OT: The Imaginarium of Doctor Parnassus
FANTASY/KOMÖDIE: GB/CAN, 2008
Regie: Terry Gilliam
Darsteller: Heath Ledger, Christopher Plummer, Lily Cole, Tom Waits, Johnny Depp, Jude Law
Nix mit Frühpension: Dr. Parnassus (Christopher Plummer) hat über 1000 Jahre auf dem krummen Buckel und tingelt immer noch als Schausteller und Varietebühnenbetreiber durch London. Das Geschäft läuft schlecht. Das Personal murrt. Und kein Geringerer als der Teufel (herrlich: Tom Waits) schaut in regelmäßigen Abständen vorbei und erinnert Dr. Parnassus an die schwachsinnige Wette, die er damals angenommen hat. Verdammte Unsterblichkeit, dein Preis ist zu hoch! Doch dann bringt ein neuer Assistent namens Tony (Heath Ledger) frischen Schwung in die wackelige Bude, und die Londoner Damenwelt steht Schlange vor dem magischen Spiegelkabinett des Dr. Parnassus. Was es da wohl zu sehen gibt?
Johnny Depp zum Beispiel. Und Jude Law. Und Colin Farell. Allesamt gute Freunde von Heath Ledger, der bekanntlich während der Dreharbeiten verstarb. Die genannten Herren sprangen kurzerhand ein - kolportierterweise ohne Gage - und liehen Heath Ledgers hinreißend-verschlagener Filmfigur Tony ein zweites, drittes, viertes Gesicht.
Man merkt schon: Es wird ein wenig surreal und chaotisch in den nächsten 120 Minuten. Terry Gilliam findet allmählich zu alter Form zurück und zieht alle Register in diesem ausufernd bunten, bizarren, schwarzhumorigen Fantasy-Märchen für Erwachsene.
Man sieht dem Film an, dass hier ein Regisseur am Werk war, der nicht mit Marvelcomics und Videogames aufgewachsen ist, sondern mit existentialistischer Literatur und bewusstseinserweiternden Drogen. Eindeutig die bessere Wahl, falls mich wer fragen sollte.
In seinen besten Momenten scheint der gute alte Monty Python-Spirit deutlich durch. Zwar nicht unbedingt in der Qualität der Pointen - die hätten ruhig ein paar Hausecken radikaler und anarchischer ausfallen dürfen - wohl aber in zeitweise herrlich altmodischen Stop-Motion-Animationen in bester Siebziger Jahre-Ästhetik.
In den schwächeren Momenten, die es leider auch gibt, tritt die verworrene Geschichte etwas auf der Stelle. An den CGI-Rechnern, die leider auch in hoher Zahl eingesetzt werden, saßen Weichzeichner- und Farbfilter-Fetischisten, die eine verkitsche LSD-Bilderwelt irgendwo zwischen Hello Kitty, Alice im Wunderland und diesen naiven Paradies-Malereien aus den Zeugen Jehovas-Heftln kreierten. Sehr strange, das. Aber möglicherweise auch beabsichtigt. Vielleicht sehen so die feuchten Konsumträume der Pelzmantel- und Prada-Taschen-Trägerinnen aus, die sich in Doktor Parnassus magisches Spiegelkabinett verirren. Who knows?
Es ist nämlich so: Dr. Parnassus (Christopher Plummer) ist ein Geschichtenerzähler ganz alter Schule, der Träume wahr werden lässt, sobald man hinter seinen magischen Spiegel tritt. Bloß: Sein Humanismus und sein unerschütterlicher Glaube an die Kraft der Phantasie passen nicht mehr ganz in die heutige Zeit. Ein Schelm, wer hier ein Alter Ego des Regisseurs erkennt
Dr. Parnassus gehört vielleicht nicht zu Terry Gilliams Meisterwerken. Diese Ehre wird wohl auf ewig BRAZIL, TWELFE MONKEYS und vor allem FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu Teil. Aber die Formkurve zeigt eindeutig nach oben. Und der relativ gut gefüllte Kinosaal zeigt, dass auch Publikumsinteresse vorhanden ist. Schön.
Nach diesem Fiasko hätte ich es kaum mehr für möglich gehalten. Aber es gibt sie noch, die intelligenten, (schwarz)humorigen, im besten Sinne altmodischen, visuell und erzählerisch visionären Fantasy-Filme. Danke, Terry Gilliam!