AUTOBIOGRAFISCHES: Südkorea, 2011
Regie: Kim Ki-Duk
Darsteller: Kim Ki-Duk
Einige Filmfans werden sich vielleicht gefragt haben was eigentlich aus Kim Ki-Duk geworden ist. Dieser Film gibt die Antwort. Er leidet unter einer Depression und Schaffenskrise. Aber anstatt wie Federico Fellini 8 ½ oder wie Lars von Trier Melancholia zu machen, drehte er diesen, wenn ich das mal ganz zynisch ausdrücken darf, Digital-Ego-Porno.
Ich glaube Filme wie Arirang sind Kinder ihrer Zeit. Hätte ein Filmeautor früher eine solch verletzte Seele nach außen gekehrt, so hätte er ein kleines Büchlein geschrieben. Heute im digitalen Zeitalter, wo man sich als Einmannfilmteam verwirklichen kann, dreht man einfach einen Film über sicht selbst.
Diesmal ist es einer der interessantesten und schrägsten zeitgenössischen Regisseure Kim Ki-Duk, der seit einem traumatischen Erlebnis bei den Dreharbeiten zu seinem bis vor Arirang letzten Film "Dream" - eine seiner Hauptdarstellerinnen wäre bei ihrer Selbstmordszene am Strick beinahe wirklich gestorben, konnte aber vom Regisseur persönlich gerettet werden - eine schwere Depression und Sinnkrise durchleidet und zurückgezogen in einer Baracke haust.
Arirang ist ein altes koreanisches Wort, für das es keine direkte Übersetzung gibt. Es bedeutet in etwa "sich selbst erkennen". Es ist auch der Titel eines bekannten koreanischen Volksliedes, das als heimliche koreanische Nationalhymne gilt. Das Lied erzählt die Geschichte des ewigen Auf und Abs im Leben und kennt keine einheitliche Melodie, sondern wird in jeder Region anders tradiert und gesungen. Dieses Lied, welches von Kim Ki-Duk während des Films immer wieder zum Besten gegeben wird, dient sozusagen als Leitmotiv des Films. Der Regisseur selbst meinte, wenn er dieses Lied höre, ergäbe plötzlich alles einen Sinn.
So sitzt Kim Ki-Duk nun da, in seiner unaufgeräumten Baracke. Ist ungepflegt, mampft permanent vor sich hin, geht aufs Häusl, bastelt ein bisschen an seiner selbstgebauten Espressomaschine und an einem Revolver und unterhält sich mit sich selbst, oder mit seinem Schatten. Hin und wieder singt er, manchmal weint er auch ein bisschen. Er hält Monologe, beklagt sich über die Welt, obwohl er gleichzeitig versteht, dass so eben der Lauf der Dinge ist und dass er im Grunde als weltbekannter Regisseur, als einer, der es geschafft hat, eigentlich zu den Glücklicheren gehören sollte. Aber ein unglücklicher und einsamer Mensch bleibt man auch, wenn man reich und/oder erfolgreich ist, vor allem, wenn man so geboren zu sein scheint.
Wie soll man so einen Film bewerten? Er ist ganz einfach und doch sehr komplex. Er hinterlässt paradoxe Gefühle. Einerseits ist er peinlich, beschämend und trivial. Einem vermutlich tiefgründigen Menschen bei einer derart selbstentblößenden Eigentherapie zu einer doch recht banalen Depression zusehen zu müssen ist irgendwie pervers.
Auf der anderen Seite ist der Film geradezu erstaunlich ehrlich. Kim Ki-Duk, den sicher auch aufgrund seiner Filme und seines abwechslungsreichen Lebens eine Art mystischer Nimbus umgibt, hält sich hier hemmungslos den Spiegel vor. Er kotzt uns seine Seele vor die Füße. Das ist wie gesagt, manchmal peinlich, manchmal zum Fremdschämen, manchmal einfach lächerlich, und sollte vielleicht ähnlich einem Tagebuch niemals bzw. erst als Nachlass veröffentlicht werden, andererseits wurde doch das Kino genau dafür erfunden, so hoffe ich zumindest, um Menschen durch den Filter der Kunst, durch Haut und Augen direkt in die Seele blicken zu können.
Wer das also durchhält, wird einige interessante seelische Schätze finden und mit der Persönlichkeit eines Genies konfrontiert. Aber viele werden das sicher nicht durchhalten, das verspreche ich. Für die zwei österreichischen und fünf deutschen radikalfanatischen Kim Ki-Duk Fans jedenfalls ein Pflichttermin, für alle anderen vermutlich einfach uninteressant. Ich hätte lieber Godard beim Scheißen zugesehen, ich sage es ehrlich.
Kim Ki-Duk zieht sich im metaphorischen Sinn pudelnackert aus und lässt sich in seiner vollen Banalität bewundern. Eindrucksvoll ehrliche, aber gleichzeitig peinlich-banale Bekenntnisse und Selbsttherapie eines der interessantesten zeitgenössischen Regisseure. Für Seelennaturalisten, Kim Ki-Duk Jünger und Amateurfilmer (weil hier eindrucksvoll bewiesen wird, dass man mit Rustikalausrüstung und ohne Geld durchaus etwas zustande bringen kann) sehr sehenswert. Allen anderen empfehle ich einen großen Bogen um diesen Film zu machen. Die Therapie scheint übrigens funktioniert zu haben, denn sein neuer Film "Amen" feierte seine Premiere am 17. September 2011 auf dem San Sebastián International Film Festival statt. Wir können uns also wieder auf "normale" Kim Ki-Duk Filme freuen.