DRAMA/KRIEGSFILM: USA, 2014
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Kyle Gallner, Jake McDorman
Nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia 1998 meldet sich Chris Kyle zu den Navy Seals. Im Irak mutiert der texanische Cowboy zum erfolgreichsten Scharfschützen der amerikanischen Militärgeschichte. 160 Kills gehen auf sein Konto. Clint Eastwood setzt diesem Mann ein heftig umstrittenes filmisches Denkmal.
Der Film beginnt mit der Szene, die wir schon aus dem nervenaufreibenden Trailer kennen. Der Schütze liegt flach auf dem Dach eines Hauses und beobachtet die Szenerie durch sein Zielfernrohr. Unten am Boden rücken amerikanische Marines mit Panzerunterstützung vor. Plötzlich tritt eine schwarz gekleidete Frau auf die Straße, begleitet von ihrem kleinen Sohn. Mit einer Panzergranate in der Hand nähern sich Frau und Kind den amerikanischen Soldaten. Wir werden diese Szene später ein zweites Mal sehen.
Doch zuerst ein harter Schnitt.
Rückblende in die Kindheit des Snipers: Aufgewachsen in einer staubigen Bratpfanne namens Texas. Wildwest-Romantik. Marvel-Comics. Rodeo. Jagen in den Wäldern. Der obligatorische sonntägliche Kirchgang. Stars and Stripes in jedem Fenster, in jedem Vorgarten. Der Vater ist ein, wie man so schön sagt, strenger, aber gerechter Patriarch, dem wohl auch gelegentlich die Hand ausrutscht. Alles, was er tut, tut er für Gott, Familie und Vaterland.
AMERICAN SNIPER eilt der Ruf voran, einer der kontroversesten Hollywood-Filme der letzten Jahre zu sein. Von links wurde der Film angegriffen, von rechts reflexartig verteidigt. Okay, sagen wir, wie es ist: Ein Film, der von einer gewissen Sarah Palin als "patriotisches Meisterwerk" bezeichnet wird, hat schon auch ein Problem. Was folgte, war eine emotionale Debatte, die dem Film zumindest kommerziell keineswegs zum Nachteil gereichte: Die Amerikaner stürmten die Kinos. Auf seine alten Tage konnte sich Clint Eastwood über den größten Geldregen seiner Karriere freuen.
Ist AMERICAN SNIPER jetzt tatsächlich der militaristische Hasspropaganda-Film, der dem liberalen Hollywood-Establishment die Zornesröte ins Gesicht trieb? Oder doch ein Antikriegsfilm, der eindringlich zeigt, welche Zerstörungen der Krieg in der Psyche des Menschen anrichtet? Die Antwort: Beide Sichtweisen haben etwas für sich. Anders als seine Gegner weiß Clint Eastwood, dass die Welt eben nicht nur Schwarz oder Weiß ist. Dialektik nennt man das.
Ganz abgesehen davon wird die Wirkung von sogenannten "Propagandafilmen" sowieso massiv überschätzt. Der Autor dieser Zeilen ist mit den ideologisch eher fragwürdigen Actionspektaklen aus der Waffenkammer der berüchtigten Cannon-Studios aufgewachsen. Und ist trotzdem nicht zum rechtsradikalen, Armyhosen tragenden Paintball-Freak mutiert. Eher zum Gegenteil. Wobei mir andererseits das allgegenwärtige USA-Bashing von Linken, Verschwörungstheoretikern und selbsternannten "Info-Warriors" schon auch als eine ziemliche Idiotenhaltung erscheint. Aber ich schweife ab.
Wesentlich wichtiger ist die Frage: Wie ist der Film tatsächlich, filmisch betrachtet? Ist der Erfolg (sechs Oscar-Nominierungen!) gerechtfertigt? Über die handwerklichen Fähigkeiten eines Clint Eastwood muss man nicht debattieren; formal ist AMERICAN SNIPER selbstverständlich 1A-Qualitätsarbeit. Vielleicht nicht ganz so nervenzerfetzend spannend wie THE HURT LOCKER, aber anderen prominenten Irakkrieg-Filmen wie REDACTED (Brian de Palma) oder GREEN ZONE (Paul Greengrass) doch deutlich überlegen.
Es tut gut zu sehen, dass Anno 2015 die Ära der nervtötenden Wackelkamera-Experimente im Actionkino (letztlich ist AMERICAN SNIPER genau das: Ein lose auf einer "wahren Geschichte" beruhender Actionfilm) allmählich zu Ende geht. Der Film schöpft Kraft aus der Ruhe. Die Action-Sequenzen wirken brachial und elegant zugleich. Und die Spannung liegt über weite Strecken im roten Bereich.
Ein Wort noch zum Hauptdarsteller: Der ehemalige HANGOVER-Schönling Bradley Cooper ist unter die Method-Actors gegangen und hat laut IMDB 20 Kilo Muskelmasse antrainiert. Cooper, das darf ohne Übertreibung behauptet werden, war nie präsenter und eindringlicher als hier.
Dass der Film auf ein dramatisches Finale zusteuert, sollte kein Spoiler sein. Das tragische Ende des echten Chris Kyle, der von einem traumatisierten Veteranen, dem er helfen wollte, erschossen wurde, ging durch alle Medien. Eastwood lässt den Film mit einer Text-Tafel ausklingen und zeigt ebenso bedrückende wie aufwühlende Bilder von Trauerfeiern hart an der Grenze zur patriotischen Heiligenverehrung. Zweifellos einer von Clint Eastwoods stärksten Filmen (wenn auch nicht unbedingt sein sympatischter).
Auf seine alten Tage ist Clint Eastwood immer noch für Debatten gut. Militaristische Heldenverehrung oder beklemmender Antikriegsfilm, das ist hier die Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Abseits seiner kontroversen Rezeption überzeugt AMERICAN SNIPER vor allem filmisch: Der spannendste und eindringlichste Beitrag zum Irak-Krieg seit Kathryn Bigelows THE HURT LOCKER.