DRAMA/THRILLER: USA, 2007
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Denzel Washington, Russell Crowe, Josh Browlin
Nicht nur im Land der Pizza und Pasta weiß man den Wert der Familie und einer gut und straff organisierten Mafiaorganisation zu schätzen - auch Harlem hatte seine Kingpins - auch wenn das in der langen Kinogeschichte der Mafia-Epen nahezu unterging. Frank Lucas war einer der Größten unter ihnen - durch den Schmuggel von astreinem Heroin aus dem kriegserschütterten Vietnam gelang es ihm, den bis dahin mit minderwertiger Verschnittware überschwemmten New Yorker Drogenmarkt zu übernehmen und damit ein Vermögen zu verdienen.
KRITIK:"The loudest man in the room is also the weakest man in the room." - dieser sehr eindringliche Hinweis, den Frank Lucas seinem Bruder gab, sollte ihm wenig später selbst zum Verhängnis werden. Jahrelang konnte er von der Polizei völlig unbemerkt Drogen aus Vietnam einschmuggeln, wurde bestenfalls für einen weit unten stehenden Handlanger gehalten. Doch ein auffälliger Pelzmantel und etwas zu gute Plätze beim Boxkampf machen Detective Richie Roberts auf Harlems Drogenboss Nummer eins aufmerksam - und setzen sogleich den Startpunkt zu einem klassischen Räuber & Gendarm-Spiel a la "Heat".
Wie aber auch schon in Michael Manns Referenz-Film setzt Regisseur Ridley Scott vorrangig auf das feine Ausarbeiten der Charaktere der handelnden Personen. Anfangs passiert Scott hier noch ein in letzter Zeit bei vielen Regisseuren bemerkbarer Fehler: im Versuch den Film möglichst anspruchsvoll und intelligent wirken zu lassen, bleiben schon mal ein paar Handlungsstränge zu frei in der Gegend liegen. Die Informationslücken werden gleichzeitig schlecht durch Spannung überdeckt, was in den ersten 30 bis 45 Minuten schon mal Langeweile aufkommen lässt. Zum Glück ändert sich das aber recht schlagartig, als das Drogengeschäft von Frank Lucas zu laufen beginnt. Hier bleibt nichts mehr liegen, werden zahlreiche Handlungsstränge konsequent weiterverfolgt und sorgen für Spannung und überragende Dialoge.
Denzel Washington überzeugt mich in seiner Rolle einmal mehr als ein äußerst universeller Schauspieler mit bestechender Mimik und Gestik. Besonders in den Szenen, in denen die gewissenlose Gewaltbereitschaft seines Charakters zur Schau gestellt wird - egal ob er auf offener Straße einen Möchtegern-Gangster niederstreckt oder einem dämlichen Handlanger einen Klavierflügel um die Ohren hat - überzeugt Washington auf ganzer Länge und schließt nahtlos an die für mich fast schon übermenschlichen Leistungen in Filmen wie Man on Fire, Inside Man oder auch Deja Vu an. Dabei war ich lange Zeit von ihm nicht besonders angetan, doch irgendwann scheint dem guten Mann der entscheidende Knopf aufgegangen zu sein.
Doch bei Denzel Washington soll noch lange nicht Schluss sein mit Lobhuldigungen an die Schauspieler: Russell Crowe überzeugt ebenso einmal mehr mit seiner extremen Wandlungsfähigkeit. Wer Crowe aus dem Film Gladiator anno 2000 kannte, wird kaum glauben können, dass der selbe Mann davor die Rolle des schusseligen, an mangelndem Selbstvertrauen leidenden, etwas dicklichen und ergrauten Wissenschaftlers Jeffrey Wigand im Film The Insider übernommen hat.
