DRAMATISCHE KOMöDIE: USA, 2013
Regie: David O. Russell
Darsteller: Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jennifer Lawrence, Jeremy Renner
Zwei Trickbetrüger werden von einem FBI-Agenten geschnappt, der sich ihr Talent zu Nutze macht, um wiederum als Trickbetrüger anderen die Annahme von Schmiergeldern nachzuweisen ...
"Cinema is to the art of telling stories what truth is to lying.", behauptet der französische Philosoph Jacques Rancière. Ein Insert zu Beginn des Films verspricht wiederum: "Some of this actually happened." Dass David O. Russel (THE FIGHTER, SILVER LININGS) damit wohl weniger reale Hintergründe, als vielmehr tieferliegende Wahrheiten des Gezeigten meinen könnte, dessen war sich der Regisseur dabei wahrscheinlich eher nicht bewusst. Doch dazu später mehr.
Echt und keine Illusion ist zunächst einmal die kolossale Wampe Christian Bales. Bale, bekanntlich ein Gralsträger des Method-Acting, hat für AMERICAN HUSTLE mal eben über 20 Kilo zugenommen. "Er war außer Form.", erzählt Sydney Prosser (Amy Adams) als ihre Stimme im Off ihr erstes Kennenlernen mit Irving Rosenfeld beschreibt. Physisch mag das stimmen, aber in der Hektik des Lebens scheint Rosenfeld immerhin der psychisch Stabilere zu sein. Und Bale? Locker-lässig und unverkrampft verkörpert er den siffigen Trickbetrüger. Seinem Spiel scheint die Plautze, die ihm übrigens ausgesprochen steht, richtig gut getan zu haben. Wie weggewischt der Überernst der den Waliser bis hierhin ausgezeichnet, aber auch behindert hat. Man hat das Gefühl, es sei eine Last, die Last der Beste sein zu müssen, von Bale abgefallen. Irving ist alles andere als perfekt was die Figur angeht, das muss auch der Schauspieler akzeptieren. Inakzeptabel ist in AMERICAN HUSTLE allerdings eine schlechte Frisur und so versucht Irving in penibler Sisyphusarbeit seine Platte zu kaschieren, nur um sie kurz darauf von Richie DiMaso (Bradley Cooper) wieder freigelegt zu bekommen.
Dieser hat frisurtechnisch und auch schauspielerisch seinen ganz eigenen Stil. DiMaso ist unsicher und neurotisch, aber immerhin lässig. Durch stundenlanges Eindrehen seiner eigentlich glatten Haare, saugt er sein Pseudo-Selbstvertrauen quasi aus den Lockenwicklern. Er ist stattlich, er ist schön und trotzdem macht er Rosenfeld andauernd ausufernde Komplimente und durchkreuzt so sein eigenes Auftreten immer wieder aufs Neue. Und Cooper? Der scheint mit dieser Rolle ganz gut klarzukommen. Die zeitweise manischen Phasen von DiMaso nimmt man sowohl Figur als auch Schauspieler durchaus ab. Ebenso lebendig vermittelt Cooper das Gefühl, isoliert in seiner eigenen unbedeutenden Existenz zu sein. Um auszubrechen müsste man schon etwas Großes leisten, eine riesige Verhaftungsserie vielleicht? Für den Anfang muss es jedenfalls reichen, einem anderen Typen die Freundin auszuspannen.
Diese wiederum fühlt sich allerdings selbst zu Größerem berufen und so tauscht sie die Realität (Sydney Prosser) gegen die Fiktion (Lady Edith Greensley). Nur als Lady Greensley kann sie ihren Traum verwirklichen etwas "Besseres" zu sein. Nur Lady Greensley macht es möglich, zwei Männer gleichzeitig bezirzen zu können. Als Sydney dagegen steht das Leben wie ein bedrohlicher Schatten über ihr. Die Alternation der eigenen Charaktere führt in eine Orientierungslosigkeit, die, wie könnte es in AMERICAN HUSTLE anders sein, auch durch ständig wechselnde Frisuren ausgedrückt wird. Und Adams? Lange hat man das Gefühl, sie ist sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Dass dies so sein muss, wird erst später klar. Dann nämlich wenn Figur und Schauspielerin ihre wahre Unsicherheit zu Tage bringen, dann wenn Bedrohungsszenarien überhand nehmen. Bedroht von einer Nichtigkeit des eigenen Seins, bedroht von einer anderen Frau, bedroht von einer grandiosen Frisur.
Die Frisur von Rosalyn Rosenfeld (Jennifer Lawrence) sitzt jedenfalls immer, egal ob bei der Hausarbeit, im Club oder beim Treffen mit dem Mafiafreund. Die Frisur als einzige Konstante in einem Leben voller Zweifel und Sozialphobien. Gefangen in einer vermeintlichen Abhängigkeit von einem älteren, sie nicht liebenden Mann. Je länger der Film andauernd, desto klarer wird jedoch Rosalyn ist hier die mächtigste, die einzig bemächtigte Figur. Und Lawrence? Sie spielt ihre schauspielerische Macht vollends aus. Einige offensichtliche Improvisationen führen zu einer unglaublichen Bildpräsenz. Die im Verhältnis Screen-Time zu Gesamtlaufzeit relativ kleine Rolle wird von Lawrence beinahe gesprengt. Was zu einem beeindruckenden Anteil an der Gesamtwirkung des Filmes führt.
"Cinema is the combination of the gaze of the artist who decides and the mechanical gaze that records of constructed images and chance images.", auch dieses Zitat stammt von Rancière. Was David O. Russel uns hier zeigen will, ist oft nicht das was wir sehen. Zwar versucht uns das Drehbuch durch die Geschichte, durch den Film zu leiten, doch erst der unbefangene Blick der Kamera hält Größeres für uns bereit. "Die Leute glauben das, was sie glauben wollen.", ist sich Irving sicher. Den Schauspielern in AMERICAN HUSTLE wird man glauben und so kommt es, dass ein durchschnittlicher Film zu einem wirklich Guten wird. Das Reale/die Wahrheit ist hier nicht innerhalb einer Repräsentation wahrhaftig Geschehenem, sondern innerhalb einer Ästhetik des Neuerschaffenen zu finden. Eine Wahrheit die vor allem Bürgermeister Carmine Polito (Jeremy Renner) trifft. Und Renner? Er bildet hier das Tüpfelchen auf dem gelungen i.
Das geschäftige Treiben von AMERICAN HUSTLE spielt sich vor allem außerhalb des Filmischen ab. Denn Regisseur David O. Russel hat es gar nicht mal so eilig. Mit ihren Figuren und Frisuren kurzgeschlossene Schauspieler schupsen das Publikum immer wieder von Neuem an, und interagieren mehr mit dem unbestechlichen Blick der Kamera als mit einem konstruierten Drehbuch.