NEO-NOIR: USA, 1974
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Jack Nicholson, Faye Dunaway, John Huston, Perry Lopez
Der Privatdetektiv Jack Gittes (Jack Nicholson) wird im Los Angeles der 30er-Jahre von der angeblichen Frau des bei den städtischen Wasserwerken arbeitenden Ingenieurs Hollis Mulwray beauftragt ihren Mann zu beschatten, da sie vermutet, dass dieser ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. Als kurz darauf ein von Jack geschossenes Foto, das Mulwray tatsächlich mit einer jungen Dame zeigt, ohne sein Dazutun in der Presse veröffentlicht wird, erscheint die richtige Evelyn Mulwray (Faye Dunaway) in Jacks Detektei und droht ihn zu verklagen. In seinem Bemühen, Licht in diese Angelegenheit zu bringen, versinkt Gittes immer mehr in einem Sumpf aus Mord, Korruption und dunklen Familiengeheimnissen ...
Inmitten der wilden Aufbruchstimmung des New Hollywood-Kinos der 70er Jahre drehte Roman Polanski mit CHINATOWN einen Film noir der weder das Genre ironisierte, noch aktualisierte, sondern direkt an die großen Klassiker der Schwarzen Serie der 40er-Jahre anknüpfte. Nur die Tatsache, dass der Film im Breitwandformat und in Farbe gedreht ist, macht dem Betrachter deutlich, dass es sich hierbei doch um einen Film etwas jüngeren Datums handelt. Dieser direkte Bezug zu den Wurzeln des Genres wird noch durch die Besetzung einer der tragenden Rollen mit einer Ikone des Film noirs, dem Regisseur John Huston (DIE SPUR DES FALKEN, KEY LARGO, THE ASPHALT JUNGLE) verstärkt. Doch was auf einen gravierenden Innovationsmangel hinweisen könnte, erweist sich im Fall von CHINATOWN als absoluter Glücksgriff.
Nicht umsonst gilt der Film inzwischen als ein unumgänglicher Klassiker des Genres, an dem sich bis jetzt jeder (Neo-)Noir messen lassen muss. Dass es hierzu kommen konnte, ist nicht der Verdienst von Polanski alleine, sondern ist der gelungenen Zusammenarbeit einer ganzen Reihe an außergewöhnlichen Talenten geschuldet. Auch der Umstand, dass der Film auf dem Höhepunkt des New Hollywood erschien, lässt sich letzten Endes doch erahnen. Denn auch wenn in den letzten beiden Dekaden eine ganze Reihe ähnlicher Filme herauskam, so wirken diese gerade im Vergleich zu CHINATOWN doch zumeist wie glattgebügelt. So sagt Polanki auch selber, dass es heute nicht mehr möglich wäre, diesen Film in genau dieser Form zu machen und dankt insbesondere seinem Produzenten Robert Evans für die ihm gewährte Freiheit.
Die Grundlage für das ungewöhnliche Gelingen von CHINATOWN bildet zunächst einmal das hervorragende Drehbuch von Robert Towne. Nicht nur, dass der Drehbuchautor sehr lebendige Charaktere aus Fleisch und Blut entworfen hat. Zudem entfaltet der zunächst recht gewöhnlich wirkende Detektiv-Plot mit der Zeit eine anfänglich nicht unbedingt geahnte Komplexität und Finesse. Auch von seiner Ausstattung her weiß CHINATOWN restlos zu überzeugen. Doch wird diese von Polanski nicht wie heute zumeist üblich extra ausgestellt, sondern unterstreicht ganz unaufdringlich den starken Realismus des Films. Trotzdem gelingen dem polnischen Regisseur gerade auch in Verbindung mit der ebenso schlichten, wie schönen Titelmelodie von Jerry Goldsmith zahllose geradezu magische filmische Momente.
Hinzu kommt, dass CHINATOWN auch von der schauspielerischen Seite her schlicht und einfach perfekt besetzt ist. John Huston hatte ich ja bereits erwähnt. Der gealterte Regisseur spielt hier einen gleichfalls gealterten Machtmenschen und bringt in diese Rolle das gesamte Gewicht seiner eigenen Autorität auf ebenso selbstverständliche, wie auch diabolische Weise ein. Hinzu kommen Jack Nicholson und Faye Dunaway in den Hauptrollen. Dem mit EASY RIDER bekannt gewordenen Nicholson gelang in der Rolle des Privatdetektivs Jack Gittes völlig zu Recht der Aufstieg in die A-Liga der großen Hollywoodstars und die durch BONNIE AND CLYDE berühmt gewordene Faye Dunaway bildet als Femme Fatale die zu Gittes passende perfekte Ergänzung.
Insbesondere dieser Jack Gittes ist ein ebenso knorriger, wie rechtschaffender Typ, dem gänzlich wenig an korrekten Umgangsformen, aber dafür umso mehr an der ordentlichen Auflösung seiner Fälle gelegen ist. Gerade auch die herrliche politische Unkorrektheit, mit der Gittes hier z.B. Witze darüber macht, wie "Chinesen bumsen", wäre in dieser Form in einem heutigen zielgruppenorientierten Hollywoodfilm nur sehr schwer denkbar. Da passt es auch ganz hervorragend, dass Roman Polanski in einem kleinen Cameoauftritt dem neugierigen ("nosy") Gittes mal eben mit einem Messer die Nase aufschlitzt, so dass der Held des Films in den folgenden Szenen mit einem unförmigen Verband im Gesicht herumläuft. Dem bodenständigen Gittes gegenübergestellt ist Faye Dunaway in der Rolle der ebenso schönen, wie schwer durchschaubaren Evelyn Mulwray, welche von Polanski immer wieder ikonenhaft in Bild gesetzt wird.
Die ganze Finesse von Robert Townes Drehbuch zeigt sich bereits im Titel des Films. Denn "Chinatown" taucht für den größten Teil der Handlung gar nicht direkt im Film auf, sondern wird vielmehr in Nebensätzen am Rande erwähnt. Dass CHINATOWN jedoch genau so, und nicht anders heißen muss, ist dem Betrachter spätestens klart, wenn der Abspann läuft. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass gerade in diesem Zusammenhang eine ursprünglich von Towne anders angedachte Passage des Films von Polanski nachträglich geändert wurde. Roman Polanski zufolge verdankt CHINATOWN gerade auch dieser vom Drehbuchautor nicht gewollten Änderung seine besondere Kraft und seinen bis heute anhaltenden Ruhm. Und da mag ich dem Regisseur wirklich nicht widersprechen.
Roman Polanskis CHINATOWN ist der erste große Neo-Noir, welcher sich vorbehaltlos auf die klassische Periode des Genres zurückbesann und der hierbei so erfolgreich war, dass er schon längst selber zum Klassiker geworden ist, an dem sich jeder neuer Vertreter des Genres messen lassen muss.