OT: Dark Water
HORROR: USA, 2005
Regie: Walter Salles
Darsteller: Jennifer Connelly, John C. Reilly, Ariel Gade, Pete Postlethwaite
Ein Film der großartig und vielversprechend beginnt: Jennifer Connelly als frisch geschiedene Mutter Dahlia Williams, die gegen ihren Ex-Mann um das Sorgerecht ihrer kleinen Tochter Ceci kämpfen muss. Das Geld ist knapp und die Suche nach einer halbwegs brauchbaren und trotzdem noch leistbaren Wohnung ist schwer - schließlich muss sich die kleine Familie mit einem heruntergekommenen Wohnbau begnüngen, in dem das Wasser von der Decke tropft. Doch damit nicht genug ... in diesem Bau scheinen unheimliche Dinge vor sich zu gehen, das Gebäude ein seltsames Eigenleben zu führen. Alles nur Einbildung? Verstärkt die schwierige, neue Lebenssituation einfach nur schon die psychisch vorbelastete Dahlia? Oder steckt mehr dahinter?
KRITIK:Manche Dinge kann man sich nur schwer abgewöhnen. Zum Beispiel, dass ich mir immer noch gerne jede Woche spätabends den Sonntags-Columbo im ORF ansehe. Und auch wenn ich manche Folgen sicher schon mehr als nur einmal gesehen habe, haben diese für mich immer noch wesentlich mehr Reiz als dieser ganze CSI-Rotz, der gegenwärtig auf so ziemlich allen Kanälen rauf- und runtergespielt wird.
Schon seltener passiert es mir da, dass ich mir danach noch den ORF-Nachtfilm ansehe. Meist ist der ohnehin von eher unterdurchschnittlicher Qualität. Diesen Sonntag hatte allerdings "Dunkle Wasser" meine Aufmerksamkeit erregt. War es anfangs noch eher ein "warten-wir-mal-auf-den-Titel-um-zu-sehen-was-da-läuft", hatte der Film alsbald meine ungeteilte Aufmerksamkeit: John C. Reilly! John C. Reilly im ORF-Nachtfilm! Was hat diesen unterschätzten Gott der Schauspielkunst in die dunklen, düsteren Sphären des nächtlichen Staatsfunk-Platzhalters herabsteigen lassen?
Kann dann wohl nichts schlechtes sein, das da, was da läuft.
Wohlwissend um die physischen und psychischen Schmerzen, die mir diese Entscheidung am Montag Morgen beim Aufstehen einbringen würden, entschied ich mich also, John C. Reilly nicht wie ein Ketzer aus meinem Fernseher zu verjagen, sondern ihm jeden Raum zu geben, den er sich für die Erfüllung seiner Bestimmung zu beanspruchen gedachte.
Und er enttäuschte mich nicht: als Mr. Murray versucht er, Dahlia und Ceci die heruntergekommene Wohnung schmackhaft zu machen. Es folgen 15 großartige Minuten, in denen Reilly voll und ganz in seiner Rolle aufgeht und eine Haus- und Wohnungsführung veranstaltet, die sich gewaschen hat. Nach allen Regeln der Verkaufskunst redet er um Probleme herum, verspricht das Blaue vom Himmel und manipuliert seine potentiellen Mieter, dass es eine Freude ist.
Wer wie ich keine Ahnung hat, dass das Ganze ein Horror-Film werden soll, wird diese 15 Minuten genießen. Regisseur Salles schafft hier eine Tiefe und ein Detail, die so richtig Lust auf mehr macht.
Wer allerdings vor dem Film wusste, dass ein gewisser Kôji Suzuki, seines Zeichens verantwortlich für "The Ring", der Autor des zugehörigen Buches ist und sich entsprechend einen Schocker erwartet, wird ob der unerwarteten Länge dieser Szene mit nur leichten Suspense-Elementen eher etwas ratlos im Stuhl sitzen.
Bis hierher - toll. Wie kommt es dass ich von diesem Film noch nichts gehört hatte?
