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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Auf Anfang

Auf Anfang

OT: Reprise
DRAMA: N, 2006
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Anders Danielsen Lie, Espen Klouman-Høiner, Viktoria Winge

STORY:

Erik und Phillip, beide Anfang 20 und von Kindheit an in einer Clique unterwegs, wollen beide als Schriftsteller Erfolg haben. Doch während Phillips Buch ein durchschlagender Erfolg wird und er als "Entdeckung des Jahres" gefeiert wird, floppt Erik mit seinem Debut grandios. Aber Phillip entwickelt über die Jahre eine Psychose und hört krankheitsbedingt zum Schreiben auf. Auch die Beziehung mit seiner Freundin Kari droht in die Brüche zu gehen. Erik hält derweil ungebrochen zu Phillip. In der Zwischenzeit hat Erik seine literarischen Ambitionen nicht über Bord geworfen und hat schon mal vorsorglich seine Freundin verlassen, damit der Karriere als Autor nichts mehr im Wege steht. Und das führt schließlich zu einer Umkehrung der Situation ...

KRITIK:

Eines vorweg: Einen großen Pluspunkt bekommt AUF ANFANG für seine formale Verspieltheit - die sicher mit dafür gesorgt hat, dass dem Film auf diversen Festivals ein positiver Ruf vorauseilte. Alles beginnt nämlich mit einem "was wäre wenn"-Spiel - was wäre wenn Erik und Phillip dies und jenes passieren würde - auf das die Handlung immer wieder zurückgreift. Das verleiht dem Film Tempo und Witz. Aber leider nur in der ersten Hälfte. Dann hat der Film nämlich bereits alle wesentlichen dramatischen Konflikte ausgespielt und die Handlung entwickelt sich nur schleppend weiter. Denn von einem guten Schmäh lebt kein Film 105 Minuten lang.

Die Geschichte vom Werdegang Eriks zum gereiften Autor bleibt leider etwas farblos. Das liegt in erster Linie an der naiven Milieuzeichnung: Die Protagonisten sind alle Jungs aus der Osloer Vorstadt, unter denen sich in der Schulzeit ein Zusammenhalt gebildet hat, der bis ins Erwachsenenalter bleibt. Alle sind kulturbeflissen und Lebemänner. Die literarischen Ambitionen von Erik und Phillip scheinen nie von der Notwendigkeit des Geldverdienens eingeschränkt. Nach der Schulzeit bleiben die privilegierten Jungs denn auch ganz selbstverständlich unter sich und pflegen gemeinsam den Rock’n’Roll-Mythos und den Lifestyle der Boheme. Dass der vordergründige Zusammenhalt in der Gruppe im Detail oft eher eine Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen des anderen ist, passt ins Bild. Das Lebensgefühl der beinahe inzestuösen Clique wird nicht hinterfragt und weicht sich auch nicht auf - der berühmte Blick über den Tellerrand bleibt aus.

Die Jungs fühlen sich als Speerspitze des modernen Hedonismus, in Wirklichkeit werden Mechanismen von vorgestern kultiviert: Mädels sind in dieser Jungs-Clique reine Dekostücke, die von einem zum anderen weitergereicht werden. Sie sind natürlich für das leibliche und emotionale Wohl ihrer jeweiligen Partner verantwortlich, aber für eine intellektuelle Auseinandersetzung, geschweige denn Freundschaft, taugen sie nicht.

Auf jeden Fall aber verhindern Frauen durch ihren natürlichen Hang zum Nestbau den angepeilten "Bohemian Lifestyle" . Denn wirklich cool sind halt einfach nur Jungs. Beinahe verdächtigt man die Jungs der Clique in ihrer Egozentrik denn auch einer seltsamen, frauenfeindlichen Form der unterdrückten Homoerotik. Dazu passt dann auch, dass eine Episode in Rückblende davon erzählt, dass das beliebteste Prügelobjekt in der Schule - natürlich! - ein vermeintlich schwuler Junge war.

Derlei Sexismen und die Egozentrik der Gruppe versucht Debüt-Regisseur und -Autor Joachim Trier zwar im Laufe des Films zu brechen und zu relativieren, unter anderem durch eine Nebenfigur in einer der spannendsten Szenen des Films: Die Assistentin von Eriks Verleger trifft zufällig am Strand auf die Jungs-Clique und verbringt einen Nachmittag mit ihnen. Sie wird nicht nur mit den internen Intrigen, sondern auch mit dem Sexismus der Gruppe konfrontiert. Als die Begegnung eskaliert, verabschiedet sie sich mit den Worten "Wer in dieser Clique Probleme hat, hat’s wirklich schwer".

Auch der vermeintlich schwule Junge aus der Schulzeit wird rehabilitiert - Erik denkt mit Schuldgefühlen an diese Episode zurück. Und die Ignoranz der Jugendfreunde unter sich findet eine Auflösung in Eriks iebevoller Zuwendung zu seinem psychotischen Freund Phillip. Die Wandlung eines der Protagonisten vom Leadsänger einer Punkrock-Band zum zynischen Werbeprofi soll wohl ebenfalls als Seitenhieb verstanden werden.

Die Brechung gelingt aber leider letztlich nicht wirklich: Die Mädels verhindern weiterhin den echten "Bohemian-Lifestyle". Die Tatsache, dass keiner der Protagonisten für seinen Lebenshalt arbeiten zu müssen scheint, wird überhaupt nie hinterfragt. Außer der Assistentin des Verlegers, die mit einem der Jungs schließlich auch noch ein "Nest" baut, kommt kein neues Gesicht hinzu - man bleibt weiter unter sich.

AUF ANFANG möchte die Geschichte einer männlichen Identitätsfindung und einer kreativen Entwicklung sein - aber eine Entwicklung wird leider nicht wirklich sichtbar. Denn was letztlich übrigbleibt ist nur Nostalgie - eine Liebeserklärung an einen jugendlichen Lifestyle, nach dem Motto "Wir haben uns zwar zwangsläufig geändert und angepasst, aber damals war doch alles viel besser".

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FAZIT:

Für alle, die ihre Jugendzeit in einem ähnlichen Milieu verbracht haben oder noch mitten drin sind, hat AUF ANFANG sicher einen gewissen Charme. Für die meisten anderen bleibt er wahrscheinlich ein Debütfilm, der besser gemeint als gelungen ist. Dennoch verspricht Joachim Triers formale Verspieltheit Talent. Man darf gespannt auf seinen nächsten Film sein - den er hoffentlich mit einem besseren Drehbuch realisiert.

WERTUNG: 5 von 10 neuen Anfängen
Gastreview von Paul
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