Seine Rolle ist nun in American Gangster sehr ähnlich angelegt - auch hier fehlt es ihm am einen oder anderen Schuss Selbstsicherheit, wirkt er körperlich angeschlagen, hat seine Ehe nicht im Griff und im Job läuft es auch alles andere als gut. Doch wie schon in The Insider, als er sich quasi allein gegen die Tabakindustrie stellte, können all seine menschlichen Defizite seinen Einsatz für "das Richtige", für eine gute Sache, nicht brechen. Der Kampf gegen die Drogen steht für ihn über allem - über Freundschaft, über Kollegialität, über der Familie, über Reichtum. So muss er sich damit abfinden, dass das ganze, korrupte Polizeidepartment ihm die Zusammenarbeit verweigert, weil er so "dämlich" war, einen ganzen Kofferraum voll Geld sicherzustellen anstelle - wie es jeder andere getan hätte - es einzubehalten. Im Sumpf der Korruption ist für einen Cop mit Ehre kein Platz.
Doch er erhält damit auch anderenorts Aufmerksamkeit und wird schließlich zum Sonderbeauftragten für Drogenfahndung eingesetzt. Doch auch wenn er dafür der perfekte Mann ist - in seiner Unbestechlichkeit und seiner Überzeugung - hat er dort nicht nur mit dem Drogenimperium von Frank Lucas zu kämpfen sondern noch viel mehr mit der Korruption innerhalb der Polizei.
Für den Zuseher mag der Charakter von Crowe nun nicht so interessant wirken wie der von Denzel Washington. Aber die Darstellung des ehemaligen Gladiators ist derart überzeugend und echt, dass man seine Leistung gar nicht hoch genug einschätzen kann. Erbarmungslose Cops, die für ihre Überzeugung ihr Leben und ihre Familie riskieren, gab es natürlich mehr als genug in der Geschichte des Films, doch solche, die gleichzeitig über die charakterlichen Schwächen wie jene von Richie Roberts verfügen, sind eine Rarität - und Russell Crowe meistert diese Herausforderung überzeugend. Oscarverdacht!
Nicht zu unterschätzen ist auch die Darbietung von Josh Browlin als "böser Bulle" Detective Trupo. Seine Auftritte sind immer von der niederschmetternden Präsenz seines Charakters gezeichnet und immer wieder ein absolutes Highlight des Films. Hinter Washington, Crowe und Browlin kommt dann allerdings lange nichts - die restlichen Stars gehen ob der Übermacht dieses Trios recht farblos unter.
Die Regiearbeit ist bis auf wenige Schnitzer einwandfrei. Scott kann durchweg überzeugen, hätte aber seine Wackelkamera für die einzige Verfolgungsjagd des Films ruhig eingepackt lassen können. Kritik ist aber für das Drehbuch angebracht: es wird zwar in MTV-artigen Einspielungen versucht, die schrecklichen Konsequenzen des Drogenkonsums darzustellen - insgesamt wird dies aber bestenfalls beiläufig in Dialogen erwähnt. Auch die Szenen, in denen Frank Lucas Menschen tötet oder ihnen zumindest schwere Verletzungen zufügt, werden zwar höchst schockierend dargestellt und der Zuseher durch die unvermittelt auftretende Gewalt überrascht, doch entsteht am Ende der Eindruck, dass es ohnehin nur jene erwischt, "die es verdient haben". Am Ende steht also meiner Meinung nach eine recht zwielichtige Botschaft des Films, die vor allem die katastrophalen Auswirkungen des Drogenhandels nicht genug hervorarbeitet und sich dabei auf eher alibihalber eingespielt wirkende Zwischensequenzen verlässt.
Ich will aber weder Drehbuchautor Steven Zaillian noch Regisseur Ridley Scott Absicht dahinter unterstellen - es ist auch ganz klar, dass der Film vorrangig andere Aspekte des Drogenhandels in den Vordergrund der Handlung stellen wollte.
Zweifelsohne ist "American Gangster" ein wahres Mafia-Epos geworden, das nur wenige Schwächen aufweist und sich vor allem von gängigen Mafiafilm-Klischees abhebt. Die schauspielerischen Leistungen der Hauptcharaktere begeistern und vor allem das "Insider"-ähnliche Revival von Russell Crowe als Klappergestell statt Gladiator bereitet viel Freude. Absolute Empfehlung für einen anspruchsvollen Kinoabend.