FILMTIPPS.at - Die Fundgrube für außergewöhnliche Filme

Eine Frau in ihren Dreißigern sichtet altes Videomaterial von einem Urlaub am Meer und durchlebt Erinnerungen an eine vermeintlich unbeschwerte Kindheit, in der sich ein Abschied anbahnt.

"You Can't Put Your Arms Around a Memory" heißt ein Song von Punk-Legende Johnny Thunders. Er würde perfekt als Tagline dieses Films passen. Song wie Film beschreiben ein ganz bestimmtes Gefühl: Die Sehnsucht, etwas festhalten zu wollen, das verloren ist.

Wir tauchen ein in Erinnerungen an einen Urlaub am Meer, gebannt auf grobauflösendes Videomaterial und auf Polaroidfotos, untermalt mit Musik aus den Neunzigern. "Tender" von Blur ist zu hören, "Losing my Religion" von REM, aber auch der furchtbare Macarena-Song.

Schauplatz ist ein Ferienressort an der türkischen Riviera. Die Stimmung ist idyllisch, die Szenerie atmet das Flair der Neunziger. Und doch liegt ein Hauch von Schmerz und Traurigkeit in den sonnendurchfluteten Bildern. Subtile Irritationen schleichen sich ein. Warum trägt der Vater einen Gips? Was ist mit seiner Schulter passiert? Wohin verschwindet er in der Nacht? Die elfjährige Sophie (hinreißend gespielt von der schottische Kinderdarstellerin Frankie Corio) scheint zu ahnen, dass dieser Urlaub möglicherweise der letzte mit ihrem Vater sein wird.

Mit AFTERSUN hat die schottische Regie-Debütantin Charlotte Wells diverse Filmfestivals erobert und euphorische Kritiken geerntet. Zu recht.

Eine kleine "Warnung" muss dennoch ausgesprochen werden: Der Film verweigert eine klassische Narration. Weniger geschwollen ausgedrückt: Es gibt im Grunde keine Handlung, alles wird visuell ausgedrückt. Ich kann es niemandem übel nehmen, der dieser Stelle zu lesen aufhört und lieber die nächste gehypte Netflix-Serie einschaltet, bei der Drehbuchautoren nach Twists pro Minute bezahlt werden.

Wer aber die Geduld - oder sagen wir lieber Bereitschaft mitbringt, sich auf einen visuellen Flow, auf einen Rausch der Bilder einzulassen, wer die Werke von Sofia Coppola mag (wer nicht bitteschön?) oder die Filme des angesagten New Yorker Firma A24, sollte einen Kinobesuch dringend einplanen. Man wird es nicht bereuen. AFTERSUN ist einer dieser auf den ersten Blick unspektakulären Filme, die ihre emotionale Wucht erst nach dem Abspann entfalten, die einen noch lange danach beschäftigen.