ACTION: USA/D, 2017
Regie: David Leitch
Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, Eddie Marsan, John Goodman, Toby Jones, Sofia Boutella
Die Berliner Mauer ist gefallen. MI6-Agentin Lorraine (Charlize Theron) hat ihren Auftrag in der geteilten Stadt mit Mühe überlebt. Was ist schief gelaufen? Nun sitzt sie in einem Verhörzimmer mit ihrem Vorgesetzten vom MI6 (Toby Jones) und einem misstrauischen CIA-Mann (John Goodman). Lorraine erzählt ihre Version der Geschichte. Die ist leichenreich ...
"Ich muss gestehen, dass mich Ihre Geschichte bis jetzt noch nicht überzeugt", sagt John Goodman nach circa 40 Filmminuten. Damit bringt er das Dilemma dieses Films kompakt auf den Punkt. Ja, diese Spionage-Story in den Tagen des Berliner Mauerfalls kommt etwas verwirrend, konfus und konstruiert rüber, was möglicherweise an der Graphic Novel-Vorlage liegt. Die Idee, die Geschichte von einer Verhör-Situation ausgehend in Rückblenden zu erzählen, ist aber grundsätzlich keine schlechte. Kennt man ja von TRUE DETECTIVE. Doch in ATOMIC BLONDE funktioniert der Kunstgriff nur bedingt. Immer, wenn der Film Fahrt aufnimmt, wenn es spannend zu werden verspricht, reißen einen die Verhörszenen verlässlich aus dem Flow raus.
Die tröstliche Nachricht dabei: Der Plot ist im Grunde weitgehend egal. Völlig losgelöst von historischen Tatsachen, wie manche Kritiker monieren, agiert der Film aber keineswegs. Im Gegenteil, soweit ich das beurteilen kann, hat man sich sichtlich Mühe gegeben, das geteilte Berlin von 1989 filmisch wiederauferstehen zu lassen. Allein schon den logistischen Kraftakt, 500 Autos aus dieser Zeit, darunter dutzende fahrtüchtige Ladas und Wartburgs aufzutreiben, stelle ich mir mühsam vor. Immer, wenn irgendwo ein Fernseher zu sehen ist, läuft dort authentisches Nachrichtensendungs-Archivmaterial.
Der dominante Soundtrack macht die Zeitreise perfekt. Selten einen Film gesehen, der dermaßen stark auf Pop-Hits aus den Achtzigern setzt: David Bowie, The Clash, New Order, Depeche Mode, Falco, Nena (in einer sau-brutalen Szene) und einmal sogar Ministry: Man fühlt sich wie auf einem Iceberg-Clubbing anno 1989, mit John Goodman als DJ Elk (für Nicht-Wiener: googlen). Und Charlize Theron demoliert die Inneneinrichtung. Aber wie: Nach MAD MAX: FURY ROAD reißt die gebürtige Südafrikanerin erneut einen hochgradig kinetischen Actionfilm an sich.
In ATOMIC BLONDE, das muss einmal deutlich gesagt werden, geht es nicht um Dialoge und ach-so clevere Handlungsvolten - obwohl: Der Schluss-Twist kann was -, sondern um die Essenz des Actionkinos: Um bedrohte, geschundene, malträtierte Körper in Bewegung. Höhepunkt des schmerzhaften Geschehens ist die wahnwitzige, beinahe 10-minütige Kampfszene mit anschließender Verfolgungsjagd, die scheinbar ohne einen einzigen Schnitt und ohne sichtbare Computerunterstützung auskommt. Hier schmerzt jeder Schlag. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Charlize Theron, die darauf bestand, alle Stunts selbst zu machen, angeblich zwei Zähne eingebüßt hat.
Der Film wurde weitgehend verrissen, und ich verstehe es überhaupt nicht. Nennt mich verknallten Fanboy, aber ich bin hätte Charlize stundenlang zusehen können, wie sie in High Heels durch Berlin spaziert, einen Wodka nach dem anderen kippt, Rauchschwaden in kaltes Neonlicht bläst und einen finsteren KGB-Typen nach dem anderen zur Hölle schickt. Schön auch, dass der Film in einer Zeit spielt, in der Nudity noch kein Tabu war. Okay, die lesbische Liebesszene ist natürlich eine simpel gestrickte Männerphantasie. Aber weil der Autor dieser Zeilen ein simpel gestrickter Mann ist, hat er keinen ernsthaften Grund zur Klage.
ATOMIC BLONDE muss man sich vorstellen wie einen flotten Dreier von JOHN WICK, THE RAID und THE NEON DEMON auf einem Iceberg-Clubbing: Kaltes Neonlicht, pumpender, mit historischer Akkuratesse ausgewählter Pop-Soundtrack und mittendrin Charlize Theron als unnahbare, glamouröse, platinblonde, rauchende und Wodka trinkende Agentin, die auf Stunt-Doubles pfeift und die knochenbrechenden Kampfszenen als herself durchgezogen hat. Mehr solche coole Frauen im Actionkino, bitte!
In diesem Sinne: "I fuckin' love Berlin!"