DRAMA: B/NL, 2011
Regie: Michael R. Roskam
Darsteller: Matthias Schoenaerts, Heroen Perceval, Jeanne Dandoy
Der Rinderbauer Jacky Vanmarsenille (Matthias Schoenaerts), konstant vollgepumpt mit eigentlich für Vieh bestimmten Hormonen und Steroiden, gerät ins Visier der Polizei, die gerade gegen die lokale Fleisch- und Hormonmafia ermittelt. Als ein verdeckter Ermittler ermordet wird, wird Jackys Viehstall enger und enger. Somit muss er sich den Konsequenzen seiner Entscheidungen und seinen lebendig begrabenen Dämonen stellen.
Drei Jahre vor THE DROP sorgte der flämische Regisseur Michael R. Roskam mit seinem beeindruckenden Spielfilmdebüt für Aufsehen und erhielt prompt eine Academy Award Nominierung in der Kategorie "Bester Fremdsprachiger Film".
Im Zentrum seiner Geschichte steht Jacky, ein bulliger Bauer, ein Tier, gezüchtet. Genau wie sein Vieh, hat er keine Ahnung über seine eigentliche Natur. Schnell wird klar, Jackys einschüchternde Physik und die Ähnlichkeiten zu seinen vollgepumpten Stieren sind kein Zufall oder ein Fall von ausgeprägtem Narzissmus. Ein traumatisches Ereignis in seiner Kindheit ist verantwortlich für seine verkrüppelte Psyche. Im Glauben, dass Hormone und Steroide seine Situation verbessern, erkennt er nicht, dass sie das wahre Übel für seine Lebensunfähigkeit sind und nicht jener Vorfall.
Matthias Schoenaerts Darstellung der sensitiven Bestie kann man ohne Bedenken mit einem (AMA-)Gütesiegel kennzeichnen. Er verkörpert sowohl diese brutale Bestie, einsam und uninteressiert an Freundschaften mit anderen Artgenossen, als auch diese innere Schönheit, ein verletzliches, verletztes, nach Liebe lechzendes Tier.
Nach zwei Jahren intensivstem Training und brutaler Diät wundert man sich, wo sie diesen großartig schauspielernden Krafttrainierer gefunden haben. Doch genau wie seine Figur wurde er zu diesem Bullen geformt - ohne Steroide versteht sich. Seine mächtige Präsenz und feine Gestik sind die Werkzeuge seines Ausdrucks, eine Sprache, die das Publikum zu beherrschen beginnt, je länger es ihn beobachtet und versucht seine stumme Stimme zu hören. Als beginne man sein Haustier zu verstehen, nach und nach. Jede Bewegung, jeder flüchtige Blick, ein neues Wort, eine Bitte, eine Anschuldigung, brennender Hass.
Als er dem Mädchen seiner Kindheitsträume nach 20 Jahren in einer Parfümerie wieder begegnet, wird seine mächtig majestätische Pracht mehr und mehr die eines geprügelten Köters. Innerhalb von Sekunden nimmt er einen längst vergessen geglaubten Geruch trotz all der Fährten verwischenden Düfte wieder auf, schmeckt ihn und stellt ihm nach. Eine verzweifelte Jagd eines sinnlos gewordenen Tiers in ein Labyrinth aus Dolchen.
Der Film flüstert auch viele Missstände (aktuell und vergangen) der Belgier wieder ins Gedächtnis - verdrängt, vertuscht oder begraben in den Feldern Flanderns und im Körper des Protagonisten: Soziale Probleme zwischen Flamen und Wallonen, Verbrechens- und Drogenprobleme mit Fokus auf die Hormonmafia (der Film basiert auf einen konkreten Fall aus den späten 90ern) sowie die Kolonialisierung des Kongos im Herzen Afrikas und das Grauen das dort geschah... das wahre Herz der Finsternis.
Ein wirklich beeindruckender Debütfilm mit einprägsamen Bildern und einem großartigen Hauptdarsteller. Einzig die etwas unglaubwürdige Polizeiarbeit und die Machenschaften der Hormonmafia wirken etwas unausgegoren, werden nur angedeutet und nicht völlig ausgesprochen. Im Herzen der Geschichte, in Jackys Körper, schlägt rasend und verwirrt eine Wiedererzählung des französischen Volksmärchens Die Schöne und das Tier... jedoch ohne jemals zu träumen, ein Märchen zu sein.