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Almost Blue

Almost Blue

GIALLO: ITALIEN, 2000
Regie: Alex Infascelli
Darsteller: Andrea Di Stefano, Lorenza Indovina, Rolando Ravello, Claudio Santamaria

STORY:

In Bologna geht ein geheimnisvoller Serienkiller um, der seine Opfer per Internet-Chat kennenlernt. Die lokale Polizeibehörde bekommt daraufhin Verstärkung von zwei Ermittlern aus Rom, die mit einem neuen Computer-Ermittlungssytem arbeiten. Damit können sie nicht nur erstmalig deutlich aufzeigen, dass es sich hier tatsächlich um die Taten eines Serientäter handelt, sondern auch die vorhandenen Gemeinsamkeiten bei allen Morden verdeutlichen: Alle Opfer waren Studenten. Sie wurde alle nackt und mit abgezogener Gesichtshaut und brutal abgerissenen Piercings aufgefunden. Außerdem wurden ihnen alle Dokumente, die etwas über ihre Identität verraten könnten, geraubt ...

KRITIK:

Der Psychothriller ALMOST BLUE ist der Debütfilm des Italieners Alex Infascelli, auf dessen Namen ich selbst erst vor kurzem aufmerksam geworden bin. Und nachdem ich diesen Film gesehen habe, frage ich mich ganz ernsthaft, warum der bislang so unbekannt ist. Immerhin hat dieser Neo-Giallo nun bereits über 10 Jahre auf dem Buckel und ist weit besser, alles vieles andere (okay: von "viel" kann hier eigentlich sowieso nicht die Rede sein...), was in der vergangen Dekade in diesem Genre in Bella Italia produziert wurde.

Bei ALMOST BLUE handelt es sich in der Tat um einen äußerst ambitionierten Versuch, den Giallo nicht bloß wiederzubeleben, sondern das Genre endlich in die Gegenwart zu transportieren. So macht bereits die Inhaltsangabe deutlich, dass sich in diesem Film sowohl der Täter, als auch die Ermittler modernster Computertechnologie bedienen. Und wie dies umgesetzt wurde wirkt auch noch über zehn Jahre später erstaunlich modern. Schon hier ist ALMOST BLUE eindeutig dem etwas jüngeren THE CARD PLAYER von Ex-Genre-Ikone Dario Argento haushoch überlegen. Denn dessen Technik wirkte bereits, als der damals in die Kinos kam, relativ angestaubt.

Dabei ist die Verwendung der modernsten zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbare Technik ein ganz typisches Stilmittel des Genres, welches seit THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE fast ebenso zum Giallo gehört, wie die berühmten schwarzen Handschuhe. Dies ist eine Tatsache, die selbst Dario Argento zwischenzeitlich vergessen zu haben schien, wie sein Retro-Giallo SLEEPLESS ganz eindeutig zeigt. Aber auf die Dauer kann ein Genre eben nicht überleben, wenn es nur endlos die bereits hinlänglich bekannten Bilder bis zum Abwinken immer wieder auf gleiche Weise reproduziert.

Der Regisseur Alex Infascelli hat dies jedenfalls begriffen. Und so gibt es hier z.B. auch keine Morde mit Rasiermessern mehr. Denn egal, wie schick diese auch aussehen, wer benützt denn heute so etwas noch? Infascelli hat auch nicht die neueren Entwicklungen im Bereich des Psychothrillers verschlafen, die sich seit Michael Manns MANHUNTER zugetragen haben. Und so orientiert sich ALMOST BLUE sowohl inszenatorisch, als auch dramaturgisch noch wesentlich stärker, als der ebenfalls beachtliche EYES OF CRISTAL am modernen Serienmörder-Film amerikanischer Art.

Von der visuellen Seite her erinnert ALMOST BLUE in seiner stylischen Düsternis an den frühen Fincher, was sicherlich kein Zufall ist. Denn Alex Infascelli arbeitete kurzzeitig als dessen Assistent bei verschiedenen Videoclips. Doch der Regisseur beschränkt sich nicht auf das reine Kopieren eines großen Vorbilds, sondern verbindet die dunkle Optik mit einem zum Teil rasanten Schnitt, der sich sogar subliminaler Bilder bedient, wie man ihn ansonsten am ehesten von Darren Aronofskys (erst ein Jahr später erschienen!!!) REQUIEM FOR A DREAM kennt.

Auch von der inszenatorischen Seite her entfernt sich ALMOST BLUE stark vom klassischen Giallo hin zu Filmen wie MANHUNTER oder DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. Der Täter ist hier kein von Anfang an bekannter Protagonist, der uns erst ganz zum Schluss als der heimliche Bösewicht offenbart wird. Vielmehr haben wir es hier mit einem mehr oder weniger charismatischen Psychopathen zu tun, den wir auch bereits lange vor dem Ende erstmals zu Gesicht bekommen. Aber auch dann bleibt noch eine Zeitlang die Frage nach seinen genauen Motiven offen. Und als auch diese allmählich bekannt werden bleiben weitere spannende Verwicklungen, die uns bis zum Schluss mitfiebern lassen.

Doch so schön dies alles klingen mag: Das lang erwartete große (nun auch nicht mehr wirklich) neue Giallo-Meisterwerk aus Italien ist auch ALMOST BLUE leider nicht geworden. Dazu krankt der Film dann doch an zu vielen (oft genretypischen) Schwächen. So sind die Dialoge teilweise reichlich platt und im Verlauf der Handlung tun sich leider auch immer größere Plotlöcher auf. Und was man einem klassischen Giallo aus den 70er Jahren oft noch verzeihen würde, stört in diesem sich so modern gebenden Neo-Giallo umso mehr. Und alle Waghalsigkeit in Ehren: Mit seinem... ähm... interessanten Ende schrammt ALMOST BLUE nur haarscharf an der absoluten Lächerlichkeit vorbei.

Almost Blue Bild 1
Almost Blue Bild 2
Almost Blue Bild 3
Almost Blue Bild 4
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Almost Blue Bild 6
Almost Blue Bild 7
Almost Blue Bild 8
FAZIT:

ALMOST BLUE ist ein hochinteressanter Versuch den klassischen Giallo sowohl formal, als auch inhaltlich zu aktualisieren. Dabei orientiert sich der Regisseur Alex insbesondere an jüngeren amerikanischen Vorbildern. Die Geschichte erinnert an Serienmörderfilme wie z.B. MANHUNTER und das SCHWEIGEN DER LÄMMER, visuell lehnt sich der Film an das Frühwerk von David Fincher und Darren Aronofky an. Alex Infascelli verbindet diese modernen Einflüsse mit klassischen Giallo-Setpieces a la Argento zu einer sehr stimmigen Mischung, die den Begriff Neo-Giallo gerechtfertigt erscheinen lässt.

Leider ist sein Drehbuch weniger durchdacht und trägt insbesondere gegen Ende dazu bei, den vorherigen ausgesprochen guten Gesamteindruck wieder ziemlich zu senken. Trotzdem kann man diesen ausgesprochen interessanten neueren Beitrag zum italienischen Genre-Kino allen aufgeschlossen Giallo-Fans nur empfehlen. Der Film ist beim italienischen Label Cecchi Gori auf DVD mit englischen Untertiteln erschienen.

WERTUNG: 7 von 10 verschiedenartige Klangfarben von Stimmen
TEXT © Gregor Torinus
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