Benny´s Video | FILMTIPPS.at 

FILMTIPPS.at - Die Fundgrube für außergewöhnliche Filme

www.filmtipps.at
GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Benny´s Video

Benny´s Video

DRAMA: Ö, CH, 1992
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Arno Frisch, Ulrich Mühe, Angela Winkler, Ingrid Strassner

STORY:

Benny steht am Anfang der Pubertät, hat wohlhabende Eltern und interessiert sich für Videos. Ein Video, das er selbst auf dem Bauernhof von Bekannten aufgenommen hat, hat es ihm besonders angetan. Es zeigt die Tötung eines Schweines. Immer wieder lässt er es vor- und zurücklaufen. Eines Tages lernt er vor seiner Lieblingsvideothek ein Mädchen kennen, nimmt es mit nach Hause, zeigt ihr das Video und das Bolzenschussgerät mit dem die Sau getötet wurde ...

KRITIK:

... Mit diesem Gerät tötet er das Mädchen und die Kamera läuft die ganze Zeit mit.

Sorry, aber ohne diesen Spoiler geht es einfach nicht. Denn diese Tötung ist das zentrale Thema, um das sich der ganze Film später spinnt.

Benny ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Pubertierender. Er rebelliert ein bisschen, testet seine Grenzen und probiert sich aus. Allerdings geht das Ausprobieren hier einen Schritt zu weit. Er ist viel auf sich alleine gestellt, seine Eltern arbeiten beide und bedienen trotzdem das gutbürgerlich-patriarchalische Klischee: Der Vater ist das Oberhaupt der Familie, die Mutter hält sich an seine Anweisungen.

Stereotypische Autoritätsfiguren, die in Hanekes Werken in der Tat oft thematisiert werden. Aus diesem Grund ist es, meiner Meinung nach, auch unbedingt erforderlich Benny´s Video nicht als Einzelwerk zu betrachten, sondern es in Kontext mit Hanekes späteren Filmen zu stellen. Besonders interessant erscheint mir hier Funny Games.

Haneke wird oft der Vorwurf gemacht, mit dem erhobenen Zeigefinger zu agieren, und das auch noch plakativ. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er seine Filme in Interviews selbst darauf reduziert. Nehmen wir Funny Games: Er selbst erklärt sich dazu mit dem Argument, dass er dem gewaltbereiten Zuseher den Spiegel vorhalten möchte. Inwiefern, dazu mehr in einer gesonderten Kritik zu Funny Games. Allerdings glaube ich erkannt zu haben, dass seine Bemühungen viel tiefer gehen. Es geht um Macht und um ihre Ausübung. Zentral um autoritäre Figuren, im Speziellen um die Eltern.

Um auf Benny´s Video zurückzukommen und den Bogen zu Funny Games zu spannen, hier ein paar Beobachtungen:

Ein sehr interessanter Aspekt ist für mich die Tatsache, dass sowohl in Benny´s Video, als auch in Funny Games die Hauptfigur von Arno Frisch verkörpert wird. Als Benny gibt er den eigentlich ganz normalen Jungen, der seine Umwelt reflektiert. Er scheint Kontrolle herzustellen durch das konservieren seiner Umgebung. Zum Beispiel filmt eine Kamera die Straße vor seinem Fenster. Das Bild wird auf einen Monitor geschaltet der in seinem Kinderzimmer steht. Die Fenster sind abgedunkelt. Anstelle sich nun also die Straße selbst zu betrachten, betrachtet er den Monitor, der das exakt gleiche Bild wiedergibt. Allerdings wird es so kontrollierbar für ihn. Er kann die Aufnahme zurück- oder vorspulen, verfremden, anhalten usw. Gut zu erkennen ist dieses an dem Video der getöteten Sau. Er sieht es sich an, das Schwein wird getötet, ist also nun tot. Allerdings nicht in Bennys Vorstellung, denn das Video lässt sich zurückspulen. Die Sau steht wieder auf, ist lebendig. Es liegt in seiner Hand, er hat die Kontrolle über Leben und Tod des Schweins. Ein absolut zentrales Thema, wenn man versucht Benny´s Video zu verstehen. Es geht hier um eine Realitätsverschiebung. Dieses Thema taucht später in Funny Games wieder auf, bei der umstrittenen "Zurückspulszene".