Doch als der Film mit immer mehr Horror-Elementen angereichert wird, beginne ich zu zweifeln: wird das jetzt doch nur ein platter Horror-Reißer? Wird man jetzt wirklich die psychologisch schön herausgearbeiteten Hauptcharaktere am Ende als völlig normal hinstellen und so tun, als wär all das nur passiert, weil irgendwo böse Mächte am Werk sind?
Für mich, ohne Vorwissen über den Film, ist das schwer zu beurteilen - denn in der Tat werden Stilmittel, die klassische Horror-Klischees erfüllen, zusehends zahlreicher - andererseits passiert aber ... nichts. Gar nichts. Der Film ist sogar sehr bemüht, immer sehr rationale Erklärungen für bestimmte Ereignisse zu liefern.
So entwickelt sich der Film erfreulicherweise eher in die Richtung eines detaillierten, wenn auch ungewöhnlichen Psychogramms. Sowohl Mutter als auch Tochter tun sich schwer, sich mit ihrer neuen Situation abzufinden - Dahlia sieht sich eines immensen Drucks ihres Ex-Mannes ausgesetzt, der ihr das Sorgerecht mit allen Mitteln streitig machen will und sie dafür als astreine Psychopathin hinstellen will, deren negativer Einfluss auch die Psyche ihrer Tochter schädige. Die neue Wohnung ist ein Loch, ständig tropft es von der Decke, sowohl der Hausmeister als auch Mr. Murray sind nicht gerade hilfsbereit. Ceci ist sozial isoliert, hat keine Freunde, denkt sich schließlich eine imaginäre Freundin aus, was ihr in der Schule erhebliche Schwierigkeiten einbringt. Und schließlich ist es die gesamte neue soziale Stellung, mit der Dahlia nach der Scheidung einfach nicht klarkommt.
Jennifer Connelly steht zwar im Schatten Reillys, sobald sie Szenen mit ihm gemeinsam spielen muss - liefert ansonsten aber auch eine wirklich solide Vorstellung ab. Ebenso Ariel Gade als Ceci - bis hierhin ist der Film also eine astreine Überraschung.
Doch als es immer offensichtlicher wird, dass der Film sich damit nicht zufrieden geben wird, beginnt er, sich konsequent selbst zu zerstören.
Da baut Salles also wirklich über den Großteil des Films feinst gezeichnete Charaktere auf, denen wir durchaus abkaufen, dass sie Realität und Phantasie schon mal durcheinanderbringen können, denen man absolut abkauft, dass die an erheblichen Angstzuständen leiden - und dann soll das wirklich so enden, dass das alles nur so passiert, weil es irgendwo im Wohnblock geistert?
Am Ende sieht es dann aber doch noch so aus, als würde alles seine rationalen Gründe haben. Zu diesem Zeitpunkt hat der Film schon viel von seiner ursprünglichen Glaubwürdigkeit eingebüßt, doch damit hätte Salles alles nochmal retten können. Zumindest für das Niveau, das man sich von einem ORF-Nachtfilm erwartet. Doch mitnichten - Salles setzt einen Endpunkt im Film, der wirklich alles, was man vorher am Film gut fand, ad absurdum führt.
Dieser Film hätte eine wirklich glänzende Abhandlung über die schweren Folgen, die eine Scheidung für die beteiligten Personen haben kann, sein können. Verlust der sozialen Stellung, Sorgerechtsstreitigkeiten, Einsamkeit - umstellen von der "glücklichen Familie" auf einen Kampf ums Überleben ... all das hätte "Dunkle Wasser" auf eine zugegeben ungewöhnliche, aber durchaus glaubwürdige Art abhandeln können. Und man hätte dafür noch nichtmal auf die recht zahlreich gestreuten Horror-Elemente verzichten müssen - sie passten perfekt zu dem Horror, der sich in den Köpfen der Protagonisten festgesetzt hat.
Oder hätte. Denn am Ende erklären uns Regisseur Salles und Autor Suzuki, dass das rein gar nichts mit psychischen Problemen zu tun hat. Stellt somit sogar in Frage, ob Trennungen tatsächlich ein Problem für Menschen darstellen können.
Ein Film, der zu den besten seines Jahres gehört haben könnte, unfassbar primitiv in den Sand gesetzt.
Aber John C. Reilly war trotzdem großartig.