DRAMA: DK, DE, UK, FR., 2000
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormare, Jean-Marc Barr, Udo Kier
Selma wird langsam blind. Um ihren einzigen Sohn Gene vor dem gleichen Schicksal bewahren zu können, wanderte sie vor Jahren nach Amerika aus. Mit Schichtarbeit in einer Fabrik und kleineren Nebentätigkeiten versucht sie das Geld für Genes Behandlung zusammen zu bekommen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn Selmas Augenlicht ist längst zu schlecht um die schweren Maschinen in der Fabrik bedienen zu können. Ihr Nachbar Bill hat ebenfalls Geldprobleme, seine Frau lebt über ihren Verhältnissen und er hat Angst davor, ihr das zu eröffnen. Als Selma ihm von ihren Ersparnissen erzählt, sieht Bill einen Weg die heile Fassade aufrecht zu erhalten...
In a musical, nothing dreadful ever happens
Vierzehn Jahre ist es her, seit Lars von Trier mit seinem Musical-Drama "Dancer in the Dark" die Goldene Palme kassierte und Björk in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Knapp acht Jahre dürfte es her sein, seit dem ich den Film ungläubig das erste Mal im Fernsehen sah und nun, da Koch Media mit einer Wiederveröffentlichung (erstmals überhaupt auch auf Blu-ray) aufwartet, wird es Zeit sich den Film wieder einmal zu Gemüte zu führen.
Eines vorweg: Von seiner emotionalen Wucht hat der Film auch nach über vierzehn Jahren nichts verloren. "Dancer in the Dark" ist mit Sicherheit keine leichte Kost, darüber können auch die Musicaleinlagen, die den Film anfangs immer wieder auflockern nicht hinwegtäuschen.
Überhaupt Musicals. Für die naive, manchmal auch kindlich wirkende Selma sind ihre Musicals mehr als nur Unterhaltung oder Ablenkung, Selma lebt für die Musicals. Immer wieder verwandelt sich die oftmals langweilige Welt die sie umgibt, in eine Bühne und an Orten, an denen man es nie vermuten würde, entstehen Melodien, Menschen beginnen zu singen und zu tanzen. Das alles geschieht natürlich nur in ihrem Kopf.
Mit dieser Mischung aus Leichtigkeit, heiler Welt und auch dem Kitsch, wie es sie wohl nur in Musicals gibt, begegnet Selma auch den Menschen um sich herum. Selma glaubt an das Gute in ihren Mitmenschen, daran, dass sich am Ende immer alles zum Guten wenden wird, dass immer jemand da ist, der einen auffängt. Wie in Musicals eben.
"When the dog bites,
when the bee stings
When I'm feeling sad I simply remember my favorite things
And then I don't feel so bad"
The Sound of Music - My Favorite Things
Die bunten Musicalszenen, in denen sich die graue Welt aus Fabrikhallen, Bahngleisen und sterilen Gerichtssäle in Kulissen, die man sonst nur aus alten Hollywoodproduktionen zu kennen glaubt, verwandeln, sind wie gemacht für die große Leinwand. Solche Schönheit in Bildern hätte man Lars von Trier damals wohl kaum zugetraut, zumal sie im Kontrast zum Dogma-Stil, in dem der Rest des Films gedreht wurde, stehen. Den epochalen Anfang von Antichrist gab es ja noch nicht. Und dazu die Musik, die von Björk eigens für den Film komponiert wurde und bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat. Für Leute hingegen, die rein gar nichts mit Björk und ihrer Musik anfangen können, wird der Film wohl nur schwer auszuhalten sein, ist sie doch alles andere als die typische Musicalsängerin.
Natürlich treibt von Trier die perfekt abgestimmten Musik- und Bildszenen auch auf die Spitze, pervertiert sie teilweise sogar, aber das ist wohl der typische Humor des Regisseurs. Es gibt aber schon einige Szenen bei denen man sich als Zuseher verwundert die Augen reibt.
Doch die wirkliche Stärke von "Dancer in The Dark" liegt in meinen Augen in der Art und Weise wie Lars von Trier es schafft, seine Schauspieler in Szene zu setzen. In einer der für mich prägendsten Szenen sieht man Selma und ihren Sohn in dem engen Trailer, den sie ihr Zuhause nennen. Mit nur wenigen Worten schafft es von Trier das komplexe Verhältnis zwischen Mutter und Sohn zu zeigen und gelangt damit zu einer Wahrhaftigkeit, die beim Zusehen schmerzt. Lars von Trier und natürlich die Schauspieler schaffen das Kunststück ihre Figuren nie bloßzustellen, sondern mit Würde zu behandeln. Wie leicht wäre es gewesen aus Selma oder Jeff, ihren Verehrer der ständig auf sie wartet um ihr eine Mitfahrgelegenheit anzubieten und meistens doch nur abgewiesen wird, Witzfiguren zu machen.
Wobei wir bei der nächsten heimlichen Stärke des Films wären: Björk. Als Zuseher hat man den Eindruck, dass Björk die Rolle nicht nur spielt sondern lebt. Man glaubt ihre Selma zu kennen, wird ihr nah wie einer Freundin. In Wirklichkeit dürfte es wohl weniger harmonisch zugegangen sein. So berichten andere Schauspieler von gröberen Reibereien zwischen dem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin und Björk verkündete nach "Dancer in the Dark" nie mehr in einem Film auftreten zu wollen.
Natürlich ist "Dancer in the Dark" aber auch ein Film den man hassen kann. Ein Film der die Zuseher spaltet, schlimmer noch bis zum Ende mit der Hoffnung und Erwartungshaltung der Zuseher spielt und nicht wenige Zuseher enttäuscht zurücklässt. Der britische Filmkritiker Peter Bradshaw soll den Film laut Wikipedia sogar als vielleicht eines der schlimmsten Dinge der Weltgeschichte, bezeichnet haben. Und ich wage es zu behaupten, dass auch über zehn Jahre nach dieser Aussage die Meinungen der Zuseher über diesen Film noch auseinander gehen werden.
Dogma meets Musical im dritten und letzten Teil der sogenannten "Golden Heart Trilogy" von Lars von Trier. Trotz Tanzeinlagen und interessanten Choreographien kam - wie bei diesem Regisseur wohl nicht anders zu erwarten - ein Anti-Feelgood-Movie heraus. "Dancer in the Dark" ist eine emotionale Achterbahnfahrt und bietet einige Szenen die nur schwer auszuhalten sind.