Nehmen wir nun also Arno Frisch als Benny. Als er das Mädchen tötet geschieht das recht emotionslos. Und hier kommt auch Hanekes vermeintliche Kritik an der Abstumpfung durch Gewalt zum Vorschein. Benny ist gewöhnt das Geschehene einfach auf Anfang zurückzuspulen und es damit aufzuheben. Auch die Tötung des Mädchens wird gefilmt und lässt sich somit in seinen Augen wieder umkehren. Dass dies nicht so ganz gelingen mag wird ihm erst später deutlich, denn der Körper des toten Mädchens ist immer noch da. Allerdings verzerrt das Video seine Wahrnehmung. Warum hat er sie getötet? Weil er wissen wollte wie das ist. Auch hier blitzt wieder Hanekes thematisierte Abstumpfung gegenüber der Gewalt, durch die ständige Betrachtung dieser, zum Vorschein.

Allerdings ist nun sehr interessant wie die Eltern damit umgehen. Benny zeigt ihnen später das Video, bis zu diesem Zeitpunkt wissen die Eltern nichts von der Tötung. Aber da sich das Geschehen nun durch den realen toten Körper des Mädchens nicht einfach zurückspulen lässt, kommt er nicht drum herum. Auch hier Emotionslosigkeit der Eltern. Nur die Mutter erliegt kurz dem Gedanken, wird allerdings pragmatisch von ihrem Ehemann gebremst. Die einzige Emotion die aufkommt gilt übrigens ihnen selbst, zu keinem einzigen Moment dem Mädchen. Die Sache wird erledigt, dass da ein Soziopath im Kinderzimmer liegt, dieser Gedanke wird verdrängt.

Was wird nun also aus so einem Kind? Wahrscheinlich ein Paul in Funny Games. Aus diesem Grund ist es so interessant für mich, dass sowohl Benny, als auch Paul von Arno Frisch verkörpert werden. Beide sind auf den ersten Blick sehr gut erzogen. Sie sind höflich, Paul sogar sehr höflich, so höflich wie man eben nur sein kann, wenn man eine Familie quält. Es gibt keinen Grund für die rohe Gewalt, eben nur den einen zu sehen wie das ist. Fünf Jahr nach Benny´s Video wird aus Benny der Soziopath Paul in Funny Games. Das passiert, wenn man die Sache aus der Welt schafft und das Kind nicht über sein Handeln aufklärt (einfach ausgedrückt).

Um das Ganze noch einmal im Kontext der Autoritätsfiguren zu sehen: Bennys Eltern leben ihm ein gutbürgerliches Leben vor, man macht was gemacht werden muss. Der autoritäre Vater gibt den Ton vor, die Mutter fügt sich. In Funny Games bedienen sich die beiden Figuren, Peter und Paul, der stereotypischen Klischees der Elternfigur: "Darf man lügen?" Etwas das auch Eltern ihren Kindern sagen und dabei brechen sie doch selbst ständig ihre Regeln. Verlogen und selbstentfremdet. Verdrehen die Wirklichkeit. Also ist es kein Wunder, dass ein Realitätsverlust einsetzt. (Ich spreche hier übrigens von Extremen)

Es wird also Haneke nicht gerecht, wenn man ihn auf seinen erhobenen Zeigefinger reduziert. Mit Sicherheit spielt die Abstumpfung gegenüber der Gewalt, durch Betrachtung und nicht Erkennen dieser, eine wichtige Rolle in Hanekes Filmen. Allerdings will ich ihm diese Erkenntnis nicht absprechen, denn wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist, dann geht es uns auch so, dass es uns nicht mehr wahnsinnig mitnimmt, wenn sich irgendwo im Nahen Osten der 1000ste in die Luft sprengt und ein paar Zivilisten mitreißt (natürlich jetzt überspitzt ausgedrückt!). Allerdings werden wir deswegen nicht gleich alle zu Soziopathen, aber den Spiegel muss man sich schon vorhalten lassen und dann nicht gleich bockig reagieren.

