KOMÖDIE: USA, 1999
Regie: Paul Weitz
Darsteller: Jason Biggs, Chris Klein, Thomas Ian Nicholas, Alyson Hannigan, Shannon Elizabeth, Tara Reid
Die vier Schüler Jim, Oz, Kevin und Finch beschließen einen Pakt. Noch vor dem baldigen Schulabschluss wollen sie ihre Jungfräulichkeit verlieren und sich dabei gegenseitig unterstützen. Klar, dass da einiges schief läuft...
In den 1980er Jahren revolutionierte John Hughes mit seinen Teenie Komödien – vornehmlich THE BREAKFAST CLUB, FERRIS MACHT BLAU und PRETTY IN PINK – das gesamte Genre. Er verstand es wie kein anderer Teenie-Filme zu schreiben und zu drehen, die nicht bloß von Teenagern handelten, sondern in denen es wirklich um Jugendliche ging, um ihre Bedürfnisse, ihre Träume, ihre Probleme. Er schaffte es das jugendliche Zielpublikum ernst zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen, was die jungen Erwachsenen in der Zeit des materiellen Überflusses wirklich beschäftigte.
Nachdem sich das Genre für ihn erschöpft hatte und er sich neuen Filmen zuwandte, entstand eine Lücke, die es zu schließen galt. Das gesamte Genre der Teenie-Komödie dümpelte vor sich hin, auch wenn in dieser Zeit durchaus der ein oder andere, mehr oder minder, gelungene Genrebeitrag entstand – als Beispiel wären hier ICH KANN’S KAUM ERWARTEN, mit einem noch recht jungen Seth Green, oder auch 10 DINGE DIE ICH AN DIR HASSE zu nennen.
Doch erst AMERICAN PIE sollte die in den 80ern entstandene Lücke wieder zu schließen vermögen. Ende der 90er – aber so richtig Ende der 90er, 1999 nämlich – griff der noch junge Drehbuchautor Adam Herz in seinem ersten umgesetzten Spec Script die Idee Hughes auf und nahm seine Figuren wieder ernst, setzte sich auf – wenn auch leicht überspitzte, aber immer noch – realistische Art und Weise mit ihren Probleme auseinander. Basierend auf seinen eigenen High School-Erinnerungen erschuf er einen Kosmos in dem Sex so ziemlich alles für die Heranwachsenden bedeutet, aber auch Werte wie Freundschaft, Ehrlichkeit und das Erwachsenwerden kurz vor dem Übergang ins Erwachsenenleben sich noch einmal so richtig schwierig gestaltet.
Während dies den Kern der Geschichte ausmacht, entspinnt sich davon ausgehend aber auch gleichzeitig eine verdammt gut geschriebene Komödie über Sex, High School und alles was einem das Leben so schwer macht, wenn man versucht vor seinem Abschluss noch eben schnell eine Nummer zu schieben. Dabei reicht die Bandbreite der gebotenen Gags von einfachem Klamauk, über spaßige Dialoge bis hin zu gut konstruierten Szenen, die langsam und unangenehm – auf die gute Art, weil man vieles daraus aus dem eigenen Leben kennt und daher wunderbar darüber lachen kann – auf die Pointe zuarbeiten. Das Faszinierende daran – geschuldet der wirklich guten Schreibe Herz‘ – ist, dass so gut wie alle Gags und Pointen auch heute, gut und gerne 14 Jahre nach der Erstaufführung, noch in vollem Umfang funktionieren. Und auch beim mehrmaligen Ansehen nudeln sich die Späße nicht übermäßig ab, im Gegenteil. Gerade, wenn man wie ich, AMERICAN PIE das erste Mal im zarten Kindesalter – in meinem Fall mit 12 Jahren – gesehen hat, dann ergeben viele Szenen noch einmal auf ganz andere Weise einen Sinn, als noch 14 Jahre zuvor. Darüber hinaus gibt es noch viele Details zu entdecken und auch eine genauere Analyse bringt einiges an Freude, baut Herz viele Pointen und Späße schon früh durch kleine Details auf.
Wenn es ums Drehbuchschreiben geht, dann ist die Komödie ganz klar die Königsdisziplin und Herz weiß diese mit Leichtigkeit zu meistern. Das liegt vor allem auch daran, dass er nicht bloß auf den Spaßfaktor setzt, sondern tatsächlich Figuren erschaffen hat, die zu mehr dienen als sich gegenseitig die Pointen zuzuspielen. Ein vorzüglich zusammengestelltes Ensemble an interessanten Persönlichkeiten begleiten wir durch den Film. Da wäre zum Beispiel Oz, Chris Ostreicher. Ein Lacrosse- und Footballspieler. Groß, breit und einer der Coolen. Und trotzdem ist das noch nicht alles, was diese Figur ausmacht. Er hat auch eine andere Seite, eine weiche, nicht pubertäre. Er macht von allen die größte Änderung durch, sein Schritt zum Erwachsenen ist der größte und doch meistert er ihn nach einigen Anlaufschwierigkeiten.
