BODY HORROR: Kanada, USA, 2012
Regie: Brandon Cronenberg
Darsteller: Caleb Landry Jones, Sarah Gadon, Douglas Smith, Joe Pingue
In einer nicht allzu fernen Zukunft hat der Starrummel groteske, verstörende Züge angenommen hat. Die Fans begnügen sich nicht mehr mit einem Autogramm ihres Lieblings, sondern wollen gleich seinen Herpes (oder Schlimmeres) haben. Medizinische Firmen haben sich darauf spezialisiert, Viren aus erkrankten Prominenten zu extrahieren, um sie gegen Bares dem devoten Fan zu injizieren. So kann dieser sich an Pusteln, Fieber oder Grippe "erfreuen", mit dem Wissen, dass er von einer berühmten Leinwandschönheit höchstselbst angesteckt wurde. Syd March arbeitet für eine solche Firma und verfällt selbst dem Produkt. Er infiziert sich selbst mit jenem unbekannten Virus, der den Superstar Hannah Geist derzeit ans Siechenbett fesselt. Kurz darauf muss er zu seinem Entsetzen feststellen, dass er sich mit einer tödlichen Krankheit infiziert hat. Der rätselhafte, Tod und Halluzinationen bringende Virus ruft außerdem einige zwielichtige Gestalten von der Konkurrenz auf den Plan.
Die künstlerische Ader hat er vom berühmten Vater David. Doch laut Wikipedia wollte Brandon Cronenberg eigentlich viel lieber Schriftsteller, Maler oder Musiker werden. Nun hat sich der 33-jährige offenbar doch dazu entschlossen, in die Fußstapfen des alten Herrn zu treten und seinen ersten Spielfilm gemacht. In ANTIVIRAL widmet er sich folgerichtig dem Body Horror; jenem Feld, das Vater David einst mit Filmen wie RABID, DIE BRUT, VIDEODROME oder DIE FLIEGE bestellt, aber schon lange nicht mehr beackert hat. Es liegt wohl im Blut.
Kränkliche, leichenblasse Gesichter. Blutige Auswürfe. Einige in Großaufnahme in Venen und Lippen gestochene Injektionsnadeln. Die Anfälligkeit des menschlichen Körpers für Krankheit und Irrsinn wird in teils drastischen, teils ekelerregenden Bildern präsentiert.
Die Welt von ANTIVIRAL ist scheußlich weiß. Die Farbe Weiß ist absolut dominant. Weiße Wände, weiße Lacke, polierte weiße Flächen. Arztkittel. Apple-Weiß, Klinik-Weiß. Überlebensgroße Fotos und Plakate von prominenten Schönheiten. Wie dem in diesem Film allgegenwärtigen fiktiven Superstar Hannah Geist. Noble Blässe. Kameralächeln. Blitzend weiße Zähne zwischen blutroten Lippen. Auf natürlich weißem Hintergrund. Diese Welt ist zwar weiß, wirkt aber so steril und kalt wie eine Injektionsnadel. Es ist durchaus vorstellbar, dass eine solche Welt einen so pervertierten, bizarren Starrummel hervorbringt, wie er in ANTIVIRAL beschrieben wird.
In dieser schrecklich kalten und weißen Welt erinnert unsere Hauptfigur in ihrem schwarzen Anzug und dem kreidebleichen Gesicht an einen Leichenbestatter. Die einzigen anderen Farbtupfen in dieser polierten, weißen Dystopie sind meistens rot. Die rotgeschminkten Lippen einer prominenten Schönheit. Oder das viel dunklere Rot des Blutes, welches im späteren Verlauf des Films in Litern aus den Lungen gehustet wird... Im Audiokommentar bezeichnet Kameramann Karim Hussain den Film scherzhaft, aber zutreffend als "Cough Movie". Es ist ein kleiner, filmgewordener Alptraum für unser Immunsystem.
Die Gegenwart von ANTIVIRAL ist nicht die unsere. Noch nicht. Es ist die Zukunft, aber eine -wie zu befürchten steht- recht nahe. ANTIVIRAL ist trotzdem ein bisschen Science Fiction. Die Menschen fahren zwar noch mit Autos, doch sie haben schon komplizierte Maschinen entwickelt, welche imstande sind, einem Virus ein gequältes, groteskes, aber menschliches Gesicht zu geben. Fotografien dieser fratzenhaften Zerrbilder zieren dann die edlen Schachteln, in denen sich dann nicht etwa Phiolen mit teurem Parfüm befinden, sondern Phiole mit den Krankheiten eines Stars, der dann exklusiv auf den nächsten verirrten, verrückten, zahlungswilligen Fan harrt.