Gerade das Medium Film erzeugt eine enorme Abgrenzung gegenüber der Realität und somit einen Verlust dieser. Der Bezug geht verloren, wir denken die Wirklichkeit zu sehen, doch die Wirklichkeit lässt sich eben nicht zurückspulen. Aus diesem Grund ist dieses auch immer wieder Thema bei Haneke: Benny´s Video, Funny Games, Caché. Und eben oft verkannt sind Hanekes Autoritätsfiguren enorm wichtig und ziehen sich durch seine Werke. Gerade in Das weiße Band wird es offenkundig thematisiert.

Will man also Hanekes Filme verstehen, muss man eben ein bisschen weiter ausholen. Ich habe vor Kurzem gelesen, dass man Haneke als Genre betrachten sollte und das wird ihm am ehesten gerecht. Deshalb sollte man sich Benny´s Video unbedingt ansehen und auch die anderen Filme von Haneke.

An dieser Stelle soll natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass die Schauspieler in Benny´s Video Großartiges leisten. Vor allem Ulrich Mühe (übrigens später die Figur des Georg in Funny Games) und Angela Winkler agieren großartig. Und Arno Frisch gibt mühelos den emotionslosen Benny.

Benny´s Video Bild 1
Benny´s Video Bild 2
Benny´s Video Bild 3
Benny´s Video Bild 4
Benny´s Video Bild 5
Benny´s Video Bild 6
Benny´s Video Bild 7
FAZIT:

Michael Haneke als Genre. Das wird ihm am ehesten gerecht. Benny´s Video ist ein großartiger Film um in diese Welt einzutauchen. Und um Hanekes spätere Werke besser verstehen zu können. Vor allem um seine Intention zu begreifen und ihn nicht auf den erhobenen Zeigefinger zu reduzieren.

WERTUNG: 9 von 10 ausgeliehene Videos
TEXT © Nicky
Dein Kommentar >>
Fedi | 18.11.2013 10:20
Den Zeigefinger kann man dennoch nicht übersehen.
Nicht dass mich das stören würde, es gibt viele
Filme die das so machen, manche subtil, manche plump
und manche sind Haneke. Insofern finde ich den Satz
gut, dass Haneke ein eigenes Genre "ist": das Genre
Schuldfilm, wahrscheinlich. Leider ist er manchmal
sehr plakativ (Funny Games) doch weiß auch, wie es
anders geht (Das weiße Band, ein so unglaublich
bedrückender Film). Insofern denke ich aber auch,
dass dein Argument mit der x-ten Bombenanschlag-
Nachricht nicht ganz ohne eine Haneksche
Plakativität auskommt. Ich glaube nicht, dass es
daran liegt, dass wir es bereits tausend mal gesehen
haben, sondern da das Leid zu vieler Menschen für
uns teilweise nicht mehr fassbar wird. Dafür gibt es
aber dann Michis Videos die Gewalt zu etwas
fassbaren machen und sie in unsere Mitte stellen.
Sollte sich hier Haneke vielleicht etwas selbst
widersprechen, ist das auch vollkommen okay. Aber
was ich nicht verstehen kann, ist warum sich der
Titel so komisch schreibt. Man kann wohl nicht alles
erklären.
nicky | 18.11.2013 11:06
Das mit dem Titel ist mir auch ein großes Rätsel.
>> antworten
Ruuthi M. Horrorshow (FB) | 09.11.2013 20:21
Dankeschön für diese komplexe Kritik! Ich steh total auf Haneke, vor allem auf "Funny Games". Und diesen hier schieb ich immer vor mir her- vor allem wegen dem armen Schweini.. Aber ich greifs jetzt- dank der schönen Kritik- bald an! (Und das Gemotze um den angeblich erhobenen Zeigefinger kotzt mich an!) LG
>> antworten