DRAMA: USA, 2013
Regie: Woody Allen
Darsteller: Cate Blanchett, Alec Baldwin, Peter Sarsgaard, Sally Hawkins
Das Leben der New Yorker High Sociey-Lady Jasmine, die in Wirklichkeit Jeanette heißt, zerbröselt, als ihr schwerreicher Börsenhai-Gatte ein krummes Ding zu viel gedreht hat und auf offener Straße verhaftet wird. Der Aufprall auf dem Boden der Realität ist hart: Völlig pleite (aber immer noch stilbewußt mit Perlenkette und riesigem Louis-Vuitton-Koffer) klingelt Jasmine an der Wohnungstür ihrer Schwester Ginger, einer Supermarktkassiererin. Die laute, derbe Welt der Common People verursacht ihr körperliche Schmerzen, die sich auch mit Xanax-Tabletten im Dutzendpack nicht vertreiben lassen. Jetzt heißt es: Wieder auf die Beine kommen, einen Job suchen, zum ersten Mal im Leben selber Geld verdienen. Wenn das nur mal gut geht ...
Ich hoffe, dass es Woody Allen gut geht. Keine Ahnung, ob es zulässig ist, von der Tonlage eines Films auf den Seelenzustand des Regisseurs zu schließen. Aber BLUE JASMINE vermittelt den Eindruck, dass der 77-Jährige gerade eine üblere Krise durchleben muss.
Gerechnet hätte ich mit einem sicher toll gespielten, klugen, aber letztlich recht harmlosen Film, in dem sich Humor und Tragik in etwa die Waage halten. Einem prototypischen Woody Allen-Film halt, der nie die abgesicherte Komfortzone seines selbst geschaffenen Universums der tragikomischen Stadtneurotiker verlässt. Einen Film, den man als im besten Sinne gute Unterhaltung abhaken kann.
Gekommen ist es dann etwas anders: Selten hatte ich bei einer - vorgeblichen - Komödie das Gefühl, dass mir permanent die Luft abgeschnitten wird. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Hauptfigur, eine blasierte, wenig sympathische Luxus-Lady (unfassbar intensiv: Cate Blanchett) der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch genau das Gegenteil geschieht: So verlässlich einige Pointen auch zünden mögen, die Tragik siegt haushoch. Man fühlt/leidet mit dieser zittrigen, nervlich völlig zerrütteten Frau mit. Wirklich, ein derart erschütterndes, todernstes Drama hätte ich Woody Allen nie im Leben zugetraut.
Genüsslich sticht er mit spitzer Klinge in die kalt schillernde Seifenblasenwelt des New Yorker Geldadels. Der kriminelle Spekulant, den Alec Baldwin mit bemerkenswerter Grandezza auf die Leinwand schleimt, ist ganz offensichtlich am Fall Bernard L. Madoff angelehnt. Aber auch die Working Class wird nicht verschont: Die finanziellen wie zwischenmenschlichen Lügengebäude sind zwar weniger elegant als in der Wall Street, aber nicht minder einsturzgefährdet.
Am Ende bleibt ein erschütterndes, als Komödie getarntes, unfassbar gut gespieltes Drama, das wohl als spätes Meisterwerk im qualitativ stark schwankenden Oeuvre des Regisseurs verbuchen werden muss.
Schon mal bei einer (angeblichen) Komödie das Gefühl gehabt, vor Unbehagen fast keine Luft mehr zu bekommen? Nein? Dann wird Euch Woody Allens stärkster Film seit Jahren zeigen, wozu der 77-jährige imstande ist, wenn es hart auf hart kommt. Großartiges, beklemmendes Drama, das bei der kommenden Oscar-Verleihung wohl kaum übergangen werden können wird.