OT: Calvary
DRAMA/THRILLER/KOMÖDIE: IRL, 2014
Regie: John Michael McDonagh
Darsteller: Brendan Gleeson, Kelly Reilly, M. Emmet Walsh, Dylan Moran
"Ich werde Euch umbringen, Vater". Der Mann im Beichtstuhl meint es bitter ernst: Als Kind wurde er von einem pädophilen Priester missbraucht. Das hat sein Leben zerstört. Und nun soll Pater James, ein aufrechter Kirchenmann, der sich nie etwas zu schulden kommen hat lassen, stellvertretend für die Kirche als Ganze büßen. Nächsten Sonntag soll es so weit sein.
Irland, das war bis in die Neunziger Jahre hinein eine Art katholischer Gottesstaat, in dem die Kirche mächtiger war als in jedem anderen westlichen Land, wo neben Ehescheidung und Abtreibung sogar Verhütungsmittel verboten waren. In diesem bigotten Klima konnten Kirchenmänner - ja, es waren praktisch immer Männer - über Jahrzehnte hinweg ungehindert Kinder missbrauchen. In unfassbaren Ausmaßen, wie kürzlich bekannt wurde. Das ist die betrübliche Ausgangslage von CALVARY - AM SONNTAG BIST DU TOT, dem neuen Film von John Michael McDonagh.
Wer THE GUARD (2011) noch in guter Erinnerung hat, könnte glauben, hier wieder eine unkorrekte, aber letztlich doch recht harmlose irische Thriller-Komödie zu sehen. Aber wie heißt das 11. Gebot? Du sollst dich nicht täuschen.
Trotz einiger gelungener Pointen ist CALVARY keine Komödie. Und auch kein Thriller. Pechschwarzes Passionsdrama würde den Kern der Sache eher treffen. CALVARY ist ein als schwarzhumoriger Thriller getarntes Drama, das die großen, die existentiellen Themen anpackt: Es geht um Schuld, Sühne und Vergebung. Klassisch-katholizistische Kino-Themen also, der Stoff, aus dem Regisseure wie Martin Scorsese, Abel Ferrara, aber auch Lars von Trier Filme für die Ewigkeit gemacht haben.
CALVARY macht es sich nicht eben leicht: So sehr es sich angeboten hätte, so konsequent verweigert der Film populistisches Kirchen- und Religions-Bashing. (Mit dem ich als ungläubiger Agnostiker-Ketzer eh kein Problem gehabt hätte. Aber mir taugen differenzierte, gerne auch widersprüchliche Standpunkte, immer schon.) CALVARY stellt jedenfalls einen unschuldigen Kirchenmann in den Mittelpunkt der Geschichte. Pater James Lavelle (die Namensgleichheit mit dem britischen Musiker ist vermutlich ein Zufall) gehört zweifelsfrei zu den Guten. Das Drehbuch gestattet ihm auch ein Leben vor seiner Priesterberufung. Er war verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Schwere Schicksalsschläge und (Alkohol-)Probleme werden angedeutet; ein Mann mit Biographie, wie man so schön sagt.
Auf der Suche nach dem Phantom, der dem Priester nach dem Leben trachtet, lernen wir seine Schäfchen kennen, die da wären: Eine Ehebrecherin, ein Gewalttäter, ein misanthropischer Arzt, ein depressiver Millionär, ein sexuell frustrierter Jugendlicher und ein verurteilter Serienmörder. Die Abgründe in der irischen Idylle (Wahnsinns-Landschaftsaufnahmen übrigens), sie klaffen beachtlich tief auf.
Wer die Geduld mitbringt, sich auf einen ruhigen, aber intensiven Film zwischen Drama, Gesellschaftssatire und Thriller einzulassen, sollte eine Kinokarte lösen.
Ein Unbekannter will sich an der Kirche für sexuellen Missbrauch rächen und hat sich einen unschuldigen Priester als Opfer ausgesucht. Was zählen Ethik und Moral in einer Gesellschaft, deren moralische Autoritäten zerbröseln, will uns der neue Film von John Michael McDonagh (THE GUARD) fragen. Und er tut das auf packende und auch auf berührende Art. Ein intensives, abgründiges Thriller-Drama, dessen Ruhe sich als trügerisch erweist. Und als ziemlich beunruhigend.