DRAMA: USA, 2024
Regie: Alex Garland
Darsteller: Kirsten Dunst, Cailee Spaeny, Wagner Moura, Jesse Plemons
Die USA versinken in einem Bürgerkrieg. Der Präsident, der sich an die Macht geputscht hat, verbarrikadiert sich im Weißen Haus. Die Aufständischen haben die Hauptstadt umstellt. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, bis D.C. fällt. Eine Gruppe von Kriegsreportern macht sich auf den Weg in die umkämpfte Hauptstadt, um beim Sturz des Präsidenten live dabei zu sein ...
CIVIL WAR handelt nicht unbedingt von der aktuellen politischen Lage in den USA - zumindest nicht vordergründig. Tatsächlich hat Alex Garland das Drehbuch bereits vor dem von Trump angezettelten Kapitolsturm geschrieben. Besonders weit hergeholt ist das Szenario freilich dennoch nicht. Politologen haben die Zustände nach der Wahlniederlage Trumps als "Low Intensity Conflict" eingeordnet.
Der Film reiht sich ein in die immer länger werdende Liste an Filmkunstwerken, die der Conditio Humana selbst auf den Grund gehen: Er führt drastisch vor Augen, wie dünn das zivilisatorische Eis in Wahrheit ist. Wie schnell die latente Bestialität aus dem Menschen hervorbricht.
Obwohl sich der Streifen an der Spitze der nordamerikanischen Kinocharts festsetzte und dem Indie-Studio A24 den erfolgreichsten Kinostart ever bescherte, ist CIVIL WAR alles andere als ein massentauglicher Blockbuster.
Wir erleben den zweiten amerikanischen Bürgerkrieg aus der Perspektive von vier Kriegsreporter:innen, die sich auf Nebenstraßen nach Washington, D.C. durchschlagen. Der Plan: den Präsidenten, der sich im Weißen Haus verbarrikadiert hat, ein letztes Mal zu interviewen. Bevor ihm ein unausweichliches Schicksal wie Ceausescu oder Gaddafi blüht.
Die Fahrt dorthin erinnert an ein postapokalyptisches Roadmovie: Ausgebrannte Hubschrauber und Autowracks liegen vor rauchenden Trümmern, die einmal Wohnhäuser und Shoppingmalls waren. Herrenlose Hunde streunen durch menschenleere Straßen, Leichen verfaulen unter gleißender Sonne.
Alex Garland, bekannt für seine Drehbücher zu THE BEACH, SUNSHINE und 28 DAYS LATER (alle von Danny Boyle verfilmt) und seine Regiearbeiten EX MACHINA, ANNIHALATION und MEN, orientiert sich an populären Zombie-Apokalypsen ebenso wie an den großen Anti-Kriegsfilmen der Seventies. Im Netz kursieren tatsächlich Vergleiche mit APOCALYPSE NOW. Das mag vielleicht zu hoch gegriffen sein. Oder auch nicht. Der Film hat eine ähnlich beklemmende Wirkung wie Francis Ford Coppolas wahnwitzige Reise ins Herz der Finsternis.
Extrem präzise und mit einer formalen Strenge inszeniert, wechseln sich ruhige, fast schon sperrige Dialogszenen ab mit verstörenden Gewaltausbrüchen. Letztere sind mit einer Drastik in Szene gesetzt, dass sich wohl auch fahnenschwingende texanische Rednecks nach dem Kinobesuch zufrieden grunzend in ihre Pick-up-Trucks setzen und ein paar Freudenschüsse in den Nachthimmel abfeuern dürften. Und das nicht nur, weil Texas hier den Krieg gewinnt.
Nein, das ist kein Spoiler. Die Pointe ist nämlich: Niemand in diesem Bürgerkrieg weiß mehr, wogegen oder wofür er kämpft, von wem er gerade beschossen wird und auf wen er schießt. Ein planvolles militärisches Agieren ist nicht zu erkennen, der Wahnsinn nimmt überhand, "Chaos reigns" quasi.
Es ist vor allem eine Szene, die sich nachhaltig in die Netzhaut einbrennt - und die hier nicht gespoilert werden soll. Nur so viel: Jesse Plemons mit roten Sonnenbrillen, er wird für Albträume sorgen.
CIVIL WAR ist ein Film, der für Debatten sorgt. Über den Zustand von Staat und Gesellschaft, über die barbarische Natur des Krieges, auch über den Stellenwert von Journalismus in einer Demokratie. Gerade im letzten Punkt wirkt der Film auf fast schon romantische Art und Weise aus der Zeit gefallen: "Wir stellen keine moralischen Fragen. Wir zeichnen auf, damit andere die Fragen stellen.", erklärt Lee Smith, brillant von Kirsten Dunst gespielt, ihre journalistische Arbeitsweise. So ambivalent die vier Journalisten und ihre Beweggründe, für ein gutes Foto ihr Leben zu riskieren, auch gezeichnet sind, glaubt der Film doch an die aufklärerische Wirkung von (Foto-)Journalismus.
Während in der Realität da draußen Soldaten jeden Kampf, ja sogar Kriegsverbrechen mit Drohnen und Go-Pros mitfilmen und zu Propagandazwecken auf YouTube stellen. Aber das ist eine andere erschütternde Geschichte.
Die vereinigten Staaten sind nicht mehr vereinigt, sondern zerfleischen sich in einem blutigen Bürgerkrieg. Erschütternd ob seiner Drastik, aber auch euphorisierend ob seiner brillanten Machart, ist Alex Garland mit CIVIL WAR ein Meisterwerk gelungen. Definitiv einer der Filme des Jahres, jetzt schon.