GIALLO: Frankreich, 2009
Regie: François Gaillard, Christophe Robin
Darsteller: Julie Baron, Michel Coste, Aurélie Godefroy, Anna Naigeon
Angela träumt von erotischen Begegnungen mit ihrer schönen Nachbarin Anna Maria. Dann findet sie diese ermordet in ihrem Apartment und stößt vor Schreck eine Kristallkugel um, die am Boden zerbricht. In einer Scherbe erblickt Angela ihre Zukunft. Wird es ihr gelingen mit Hilfe dieser geheimnisvollen Scherbe dem ihr vorhergesagten gewaltsamen Tode zu entrinnen?
2009 war ein recht zwiespältiges Jahr für den Giallo. Zumindest in seinem Heimatland Italien lag das gelbe Genre endgültig am Boden. Dass Dario Argento, der ehemalige Meister des Genres, einen seiner bis dato schlechtesten Filme ausgerechnet mit GIALLO betitelte, mutete schon fast zynisch an. Und auch Italiens aktuelle junge Genre-Hoffnung, der Regisseur Alex Infascelli, lieferte mit NEL NOME DEL MALE in diesem Jahr einen Giallo ab, der qualitativ deutlich hinter seinen vorherigen Regiearbeiten zurückblieb.
Auf der anderen Seite erfuhr der Giallo eine Neubelebung, welche aus einem Land kam, dass zuvor überhaupt nicht mit diesem Genre assoziiert wurde. In Belgien schufen Hélène Cattet und Bruno Forzani den viel gelobten AMER, der auf ziemlich gelungene Weise die klassischen Giallo-Motive und alte Original-Soundtracks mit einer ganz eigenständigen Geschichte verband.
Doch erst vor kurzem hat mich mein Kritikerkollege Chris darauf aufmerksam gemacht, dass im selben Jahr auch in Frankreich zwei sehr interessante Neo-Gialli entstanden, welche inzwischen auch auf DVD verfügbar sind: Der Independent-Regisseur Marc Dray drehte den hochinteressanten IL GATO DAL VISO D´UOMO und das Regie-Duo François Gaillard und Christophe Robin den hier zu besprechenden BLACKARIA.
Ganz ähnlich, wie der mittlerweile wesentlich bekanntere AMER wildert auch BLACKARIA ganz ungeniert in der Genregeschichte. Trotzdem ist der Ansatz dieses Films insgesamt ein ganz anderer. Während AMER fast videoclipmäßig ein emblematisches Giallo-Motiv an das andere reiht, um eine rudimentäre Geschichte zu erzählen, welche im Prinzip nicht mehr viel mit dem Genre zu tun hat, klaut BLACKARIA ganz ungeniert ganze Szenen aus den besten Filmen des Genes, erschafft damit aber am Ende aber einen eigenen Film und transportiert das Genre in die Gegenwart.
Die Vorgehensweise der beiden Franzosen François Gaillard und Christophe Robin ist nicht unähnlich der eines gewissen Quentin Tarantinos: Man kann BLACKARIA ohne Vorkenntnisse des Genres ganz unbedarft als eigenständigen Film genießen. Aber wenn man sich ein wenig im Genre auskennt, dass sieht man sofort, dass sich hier eine geklau... äh zitierte Szene an die andere reiht: hier ein wenig NEW YORK RIPPER, dort die berühmte Fahrstuhlszene aus Brian de Palmas Quasi-Giallo DRESSED TO KILL. Auch die Geschichte an sich kommt einem sehr bald recht bekannt vor, wenn man die anderen Gialli von Fulci kennt...
Doch im Gegensatz zu AMER oder Tarantino versucht BLACKARIA keineswegs die glorreichen 70er-Jahre neu zu beleben, sondern gibt sich in jeder Minute klar als ein Film aus der heutigen Zeit zu erkennen. So wird in BLACKARIA z.B. auch keine alte Musik receicelt. Stattdessen gibt es hier einen Original-Soundtrack, der allerdings sehr stark nach einer modernisierten Version alter Goblin-Musik klingt. Auf visueller Ebene lässt sich ganz Ähnliches feststellen: BLACKARIA verbindet in seinen besten Momenten die visuelle Brillanz alter Genre-Klassiker mit einer modernen HD-Optik, welche den Film sofort als neu erkennbar werden läßt.
Allerdings liegt hier auch eine der Schwachstellen von BLACKARIA. Wenn hier nicht gerade eine der zahlreichen Mord- oder Traumszenen gezeigt wird, sondern z.B. eine Szene, in welcher einfach zwei Menschen in einem Raum sitzen, dann wirkt der Film gerade auch aufgrund seiner HD-Optik leider manchmal ein wenig billig (was er sicherlich auch war...). Dieser negative Eindruck wird an solchen Stellen noch dadurch verstärkt, dass die Schauspieler in BLACKARIA bestenfalls durchschnittliche Leistungen abgeben. Manche sind aber leider auch ganz einfach schlecht.
Trotzdem ist der Gesamteindruck ein sehr positiver: Bei BLACKARIA spürt man in jedem Moment, dass hier zwei Macher mit großem Enthusiasmus am Werke waren, die beim Drehen so richtig ihren Spaß hatten. Auch, wenn das Gesamtergebnis nicht völlig makellos ausfällt, so ist BLACKARIA doch ein insgesamt sehr gelungener Versuch, ein bereits tot geglaubtes Genre zu neuem Leben zu erwecken. Wer allerdings nur die Gialli mag, welche das typische 70er-Jahr Flair verströmen, der wird auch diesen Film nicht mögen. Wer BLACKARIA aufgrund der zahlreichen geklauten Ideen jedoch mangelnde Originalität vorwirft, der kann auch gleich den größten Teil der klassischen Genre-Vertreter mit in die Tonne treten...
BLACKARIA ist ein insgesamt sehr gelungener Neo-Giallo aus Frankreich, der das Genre auf gekonnte Art und Weise in die Gegenwart transportiert. Leider wird der hervorragende Gesamteindruck durch einzelne kleinere Schwächen wieder ein wenig gemindert. Diese sind jedoch höchstwahrscheinlich dem beschränkten Budget und nicht dem mangelnden Können seiner Macher geschuldet. Doch auch schon so, wie der Film jetzt ist, ist dieser mir dicke 7,5 Punkte wert. Zur Zeit ist BLACKARIA erst in Frankreich auf DVD erschienen. Der Silberling bietet jede Menge an Extras, die jedoch, ebenso, wie der Hauptfilm leider keine Untertitel haben. Die beiden Regisseure versuchen jedoch gerade einen internationalen Vertrieb zu finden, der auch eine englisch synchronisierte Fassung des Films erstellt.