TRUE CRIME: USA, 1995
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Robert De Niro, Joe Pesci, Sharon Stone, James Woods, Kevin Pollak
Sam "Ace" Rothstein (Robert De Niro) wird vom Chicagoer Mob aufgrund seines erstklassigen Spiel- und Wetttalentes mit der Führung des Tangiers-Casinos in Las Vegas beauftragt.
Schon mal Good Fellas gesehen? Ein zeitloser Klassiker und der beste Film über die Mafia der je auf Zelluloid gebannt wurde. Ein Klassiker bleibt einzigartig und kann mit den gleichen Stilmitteln und einer ähnlichen Besetzung nicht fortgesetzt/wiederholt werden? Jeder Versuch an die Qualität des Originals zu kommen wäre zwecklos?
Falsch! Martin Scorsese hat genau das getan, und einfach mal so den zweiten großen Film über die amerikanische Mafia geschaffen (Ok, evtl. auch den Dritten, den Paten gibt es ja auch noch) und dabei auf die gleichen Erfolgsrezepte gesetzt wie schon fünf Jahre zuvor.
Es ist schwer Casino zu rezensieren ohne die gleichen Merkmale zu beschreiben und die gleiche Machart auf Knien zu vergöttern die schon in Good Fellas zur Anwendung kamen. Man kommt nicht um einen Vergleich dieser beiden Filme herum, da Good Fellas und Casino in gewisser Weise ein Gesamtwerk (wenn nicht das Hauptwerk Scorseses) darstellen.
Aber gut, die Kurzfassung: Stimme im Off - schafft eine einzigartige Ezählweise, Plansequenzen - ähnlich genial wie in Good Fellas, erstklassige Besetzung - zum vergöttern, Authentizität in Bezug auf die Mafia in Amerika in den 60er, 70er und 80er Jahren - vorhanden! Perfekte Kameraarbeit - versteht sich schon von selbst. Stimmungsvoller Soundtrack? In welchem Scorsese Film war es denn nicht so?
Eine weitere Freude macht das schauspielerische Talent von Joe Pesci (der den Mafioso Nicky Santoro verkörpert) der wieder mit ähnlich aggressiven und impulsiven Charakterzügen gesegnet ist wie in Good Fellas. Sharon Stone als Edelhure und spätere Ehefrau und James Woods als abgehalfteter Zuhälter blühen in ihren Rollen förmlich auf und es ist wohl mittlerweile überflüssig das Talent zu erwähnen mit dem Bob de Niro gesegnet wurde.
Mit einer Laufzeit von 178 Minuten lässt sich Scorsese wieder die nötige Zeit um die Geschichte rund um die Verwicklungen der Mafia in die Geschäfte der Casinos in Las Vegas zu erzählen. Wobei "Verwicklungen" noch sehr milde ausgedrückt ist, denn Las Vegas GEHÖRTE, vor allem in den 70er Jahren, buchstäblich der Mafia. Kein Dollar floss durch die Spielhöllen, die Casinos, die Hotels, die Bordelle und die Wettbüros ohne dass der Mob kräftig abgesahnt hätte.
Scorsese präsentiert uns zu Beginn auf entlarvende Art und Weise das System nach dem das Tangiers Casino arbeitet: Die Auffahrt des Casinos, ein Parkservice, ein roter Teppich, dann eine Totale die das gesamte Casino ablichtet, mit all seinem Glanz und Prestige. Dann eine Kamerafahrt durch eine unauffällige schwarze Tür in "das Herz des Casinos", - den Zählraum. Hier herrscht ein anderes Bild als an den Spieltischen. Fließbänder die tonnenweise Münzen transportieren, Berge von Dollarnoten, riesige Geldschränke und eine Menge Personal, das den unauffälligen Mann ignoriert, der mit dem Koffer eine Million Dollar aus den Schränken nimmt. Eine Geldmaschine in Aktion, eine Geldfabrik vielmehr.