Gut, streng genommen hätte Jim die größten Hindernisse zu überwinden um vom etwas peinlichen Vollverlierer zum Erwachsenen zu werden, doch im Gegensatz zu Oz verändert er sich über die Laufzeit der Handlung nur unwesentlich. Dennoch stellt er die größte Identifikationsfigur der Handlung, sind seine von ständiger Unsicherheit und vom Unvermögen mit Frauen richtig zu reden durchzogenen Auftritte, die so gut wie immer in grotesken, für ihn peinlichen, absolut komischen Situationen enden, im Endeffekt nichts anderes als die geballte Manifestierung der Teenager-Ängste in diesem Alter. Und wer kann sich nicht mal mehr, mal weniger mit Jim und seinen Eskapaden identifizieren – was nicht heißen muss, dass man es unbedingt mit einem Apfelkuchen getrieben haben muss… was, wie ich hoffe, noch niemand ernsthaft gemacht hat. Für den Großteil der Witze dient Jim als Auslöser oder gar Mittelpunkt und so sorgen seine Eskapaden – vom zweifachen Schnellschuss vor der Live Cam bis hin zum, in die Filmgeschichte eingegangenen, Kuchenfick auf dem Küchentisch –, für den größten Spaß des Films. Das alles jedoch ohne die Figur plakativ der Lächerlichkeit preiszugeben, so peinlich seine Ausrutscher auch sein mögen, seine Würde behält die Figur stets.
Die Clique besteht außerdem aus dem, auf den ersten Blick wirklich pur sexbesessenen Kevin, dem es nicht mehr genug ist von seiner Freundin Vicky oral befriedigt zu werden – pff, andere würden töten um zu dieser Ehre zu kommen… Jim zum Beispiel, jedes Loch in einer Toilettenkabine irgendwo im Bahnhofsviertel hat nämlich mehr praktische Erfahrung vorzuweisen. Deshalb setzt er alles daran endlich den nächsten Schritt mit ihr zu gehen, erkennt schließlich jedoch, dass sein selbstsüchtiges Verhalten nicht der richtige Weg ist. Letzten Endes ist es wohl weniger der Sex an sich der ihn antreibt, sondern die Befürchtung sein erstes Mal nicht mit seiner bald-nicht-mehr-Freundin zu erleben. Den Abschluss der illustren Runde bildet Finch, der Heimscheißer. Gefangen zwischen zwei Welten – nämlich der Oberstufe einer amerikanischen High School und seinem viel zu erwachsenen Geist, hat er es am schwersten, sich in dieser für ihn fremden Welt zu orientieren. Doch zum Schluss soll es sich auch für ihn auszahlen und in einer der spaßigsten Sexbeziehungen des Genres münden – einem Nümmerchen mit Stifflers Mom.
Eben jener Stiffler ist denn auch ein schönes Beispiel für die zahlreichen skurrilen und auf gewisse Weise auch frischen Nebenfiguren. Zwar kennt man den Typus des Stifflers oder auch des Sherminators, doch gibt es hier neue Impulse und die Figuren und ihr Verhalten wirken alles andere als ausgelutscht. Das liegt allen voran auch an den Topdarstellern, die nach American Pie damit zu kämpfen hatten hauptsächlich in ähnlichen Rollen besetzt zu werden. Jason Biggs zum Beispiel spielte fortan vor allem die Rolle des liebenswürdigen Trottels, die ihm wie auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Sean William Scott hingegen konnte seine Rollen immerhin ein wenig verallgemeinern und anstatt dem ewig abfeiernden Kotzbrocken vergrößerte sich sein Rollenangebot auch auf liebenswürdig, kauzige Typen, die Scott mit großer Spielfreude mimt – so zum Beispiel in der total duften Tenniskomödie BALLS OUT: GARRY THE TENNIS COACH, der in Deutschland sträflicher Weise nicht veröffentlicht wurde.
Gerade filmhistorisch interessant ist übrigens die Tatsache, dass die deutsche Synchronisation aus dem damals noch recht unbekannten Begriff MILF, MIGF machte und ihn somit ins deutsche übertragen hat. Bekommt man heutzutage leider immer seltener zu hören, sowas.
In diesem Sinne. „Immerhin habe ich gelernt zuhause zu scheißen!“
Mit vordergründig platten Sexwitzen, den peinlich-amüsanten Eskapaden Jims und seiner Freunde lockte AMERICAN PIE anno 1999 die Zuschauer massenweise ins Kino. Doch hinter den geschickt inszenierten und choreographierten Späßen steht ein Drehbuch, das seine Figuren zu jeder Zeit ernst nimmt, egal in welche urkomischen Situationen es sie geraten lässt. Adam Herz hat ein glaub- und liebenswürdiges Ensemble geschaffen, um eine witzige und gleichzeitig aber auch ernstzunehmende Geschichte über das Erwachsenwerden und die Suche nach dem Heiligen Gral – dem ersten Mal – zu erzählen. Besetzt mit den richtigen Schauspielern, werden diese Figuren in AMERICAN PIE lebendig und sorgen für 95 Minuten bester Unterhaltung mit viel Spaß und dem nötigen Schuss Gefühl.
Wie ein Treffen mit guten, alten Freunden.