OT: The Angels' Share
DRAMA/KOMÖDIE: UK, FRANKREICH, 2012
Regie: Ken Loach
Darsteller: Roger Allam, John Henshaw, Daniel Portman, William Ruane, Lorne MacFadyen, Paul Brannigan
Robbie hat eine ganze Menge Probleme an der Backe. Nachdem er bei einer Schlägerei drei Leute schwer verletzt hat, wird er zu Sozialstunden verdonnert und muss sich aus Ärger raushalten. Leider sinnen die drei Kleinkriminellen mit denen er Ärger hatte auf Rache und außerdem hat es sein Schwiegervater auf ihn abgesehen und setzt ihm bei jeder Gelegenheit zu.
Doch da entdeckt er durch den Sozialarbeiter Harry, dass er ein gutes Gespür für Whisky hat. So bietet sich ihm die Chance auf ein neues Leben, doch anders als gedacht. Zusammen mit seinen drei Freunden Mo, Albert und Rhino will er den teuersten Whisky der Welt stehlen.
Montagmorgen, 9 Uhr in der FILMTIPPS.at-Redaktion. Redaktionssitzung. Harald trudelt ein, nachdem die gesamte Redaktion wie üblich bereits um 7 Uhr antanzen musste um eine ausgiebiges Frühstück mit allem Drum und Dran für El Cheffe herzurichten. Während er nun auf seinem goldenen Thron von Kristen Stewart im Prinzessin Leia-Kostüm mit Weintrauben gefüttert wird, lässt er die zu sichtenden DVDs verteilen. Wie immer besteht die Wahl zwischen Twilight und brandfrischen Rezensionsexemplaren – wer sich was hat zu Schulden kommen lassen oder bei den Rezensionsexemplaren nichts findet, für den gibt’s keine Wahl; das heißt Twilight in der Dauerschleife, für mindestens 10 Stunden.
Während ich schon befürchte wieder einen Tag mit glitzernden Vampiren verbringen zu müssen, fällt auf einmal ein Name – ANGELS‘ SHARE. Moment, hatte mir den nicht vor einer Weile ein Dozent auf einem Drehbuchseminar empfohlen? Wunderbar, Problem gelöst, den nehme ich.
Doch was sich jetzt vielleicht anhört wie die luftig-lockere Einleitung zu einer mindestens ebenso luftig-lockeren Komödie ist mindestens ebenso irreführend wie die Werbung für ANGELS‘ SHARE. Denn obwohl dieser Film als lupenreine Komödie, gar „Die Whisky-Komödie des Jahres“ – klar, so viele gibt’s davon ja auch nicht –, beworben wird, ist er die gesamte erste Stunde lang vor allem eins – ein graues, durchaus heftiges Sozialdrama, nicht frei von Klischees, aber dennoch stark und mitreißend.
Die Welt unseres Protagonisten Robbies wird sehr genau beleuchtet und intensiv vorgestellt und sie ist mindestens ebenso grau wie Schottland selbst – die grauen Straßenzüge, die karge Landschaft, der graue Himmel. Grau, alles grau. Und niederschlagend. Umso heftiger trifft einen die Wucht mit der die Exposition auf den Zuschauer eingeprügelt wird, vor allem wenn man darauf nicht vorbereitet war, weil man doch eine Komödie erwartet hat. Die wenigen lustigen oder heiteren Momente der ersten Stunde werden daher auch dankend in Empfang genommen und man freut sich als unvorbereiteter Zuschauer, die Anspannung für einen Moment abfallen lassen zu können.
Nach guten 60 Minuten dann wandelt sich ANGELS‘ SHARE in ein Road Movie und schlägt mit dem genialen Soundtrack – I’m gonna be (500 Miles) von The Proclaimers – deutlich fröhlichere Töne an, so dass man nicht umhin kann mit dem Fuß mit zu wippen und mit einem Lächeln im Gesicht dem Weg unserer Heldentruppe durchs graue, karge Schottland zu folgen. Und obwohl es jetzt lockerer zugeht, lustiger, bleibt es trotzdem spannend. Schaffen es Robbie uns eine Freunde mit ihrem genauso ausgebufften wie alles andere als wasserdichten Plan ihren Coup durchzuziehen und damit die Chance auf ein besseres Leben zu bekommen? Diese Frage hält die Spannung aufrecht, da man nun nicht mehr bangen muss, dass Robbie jeden Moment überfallen wird und sich seiner Haut erwehren muss und dadurch vermutlich doch noch im Gefängnis landet.
