HORROR-THRILLER: UK, 2010
Regie: Paul Andrew Williams
Darsteller: Rachael Blake, Tom Butcher, Jumayn Hunter, Sonny Muslim, Ashley Chin
Das Ehepaar Mike und Christine bereitet sich auf den Feierabend vor. Leckeres Essen steht auf dem Tisch, sie unterhalten sich über ihre Jobs, den gemeinsamen Sohn Sebastian und über ihre Ehe. Da klingelt es an der Tür. Eine Jugendgang steht vor ihrem Haus in der Cherry Tree Lane und abrupt wird aus dem gemütlichen Abend ein Albtraum.
Ja irgendwie kommt uns das bekannt vor, zumindest in den Ansätzen. So etwas haben wir schon einmal gesehen und zwar in Michael Hanekes Schocker Funny Games.
Ich nehme an, diesem Film ist Cherry Tree Lane auch nachempfunden. Allerdings gelingt es ihm nicht auch nur ansatzweise an die Intensität von Hanekes Meisterwerk heran zu gelangen.
Cherry Tree Lane spielt allerdings genauso mit unseren Urängsten. Das was uns wirklich fesselt an diesem Horrorerlebnis sind nicht dämonische Gestalten, die der Hölle entsprungen sind, oder blutrünstige Vampire, sondern der alltägliche Horror, der uns alle treffen kann.
Nichts ahnend sitzen wir gemütlich beisammen und da klingelt es an der Tür, wer rechnet da schon mit zwei Psychopaten wie aus Funny Games, oder mit einer ganzen Jugendgang, die uns den Feierabend aber so was von gründlich vermiesen wird? Das ist die Stärke des Films, dass er aus alltäglichen Situationen den Horror hervor kitzelt.
Allerdings, wie schonmal erwähnt, ist Cherry Tree Lane in seiner Inszenierung wesentlich besser verdaulich als Funny Games. Michael Hanekes Film hat mich damals mit einer solchen Wucht getroffen, die Cherry Tree Lane nicht leisten kann. Der nihilistische Grundgedanke der Peter und Paul, die beiden Jugendlichen aus Funny Games, antreibt, fehlt in Cherry Tree Lane. Die Jugendgang hat sehr wohl einen Grund warum sie das Ehepaar überfällt. Das was mich allerdings an Funny Games damals wirklich geschockt hat, war diese Gleichgültigkeit der beiden Protagonisten.
Die Jugendlichen aus Cherry Tree Lane zeigen allerdings auch Ansätze von Gleichgültigkeit. Schonungslos schlagen sie ihre Opfer, während sie nebenbei dem Fernsehprogramm folgen. Allerdings blitzen auch bei dem ein oder anderen moralische Werte durch.
Es gibt ein paar sehr starke Momente im Film, wenn sich zum Beispiel einer der Jugendlichen mit dem verletzten, am Boden liegenden Mike unterhält. Allerdings kommen auch die Dialoge nicht ansatzweise, in ihrer Intensität, an Funny Games heran.
Die Schauspieler überzeugen in ihren Rollen, vor allem im Originalton. Sehr spannend fand ich auch die Farbstimmung des Films. Gleich zu Beginn, in der ersten Szene, sehen wir eine langsame Kamerafahrt auf die Eingangstür des Hauses in der Cherry Tree Lane. Die Musik und der dann folgende Schnitt haben bei mir sofort einige Szenen aus David Lynch-Filmen assoziiert. Oft leitet er so das "Tor" zu einer Welt ein, die abseits von der Heilen existiert. Beispielsweise, wenn die Kamera in Blue Velvet langsam in den perfekt geschnittenen Rasen eintaucht um die Würmer unter der Oberfläche zu zeigen. Das Haus der Familie ist sehr bunt, jeder Raum hat eine andere Farbe und wirkt warm und heimelig. Dem gegenüber steht die Gewalt, welche die Jugendlichen in das Haus bringen. Ebenso lauert unter der Oberfläche der heilen Familie der Abgrund, denn die Jugendgang ist wegen Mikes und Christines Sohn Sebastian da.
Leider fehlt mir hier einfach eine gewisse Konsequenz, eine radikalere Herangehensweise, wie in Funny Games. Eine schonungslosere Thematisierung der sinnlosen Gewalt. Dem Zuschauer einen Spiegel vorzuhalten schafft der Film nicht. Dafür ist er wesentlich verdaulicher.
Ich kann es nicht anderes formulieren, aber irgendwie ist es zu wenig von allem. Damit mein ich nicht die sinnlose Gewalt, sondern die Thematisierung dieser. Die Dialoge haben auch gute Ansätze, aber gehen für meinen Geschmack nicht tief genug. Der Film hat sehr schöne Kameraeinstellungen zu bieten und spielt auch mit der Musik, allerdings auch hier wieder einen Tick zu wenig.
Zu sehr orientiert sich Cherry Tree Lane an Funny Games, aber zu weit ist er davon entfernt. Leider fehlt aber auch ein Alleinstellungsmerkmal, das den Film abheben würde.
Cherry Tree Lane ist in der Störkanal-Reihe erschienen.
Cherry Tree Lane ist die kleine, leicht verdaulichere Schwester von Michael Hanekes Funny Games. Ein mit Sicherheit verstörender Film für alle diejenigen die Hanekes Film nicht kennen. Leider nicht radikaler und konsequenter inszeniert, allerdings mit sehr guten Ansätzen und auf jeden Fall sehenswert.