, dass das legendäre Magazin eingestellt wird. Eine letzte Ausgabe soll noch produziert werden. Walter hat eine Woche Zeit, ein verschollenes Negativ des geheimnisumwitterten Fotoreporters Sean O'Connell (Sean Penn) zu besorgen. Auf der Jagd nach dem verlorenen Foto wächst Walter Mitty über sich hinaus, und selbst hungrige Haie und Vulkanausbrüche können den einstigen Tagträumer Walter nicht stoppen ...
"Der beste Arcade Fire-Song im schönsten Ben Stiller-Film seit Zoolander. Perfekter Start ins Kinojahr 2014."
Facebook-Statusmeldungen direkt nach dem Kinobesuch klingen bei mir meist euphorischer als die Filmkritik, die ich dann ein paar Tage später auf dieser kleinen Website nachreiche. Bei Walter Mitty ist der Fall anders gelagert: Hier will die Euphorie nicht und nicht abklingen; auch Tage danach zaubern mir bestimmte Szenen einen Grinser ins Gesicht, gehen mir Sequenzen aus dem Film durch den Kopf und hellen meinen Alltag auf, der dem von Walter Mitty leider viel, viel ähnlicher ist, als ich es mir eingestehen will. Aber gut, sind wir nicht alle ein bisschen Walter Mitty? Mit unseren grauen Tretmühlen-Jobs, unseren Unsicherheiten, Neurosen, Ängsten und Selbstzweifeln?
Walter Mitty, das hab ich erst im Zuge der Recherchen zu diesem Film erfahren, ist eine populäre Kurzgeschichte aus dem Jahr 1939 und wurde in den USA zum Synonym für Tagträumerei und Realitätsflucht. Mit dem 1949 entstandenen Film gleichen Titels hat Ben Stillers Version der Geschichte übrigens nur den Titel gemeinsam.
"Ein Change-your-life-Flick vom Stiller - darauf hat die Welt gewartet", schrieb Facebook-Freund Bernhard, und ich hätte seinen Sarkasmus auch ohne Smiley am Satzende förmlich riechen können. Was meine kleine Welt betrifft: Die hat tatsächlich darauf gewartet, und für den Rest kann ich nicht sprechen. Bernhard, so stellte sich im Laufe der Diskussion heraus, hat kein Problem mit Ben Stiller. Wohl aber mit "der immer größer werdenden Anzahl dieser Filme, die uns einreden wollen, unser Leben sei langweilig/bedeutungslos/erbärmlich und jeder soll doch jetzt bitte endlich die Welt erobern. Was ist so schlimm daran ein Tagträumer zu sein?"
Die Antwort von Facebook-Freund Christian ließ nicht lange auf sich warten: "Weite Teile der westlichen Arbeitsameisen sind viertel-, halb- oder volldepressiv, nur wenige leben noch psychopharmakafrei, irgendwie reagiert auch das Unterhaltungskino auf Vereinsamung und Entfremdung, ob alleine, zu zweit oder in Gruppen (-Therapien). Die diversen US-Serien sind da führende Vorläufer, da geht es rundum nur um das Sich-wiederaufrichten und halbwegs-durchs-Leben-taumeln, aber die Fratpack-Posse um Ben Stiller oder auch Judd Apatow produziert schon länger Lebenshilfe-Filme. Wobei es ja nicht gegen das Tagträumen geht. Sondern eher um ein Plädoyer fürs Leben."
Bernhard ließ nicht locker und hielt dagegen, dass die Menschen durch solche Over-the-Top-Feelgood-Movies doch nur noch depressiver werden würden, weil ihnen hier ein Ideal vorgehalten wird, das realistischerweise unerreichbar sei. Er unterstellte diesen Filmen Musikantenstadl-Methoden. Wörtlich: "Für mich ist das jedenfalls keine Lebenshilfe, sondern Hollywood-Kitsch in Reinstform. Lebenshilfe wie man sie sich halt so vorstellen kann, wenn man in einer Millionärsvilla in L.A. sitzt."
Dabei hat gerade Walter Mitty keine einfachen Lösungen parat und propagiert auch gar keine wie auch immer gearteten Idealzustände. Der Film ist eher ein Motivations-Tritt in den Hintern - Nach dem Motto: Hör auf, es dir in deiner Depression gemütlich einzurichten. Raus aus deiner passiven Suderanten-Komfortzone. Und er ist nicht kitschig, sondern (wie bei Ben Stiller nicht anders zu erwarten) stellenweise zum Schreien komisch: Allein die Szene, in der Stiller zu Bowies 'Space Oddity' in den Helikopter springt, dessen Pilot sich aus Angst vor dem nahenden Unwetter geschätzte 10 Mut-Bierchen genehmigt hat, ist die Kinokarte wert.
Bei Facebook-Freund Dieter hingegen hat dieses Motto kein Leiberl: "Raus aus der Suderanten-Komforzone" - für Dieter ist das ein hohler Motivationsseminar-Spruch für neoliberale Selbstoptimierungsgurus. Worauf Christian einwarf, dass "Ben Stiller die Schwierigkeit, einen motivierenden Arschtritt in Richtung Suderanten zu richten - der besonders auch in Wien ständig notwendig ist - ohne dabei in neoliberale Selbstoptimierungsslogans zu verfallen, bestens gemeistert hat. Mit etlichen Hieben in Richtung neoliberale Selbstoptimierung."
Man merkt schon, der Film bietet einiges an Diskussionsstoff, was bei diesem Regisseur/Hauptdarsteller möglicherweise nicht jeder erwartet hat. Klar, irgendwann kommen sie alle ins Alter für tragische oder zumindest anspruchsvollere Rollen. Bei Ben Stiller hat sich diese Phase ja schon mit dem ebenfalls großartigen GREENBERG (2010) angekündigt. Ähnlich wie Jim Jarmuschs ONLY LOVERS LEFT ALIVE kann man den Film aber auch als Liebeserklärung an die zu Ende gehende Analog-Ära sehen, konkret als Würdigung des aussterbenden Berufs des Foto-Journalismus. Dass ein Film, der der Foto-Kunst einen Altar baut, natürlich perfekt fotographiert ist, versteht sich fast schon von selbst. Dennoch oder gerade deshalb fesseln die glasklaren Bilder, die Kameramann Stuart Dryburgh (Das Piano) auf die Leinwand malt.
Angetrieben von einem wundervollen Soundtrack - wann, bitte hat man zuletzt einen Arcade Fire-Song im Kino gehört? - geht Ben Stiller auf große Bilderjagd. Die - no na- bildgewaltige Tragikomödie um einen Tagträumer, der in höchster Not über sich hinaus wächst, ist auch ein bitterer Kommentar zur gegenwärtigen Printmedienkrise. Aber viel mehr noch ein höchst amüsanter filmischer Motivationstritt in den Hintern von Suderanten und Zynikern aller Couleurs. Blöd nur, dass diese Leute üblicherweise keine Ben Stiller-Filme gucken. Für alle anderen gilt: Unbedingt auf großer Leinwand genießen!