"Was glauben Sie was uns hergelockt hat und was uns hier hält mitten in der Wüste? Es ist das Geld. Das hier ist das Ziel der ganzen Festbeleuchtung, der Gratisreisen und der gratis Hotelsuiten, des Champagners und Whiskeys und des Einsatzes von Legionen der schärfsten Bräute. All das haben wir einzig und allein arrangiert um an ihr Geld zu kommen. -- Das ist die Wahrheit über Las Vegas. Die einzigen Gewinner sind wir, die Spieler haben keine Chance."
Eine konsequente Weiterentwicklung der eigenen Stilmittel und der Erzählstruktur machen sich bemerkbar, schließlich liegen fünf Jahre zwischen den beiden Filmen: Casino beleuchtet im Gegensatz zu Good Fellas nicht nur das subjektive Empfinden eines Mobsters, sondern bietet auch Einblick in die Finanzflüsse, die politischen Kontakte, die Machtkämpfe die hinter dem Vorhang, im Schatten der Glitzerwelt Las Vegas ausgetragen werden und eine Menge Leichen hinterlassen und die Methoden der Strafverfolgung seitens des FBI.
Ohne jedoch dabei das Wesentliche aus den Augen zu verlieren, das Leben Sam "Ace" Rothsteins. Der Spannungsbogen erinnert wieder sehr an die schon 1990 angewendete Dramaturgie, die den Aufstieg, den fast manischen Höhepunkt und die paranoide Katerstimmung (mit einem ordentlichen Schuss Nostalgie) danach beschreibt. So passt die Stimme von Ace zu den eindrucksvollen Bildern der großen legendären Sprengung berühmter Casinos in Las Vegas.
"Die Stadt wird nie wieder so sein wie damals ... die großen Konzerne übernahmen die Casinos. Heute sieht das aus wie Disneyland. Während die Kinder Pappmache-Piraten spielen, verlieren Mommy und Daddy die Raten für das Haus und Juniors Studiengeld an den Spielautomaten. Zu unserer Zeit wussten die Croupiers wie man hieß, was man trank, was man spielte. Heute ist es als würde man auf einem Flughafen einchecken."
Eine Zeitenwende, das Ende einer Ära, das metaphorisch für unsere zunehmend von der Globalisierung geprägten Welt steht. Denn auch die Mafia wurde das Opfer des Turbokapitalismus und der Kommerzialisierung und Privatisierung von Allem mit dem sich Geld verdienen lässt. Sie musste sich mit dem schleichenden Verlust ihrer "Prestiges" und ihrer gesellschaftlichen Privilegien abfinden und aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um im Verborgenen zu operieren.
Und auch in Sachen drastischer Gewaltdarstellung steht Casino seinem Vorgänger in Nichts nach. Spätestens in den letzten 20 Minuten des Films wird einem das schnell klar.
Scorsese zu dem Thema Gewalt: "Ich bin damit aufgewachsen: in der Lower East Side in New York, in ganz einfachen Verhältnissen, wo ich die Gewalt täglich erlebt habe. Jeder vernünftige Mensch muss einsehen, dass Gewalt die Welt nicht ändert und wenn, dann nur vorübergehend ... Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass wir von der Moderne weiter entfernt sind als je zuvor. Anders gesagt: Die Welt ist ein Dorf, und dieses Dorf funktioniert heute leider wie um 1850."
Denn die Gewalt ist wesentlicher Bestandteil des Ganzen, ist die Komponente die alles zusammenhält. Und auch das sollte nicht vernachlässigt werden. Denn die Darstellung von Gewalt macht dem Zuschauer bewusst mit welchen Charakteren er es zu tun hat und was sich hinter der Schein - und Glitzerwelt abspielt, und vielleicht lässt sich diese Tatsache auf unsere heutige Welt übertragen? Denn die Welt ist bekanntlich eine Bühne ...
Meine Empfehlung: Die DVDs von Good Fellas und Casino besorgen, sich einen regnerischen Tag frei nehmen und die beiden Filme als Gesamtwerk auf sich wirken lassen.
Die Liebe des Mobs zu Las Vegas und alle kleinen und größeren Geschichten die dazu gehören. Martin Scorsese ist wieder einmal ganz in seinem Element und tut das was er am besten kann.