Die gibt es in dieser kranken, kalten Welt zuhauf. Der Handel mit authentifizierten Promi-Seuchen ist ein lukratives Geschäft. Was natürlich auch verbrecherische Kräfte auf den Plan ruft. Nachdem sich Regisseur und Drehbuchautor Brandon Cronenberg lange Zeit auf seine groteske Grundidee konzentriert, auf Krankheit, Husten, Fieber und Zerfall, sorgen die kriminellen Machenschaften rund um den Star-Virus-Hype in der zweiten Filmhälfte für eher klassische Spannungskomponenten, die in ihrer Melange aus Verschwörung und Wahnvorstellung wieder ganz stark an diverse Werke des Vaters (VIDEODROME, eXistenZ) erinnern.
Leider ist dieser Teil nicht ganz so mitreißend und packend ausgefallen wie man das von den väterlichen Meisterstücken gewohnt ist. Damit ist die erste Hälfte, die uns das Tagesgeschäft mit den Promi-Viren - das Angebot und die Nachfrage - veranschaulicht, fast schon die interessantere.
Hier lernen wir nämlich Viren-Dealer Syd March (die irgendwie verstörende, aber von Caleb Landry Jones brillant und verdammt eindringlich gespielte Hauptfigur) kennen. Die Connaisseure, die "Men of taste", wie er seine gestörte Kundschaft bezeichnet. Und natürlich die ätherische Sarah Gadon, welche die von der Masse göttinnengleich gehuldigte Hannah Geist verkörpert und die lange Zeit nur als ein eben solcher durch den Film zu schweben scheint, aber dennoch allgegenwärtig ist. Kaum eine Szene, wo ihr Gesicht nicht irgendwo im Hintergrund oder Vordergrund auftaucht. Auf Plakaten, Leinwänden, Bildschirmen, Videos und in Nachrichtensendungen.
"She's perfect somehow, isn't she? More than perfect. More than human."
Auf dem harten Boden der Tatsachen allerdings sehen wir es in weniger erfreulicher Umgebung. Totenbleich, von Krankheit gezeichnet, auf einem blutbefeckten Kissen...
Trotz mancher ekelerregender Szene mit Spritzen, Krankheit und wuchernden Krebszellen sowie den kurzen Ausflug ins Medizinthriller-Terrain im letzten Drittel des Films ist ANTIVIRAL alles andere als übliche Genrekost, sondern viel mehr ein kühler, etwas sperriger Kunsthorrorfilm, der die Sehgewohnheiten des "normalen" Horrorfans auf eine harte Probe stellen dürfte. Neben dem Body Horror steckt hier verdammt viel Arthouse drin; und die dient eben meistens nicht der leichten Unterhaltung. Im Sturm wird ANTIVIRAL die breite Fanbasis wohl nicht erobern.
Einerseits ist die Grundidee originell, das Setting ungewöhnlich und Hauptdarsteller Caleb Landry Jones in so guter wie morbider Form, dass er den Film fast im Alleingang trägt; andererseits wird der Zuschauer derart permanent mit kränklichen Gesichtern, blutigem Husten und kalter, weißer Trostlosigkeit bombardiert, dass das Konzept bereits nach der Hälfte der Laufzeit erste Ermüdungserscheinungen zeigt. Letztendlich wird nie so richtig klar, was Brandon Cronenberg mit dieser Mixtur aus Kunst, Medienkritik und viralem Grauen abseits der überspitzten Zeichnung modernem Götzentums und der Dekonstruktion etwas scheinbar Perfektem eigentlich bezwecken will. Es scheint so, als habe er sich am Ende selbst in den Winkeln und Ecken seines eigens kreierten biologischen Alptraums verlaufen.
Das betont alptraumhafte Schlussbild lässt den Zuschauer zwar beunruhigt, aber kaum schlauer zurück.
Mit seinem Filmdebüt versucht sich David Cronenbergs Sohn Brandon in dem Genre, welches der Vater einst entscheidend geprägt hat. Basierend auf einer grotesken wie originellen Grundidee bietet ANTIVIRAL Body Horror der bizarren Art und beschreibt seine biologischen und medizinischen Schrecken mit einigen schmerzhaften Großaufnahmen von Krankheit, Verfall und einstechenden Injektionsnadeln. Die sterile eigentümliche Bildersprache sowie die kühle, sperrige Erzählweise könnten normale Genrefans vor Probleme stellen, denn ANTIVIRAL versteht sich offensichtlich als Kunsthorrorfilm, der weder auf leichte Unterhaltung noch auf genreübliche Spannungsmechanismen setzt. Mit den Meisterwerken des Vaters kann sich ANTIVIRAL nicht messen, ist jedoch nicht zuletzt wegen seines neuen, bizarren Szenarios und einem überragend (morbiden) Caleb Landry Jones in der Hauptrolle einen Blick wert.