Was einem Drehbuchautor und damit auch dem Film in solch einem Fall das Genick brechen kann – nämlich mittendrin das Genre zu wechseln, von Drama zu Komödie eben – funktioniert bei ANGELS‘ SHARE jedoch sehr gut. Ganz im Gegenteil sogar, durch diesen Kniff, der nicht wirkt als sei er zufällig während des Schreibens entstanden, sondern mit Sicherheit so geplant wurde, schafft es Paul Lavertys Drehbuch in der zweiten Hälfte eine dezent spaßige Komödie hervorzubringen, die in ihrer Gesamtheit, durch ihren Facettenreichtum, durchaus realistisch bleibt. Denn weder ist zu Beginn alles schlecht, noch ist später alles lustig.
Die Figuren sind dabei äußerst fein gezeichnet, allen voran natürlich Robbie, der problembehaftete Berufsjugendliche und Whisky-Connaisseur. An ihm zeigt sich besonders, dass die Welt in ANGELS‘ SHARE nicht bloß schwarz und weiß, sondern grau – womit wir wieder bei den Straßenzügen Schottlands Städte wären. Klar, er hat keine weiße Weste, steckt bis zum Hals in der Scheiße und für vieles davon ist er selbst verantwortlich. Doch auch wenn er schlimme Dinge getan hat und es ihm schwer fällt sich zurückzuhalten neue Dinge zu tun, so zeichnen ihn doch auch positive Eigenschaften aus. Seine Liebe zu seiner Freundin und seinem Kind zum Beispiel, für deren Wohl er gar in Erwägung zieht beide zu verlassen und weit weg in London ein neues Leben zu beginnen. Durch seine wachsende Liebe zum Whisky und die Erkenntnis, dass er ein durchaus feines Näschen für eben jenen hat, fällt es ihm jedoch leichter, sich Stück für Stück zu resozialisieren. Dass es letztlich ein Verbrechen braucht um ihn ein ehrliches und bürgerliches Leben zu führen lassen, sei dann doch mal der Gesellschaft geschuldet.
Etwas weniger fein gezeichnet sind hingegen Albert, Mo und Rhino. Zwar sind auch sie weit davon entfernt bloße Figurenhülsen zu sein, doch merkt man ihnen schon an, dass es sich um Nebenfiguren handelt. Dafür zeigt sich auch hier wieder wie facettenreich das Leben sein kann, denn während Robbie am Ende eine deutliche Entwicklung durchgemacht und nicht nur Ziel sondern auch Bedürfnis erfüllt hat, bleiben seine Mitstreiter weitestgehend wie sie sind – die ergaunerte Kohle wird erst mal versoffen – Ironie pur, wenn man bedenkt, dass das Geld mit Alkohol gemacht wurde.
Die Inszenierung durch Ken Loach ist indes äußerst dynamisch und reagiert gekonnt auf den Genrewechsel zu Mitte des Films. Noch zu Beginn, gerade in der Stadt, bleibt die Kamera ständig in Bewegung und man fühlt sich fast so gehetzt wie Robbie, der immer auf der Hut sein muss. Doch sobald der Road Trip des Vierergespanns seinen Lauf nimmt, lässt er durchaus auch mal ruhige Einstellungen für sich sprechen und bringt damit Gelassenheit in die ganze Angelegenheit. Unterstützt von talentierten Darstellern – keine Nasenbären in Sicht – liefert er so doch noch die versprochene Komödie ab.
In diesem Sinne. „Und dafür riskier ich meine Vorhaut!“
ANGELS‘ SHARE ist ein Film in dessen Brust zwei Herzen schlagen – einerseits ist er deftiges Sozialdrama, andererseits Roadmovie, Heist-Movie und letztlich doch noch irgendwie auch eine beschwingte Komödie. Man hätte aus dieser Kombination durchaus zwei Filme machen können, die grundverschiedener nicht ausgefallen wären und vielleicht wäre das sogar besser gewesen. Dann jedoch, wenn man erst einmal darüber hinweggekommen ist, dass dieser Film beim Zuschauer – vor allem dem unvorbereiteten – irgendwie ein zwiespältiges Gefühl hinterlässt, hin und hergerissen zwischen Schwermut und Freude, erkennt man, dass ANGELS‘ SHARE richtig ist, so wie er ist. Letztlich aber kommt man nicht umhin etwas von der Euphorie und Unbeschwertheit zu fühlen, die auch die Figuren am Ende der Geschichte mit nach Hause nehmen.
Und dann wird man das Gefühl nicht los, dass ANGEL’S SHARE wahrscheinlich doch die Whisky-Komödie des Jahres ist.