OT: El gran amor del conde Drácula
HORROR: SPANIEN, 1972
Regie: Javier Aguirre
Darsteller: Paul Naschy, Rosanna Yanni, Haydée Politoff
Während einer Fahrt durch die Karpaten unterhält ein Reisender seine vier hübschen Begleiterinnen mit Gruselgeschichten über Vampire. Als jedoch ein Rad der Kutsche bricht und die Reisenden notgedrungen ein Sanatorium zur Übernachtung aufsuchen müssen, scheinen die Gruselgeschichten real zu werden. Am nächsten Morgen sind die Damen alleine mit dem Anstaltsleiter, ein seltsamer Gastgeber, der eine Inkarnation von Dracula zu sein scheint...
KRITIK:Filme von und mit Paul Naschy können den Verstand schon mal an die Grenzen des Begreifbaren bringen. Seine Drehbücher gehen vermutlich eher von einem allumfassenden Blick auf das kosmische Ganze aus, bei dem Details wie Logik oder eben eine kohärente Handlung nur Nebensächlichkeiten sind, die nicht weiter ins Gewicht fallen. Das bringt einen Rezensenten wie mich dann im Freundeskreis schon mal in Erklärungsnöte, denn wie kann ich etwas begreifbar machen, das sich ganz offensichtlich üblichen Erklärungsansätzen entzieht?
Warum etwa wird zu Beginn der Sturz eines Opfers gleich fünfmal in immer langsamer werdender Zeitlupe wiederholt? Warum wird der Film phasenweise als Negativ gezeigt? Und vor allem - warum pfählt sich Dracula am Ende selbst (!)? So ist denn auch das Entrée von COUNT DRACULA'S GREAT LOVE zwar noch recht konventionell, aber nicht mehr als ein Aufhänger für eine Geschichte, die sich immer weiter von dem üblichen Karpatengrusel entfernt, mehr noch, zu einer nebelverhangenen, völlig undurchschaubaren Mär aus dunklen Wäldern, erotischen Neckereien und durchgeknallten Farben wird.
Regisseur Aguirre übersetzt dabei Naschys allenfalls einer Traumlogik folgenden Geschichte in wollüstige Bilder. Die symbolträchtige Verbindung zwischen Halsbissen und unterdrückter Sexualität findet hier das Missing Link zwischen den britisch zurückhaltenden Vampirfilmen der marktbeherrschenden Hammerstudios und den feuchten Träumen Rollin'scher Lesbenvampire. Ein Großteil des Films besteht ausschließlich aus minutenlangen Streifzügen der vier Grazien durch das Sanatorium. Dabei scheinen sie nicht zu gehen, sondern eher zu schweben, und die opulenten Nachtgewänder stellen ihre weiblichen Rundungen ausgesprochen vielversprechend zur Schau.
Und dazu Farben satt. Als ob die Farbregler grundsätzlich und absichtlich immer bis zum Anschlag gedreht werden, ist ein Rot nicht einfach Rot und ein Blau nicht einfach Blau, vielmehr ertrinkt der Film in seinen Farben. Ob dies nur der mir vorliegenden Kopie aus dem Public-Domain-Sektor geschuldet ist oder tatsächlich so gewollt - der Films bekommt so eine fast märchenhafte, unwirkliche Atmosphäre.
Zugegeben, ein wenig muss man dafür auch in der Stimmung sein. COUNT DRACULA'S GREAT LOVE ist einem Wachtraum näher als einem Film, mehr eine Abfolge von schlafwandlerischen Bildern, die den Zuschauer in einen angenehmen Dämmerzustand versetzen und Raum und Zeit einfach auflösen.
Eine delierende Nachtmahr aus feuchten Spielereien und großen Gefühlen in den Karpaten. COUNT DRACULA stößt vermutlich den gewöhnlichen DVD-Konsumenten ziemlich vor den Kopf und jeden wohlmeinenden Rezensenten in Erklärungsnot, aber wer wissen will, zu welchen Gipfeln poetischer Erotik echter Euro-Trash emporsteigen kann, sollte einen mutigen Blick jenseits der üblichen Bewertungskriterien wagen.