OT: Sorcerer
THRILLER: USA, 1977
Regie: William Friedkin
Darsteller: Roy Scheider, Bruno Cremer, Francisco Rabal
Vier Männer versuchen aus einem elenden Kuhkaff in Südamerika zu entkommen, und zwar um jeden Preis. Einfacher gesagt als getan, gibt es dort kaum Geld zu verdienen. Eine einmalige Gelegenheit ergibt sich schließlich, als hunderte Kilometer entfernt bei einer Erdölquelle ein Feuer ausbricht. Nun sucht die Southern Oil Company Freiwillige, gesellschaftlichen Abschaum, entbehrlich, um schwer empfindliches Nitroglycerin über schwierigstes Terrain zur Brandstelle zu transportieren.
Als sich 1950 Henri Giralds Roman Le Salaire de la peur als enormer Erfolg entpuppte, fackelte der spätere "französische Hitchcock" Henri-Georges Clouzot (Les diabolique, La vérité) nicht lange um daraus Kapital zu schlagen. Dabei herausgekommen ist sein 1953 veröffentlichter, erster kommerzieller Erfolg Lohn der Angst und damit sein internationaler Durchbruch als Regisseur. Seine Verfilmung gilt als einer der größten Suspense-Thriller der Filmgeschichte.
24 Jahre später sollte der unberechenbare William Friedkin diese Geschichte noch einmal auf die Leinwand bringen und es gelingt ihm etwas Erstaunliches... seinem älteren Bruder in vielen Belangen die Stirn zu bieten. Leider bekamen das damals nicht allzu viele Leute mit, da die meisten Kinobesucher in diesem Jahr in der Schlange zu Star Wars oder Bandit - Ein ausgekochtes Schlitzohr standen (jedoch waren auch die damaligen Kritiken eher mittelmäßig bis negativ).
Sorcerer wurde ein finanzieller Misserfolg und zählt wohl zu den unamerikanischsten Hollywoodfilmen, die jemals von einem großen Studio finanziert wurden. Kaum jemand interessierte sich für Sorcerer, nicht zuletzt auch wegen des eigenwilligen, oft als unpassend bezeichneten Titels. "It's about revenge, vengeance, betrayal...this is how I feel about life...life is filled with betrayal...false promises...and fate is waiting around the corner to kick you in the ass!"
Um den Sinn des Titels zu erkennen, muss man schon ein Genie sein. Wer dazu keine Lust hat, der hört sich einfach Friedkins Kommentar zum Thema an. Beim Location Scouting in Ecuador bemerkte er, dass viele der Trucks dort mit Namen gekennzeichnet waren. Diese Namen reichten von Verwandten bis zu mythologischen Hoshis. Auf einem der Trucks stand "Lazaro". Der Name wurde nach langen Überlegungen jedoch nur für den zweiten Truck genommen und diente nicht als Titel zum Film (welcher damit verständlicher, wohl auch langweiliger gewesen wäre). Später, als der Regisseur sich das Miles Davis Album "Sorcerer" anhörte, stand der Titel fest.
"Sorcerer" lässt einen sofort an etwas Übernatürliches, Magisches denken. Jedoch hatte der Film in keinster Weise damit zu tun. Friedkin gab jedoch zu, dass die Anspielung auf The Excorcist, seinem vorangegangenen, sehr erfolgreichen Horrorfilm, intentionell, aber unüberlegt war. Es bestand einfach keinerlei Verbindung, was sich womöglich bald herumsprach. Schließlich machte Star Wars den Film platt. Jahre später wurden die Stimmen positiver, soweit bis einige den Film als eines der letzten, unentdeckten Meisterwerke der 70er bezeichneten, ein übersehener Smaragd. Es war der Anfang vom Untergang des New Hollywood (u.a. mit Heaven's Gate, One from the Heart und New York, New York) und zugleich der Startschuss für die Ära des Blockbusters (Jaws, Star Wars).
Für Friedkin hat der Titel sehr wohl auch eine signifikante inhaltliche Bedeutung. Ein "Sorcerer" ist ein böser Zauberer, und in diesem Fall ist der böse Zauberer das Schicksal. Der Film handelt von Typen, die genau diesem Sorcerer ausgeliefert sind, keine Kontrolle über das Wesentliche haben - wie keiner von uns. Niemand hat sein Schicksal unter Kontrolle, bestimmt seine Geburt oder seinen Tod. Der böse Zauberer zerschmettert uns aus einer Laune heraus, egal wie sehr wir leiden oder uns anstrengen. "No one is just anything".
Sorcerer ist ein großartiges Beispiel purem, filmischem Erzählens. Der Film nimmt sich Zeit für seine Figuren und nimmt stetig Fahrt auf. Doch erstmal ins Rollen gekommen, ist diese Bestie nicht mehr zu stoppen. Man fühlt sich körperlich unwohl, wissend, dass es unsere Antihelden jeden Moment zerfetzen könnte. Friedkin kreiert eine heikle, sensible Situation, einen klaustrophobischen, beweglichen Ort der Wahrheit und Entscheidung, welcher für jeden Zuseher unmittelbar greifbar und spürbar ist.
