INSTAHORROR: USA, 2018
Regie: Sam Levinson
Darsteller: Odessa Young, Hari Nef, Suki Waterhouse, Abra, Colman Domingo, Bill Skarsgård
Ein Hacker hat es auf die Mobiltelefonie der braven Bürger von Salem, Massachusetts abgesehen und veröffentlicht wahllos private Nachrichten, Nacktfotos, alles, was sich eben finden lässt. Der Volkszorn tobt. Mögliche Schuldige sind schnell gefunden. Lily und ihre Freundinnen wissen nicht, ob sie die Nacht überleben werden ...
"This is the Story of how Salem, my town, lost its motherfucking mind". Mit diesem Satz aus dem Off beginnt ASSASSINATION NATION. Die Off-Stimme gehört der 18-Jährigen Lily Colson (Odessa Young). Gemeinsam mit ihren Teeniefreundinnen Sarah, Bex und Em ist sie mehr auf Instagram zu Hause als in Salem (klingelt da was, liebe Stephen King oder Rob Zombie-Freunde)? Bis irgendjemand die Handys aller Beteiligten hackt und das Cyber-Mobbing "The Purge"-artige, also lebensgefährliche Züge annimmt.
Das "Highschool-Horror-Revenge-Movie" (Zitat zeit.de) wurde am Sundance-Festival präsentiert und erwies sich dort, wie man so schön sagt, als Publikumsspalter: Die Reaktionen pendelten von überschäumender Begeisterung bis kompletter Ablehnung. Ein gutes Zeichen, wenn mich jemand fragt. Denn nichts ist langweiliger als Filme, die eh alle irgendwie "ganz nett" finden.
"Eh ganz nett", das wäre wohl die schlimmste Beleidigung für Regisseur Sam Levinson (bekannt für die HBO-Serie "Euphoria"). Der Film beginnt mit einer wohl als ironischen Wink an die "Generation Safe Space" gemeinten Triggerwarnung - vor Sex, Drogen, Gewalt, Entführung, Mord, Waffen, Rassimus, Homo- und Transphobie, schwache Männeregos, Sexismus und "gierigen Blicken". Das wirkt: Gierigen Blickes lässt sich der nach Sex, Drogen und Gewalt lechzende Autor dieser Zeilen in den Film hineinfallen.
Das ästhetische Konzept von ASSASSINATION NATION lautet wohl: Allein reinpacken, was irgendwie geil ist. Die digitale Künstlichkeit der Instagramm-Filter und den poetischen Realismus von jüngeren amerikanischen Indie-Filmen wie AMERICAN HONEY oder THE FLORIDA PROJECT. Die grellen Farbfilter-Exzesse aus SPRING BREAKERS. Kunstblut-Fontänen wie Anno dazumal in TENEBRAE. Und was wäre ein zeitgeistiger Indie-Film ohne Hommagen an Gott und die Welt? FIGHT CLUB, STRAW DOGS und sogar die berüchtigte Vergewaltigungsszene in John Boormans DELIVERANCE werden zititiert. Die Sonnenbrille in Herzchenform, die Lilys hübsche Nase ziert, hat man von Stanley Kublicks LOLITA ausgeborgt, und überhaupt ist dem Film kein popkultureller Code, kein progressives soziologisches Akronym fremd. Dem Autor dieser Zeilen sehr wohl, der musste Begriffe wie LGBTQIAA erst einmal googlen. Dass die junge Dame namens Bex, die diesen Begriff in den Mund nimmt, von der prominenten Transgender-Aktivistin Hari Nef gespielt wird, ist mir erst im Abspann aufgefallen - weshalb sich mir bestimmte Schlüsselszenen sexueller Natur erst nachträglich erschlossen haben.
Überhaupt ist ASSASSINATION NATION so vollgepackt mit kreativen Ideen inhaltlicher und visueller Natur, dass er geradezu nach einer Zweitsichtung schreit. Dass zwischen explizitem Trash-Talk über "Fuck Boys", Tinder, Pornhub und die optimale Lichtsetzung beim Anfertigen von Nackt-Selfies auch noch kluge Zitate mit tatsächlich welterklärerischem Potential abfallen, ist keine schlechte Überraschung dieses kleinen geilen Films, in den ich mich, wie man vielleicht merkt, gerade sehr heftig verliebt habe.
In diesem Sinne: "10 Prozent der Bevölkerung sind grausam. 10 Prozent zeigen Mitgefühl. Und der Rest schwankt in die eine oder andere Richtung."
Ein Filmtitel wie ein Versprechen. Das auch eingehalten wird: Superzeitgeistig grellbunt aufgehübschtes Teenager-Portrait in der ersten, brachiales Horror-Szenario in der zweiten Hälfte. Weibliche Ermächtigung wird zelebriert, toxische Männlichkeit in Stücke geschossen. Pulp-Feminismus hätten das Filmkritiker früher genannt. Oder, wie Nicolas Cage in Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans sagt: "Das ist einfach nur geil!"