Ab einem gewissen Punkt lässt uns der "Dunkle Magier" nicht mehr aus seinem mächtigen Würgegriff und prügelt uns windelweich, bis zum nihilistischen Ende. Erschöpft verlässt man Friedkins Limbo. Roy Scheider liefert kraftvolles Schauspiel als ein Mann, der zu jeder Sekunde weiß, dass er seinem unerbittlichen Schicksal ausgeliefert ist. Er verkörpert einen echten Antihelden - mutig und entschlossen, verzweifelt, angsterfüllt, vernichtbar. Zudem würde keine der Figuren einen Sympathiepreis gewinnen. Der Zuseher soll wissen, dass es sich hier nicht um "Gutmenschen" handelt. No one is just anything. Die Linie zwischen Gut und Böse existiert nicht.
Ratten sind vage gezeichnet, wenn nicht unerkennbar. Jeder der Protagonisten ist arbiträr, aus den unterschiedlichsten Ecken und Kulturen, auf der Flucht aus den unterschiedlichsten Gründen. Zusammengeschlossen durch einen gemeinsamen Feind überwinden sie diese Brücken und trotzen ihrer Angst vor dem unsichtbaren Tod, dem lauernden Nichts.
Der Score stammt von Tangerine Dream, die sich damit als Filmkomponisten bemerkbar machten. Die Band um Edgar Froese liefert einen enorm stimmigen Score ab, der viel zur allgemeinen Anspannung beiträgt und den meisterlichen, in feinster Liga spielenden Bildern die letzte Macht verleiht. Mit dem Track "Betrayal" untermalte man zwei Jahre später auch den cremigen Trailer zu Walter Hills The Warriors.
Lohn der Angst oder Atemlos vor Angst?
Fast vier Jahrzehnte sind vergangen seit Atemlos vor Angst zum ersten Mal die Lunge kolabiert ist, und somit beide Filme ins Alter gekommen sind. Also welcher der beiden ist nun eigentlich der wirksamere, bessere Film? Für den Zuseher von heute ist das eine durchaus legitime Frage, da ja beide Filme produktionstechnisch nicht mehr vergleichbar sind mit heutigen Produktionen und damit weniger ins Gewicht fallen. Sorcerer ist auch nicht ein bloßes Remake, sondern liefert genügend Originelles, um als eigenständiges Werk zu funktionieren. Friedkin äußerte sich auch mehrmals deutlich, dass es sich um kein Remake handle. Beide Filme haben Stärken und Schwächen. Beide Filme haben unvergleichliche Momente. Und beide Filme sind spannungsgeladene Adrenalinspritzen der Sonderklasse. Somit ist es wohl eher Geschmacksache als eine Qualitätsfrage.
Atemlos vor Angst ist unglaublich gut gealtert, bis hin zu den Klamotten und Frisuren, fast so als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Den besseren Titel hingegen hat definitiv ersterer - Lohn der Angst - muss man erst mal wirken lassen. Großartig.
"A true Lazarus moment and a new life in cinema"
2013 wurde der Film nach einer aufwendigen, von Friedkin selbst überwachten Restaurierung (finanziert von Warner Bros.) und einem zähen Rechtsstreit in Cannes wiederaufgeführt. Seit 2014 ist der Film auch wieder fürs Heimkino erhältlich. Friedkin ging 2012 gegen Paramount und Universal Studios vor Gericht. Beide behaupteten, die Rechte des Films nicht zu besitzen. Sie wüssten auch nicht wer dies tue. "The film been in a legal whirlpool for 30 or 35 years". Schließlich zeigte Warner Bros. Interesse den Film zu veröffentlichen. Naja, wer sich näher dafür interessiert, kann's ja im Netz nachschlagen. Es ist auf jeden Fall unfassbar, welch erbärmliches Schicksal so mancher Film erleidet. Friedkins Vorgehen hat anderen Filmen mit ähnlich obskurem Dasein auf jeden Fall geholfen, denn Sorcerer ist bestimmt kein Einzelfall. Und das Schöne ist, dass es ihm nicht um Profit ging, sondern um den Film endlich auf DVD etc. zu veröffentlichten bzw. Universitäten, Filmgesellschaften eine Kopie zur Verfügung zu stellen.
Ein einzigartiger, brutal pessimistischer Film aus der wagemutigsten Ära Hollywoods von einer seiner unberechenbarsten Kreaturen. "Solche Filme werden heute nicht mehr gemacht". Jeder Filmfreund kennt diesen Satz zur Genüge. Wer den Film gesehen und auch nur den Hauch einer Ahnung hat, der weiß, was damit gemeint ist.