HORRORDRAMA: USA/D, 2016
Regie: Gore Verbinski
Darsteller: Dane DeHaan, Jason Isaacs, Mia Goth, Susanne Wuest
Der junge Finanzhai Lockhart (seinen Vornamen erfahren wir nicht) wird in die Schweizer Alpen geschickt, um einen älteren Kollegen aus der Kur abzuholen. Doch der Mann zeigt keinerlei Ambition, das luxuriöse Sanatorium zu verlassen. Und auch Lockhart wird so schnell nicht wieder nach New York zurückkehren: Ein Autounfall zwingt ihn zu einem längeren Aufenthalt in dem mysteriösen Spa, wo seltsame Dinge vor sich gehen ...
Irgendwie scheint es, als hätte Gore Verbinski ein Best-of meiner persönlichen Albträume verfilmt: Steile Bergstraßen mit unendlich vielen Möglichkeiten, in die Tiefe zu stürzen (was auch prompt passiert), labyrinthische Keller-Gänge, schmerzhafte medizinische "Behandlungen", abseitige sexuelle Begegnungen. Okay, von letzteren hätte ich gerne mehr gesehen, von der etwas konstruierten und nur leidlich spannenden Rätselrally dafür weniger. Apropos weniger: Mit 146 Minuten Laufzeit ist der Film einen Tick zu lang. Aber das ist letztlich Jammern auf sehr, sehr hohem Niveau.
A CURE FOR WELLNESS ist ein bizarres Leinwanderlebnis, wie man es Anno 2017 kaum mehr für möglich gehalten hatte: Unter Einsatz von beträchtlichen Geldmitteln hat Gore Verbinski hier ein Gothic-Horror-Universum erschaffen, bei dem man aus dem Staunen nicht herauskommt. Diese irren, morbiden Bilder! Dieser Soundtrack! Die Schauspieler!
Das Assoziationskarusell in meinem Kopf läuft Amok und kommt mit dem Zählen der Referenzen kaum nach: Thomas Manns Zauberberg liegt natürlich auf der Hand (bzw. wird im Film gelesen), Edgar Allan Poe, der frühe Dario Argento und Terry Gilliam lassen schön grüßen. Die Aal-Population nimmt bedrohlichere Ausmaße an als in unserem BAD FUCKING (okay, eine etwas bedenkliche Assoziation). Die grotesken medizinischen Behandlungen erinnern an Alan Parkers THE ROAD TO WELLVILLE, in irgendeinem feuchten Keller steht die böse "Eiserne Lunge" aus Agusti Villarongas IN A GLASS CAGE herum, während Leichen in Wassertanks schwimmen und Mia Goth (NYMPHOMANIC 2) als ätherische Kindfrau durch den Film schwebt. Tanzen darf sie auch, zu einem Track von Bilderbuch übrigens. Ja, vor unseren Pop-Goldbuben gibt es momentan wirklich kein Entkommen.
Wie so ziemlich jeder größere Film, der sich "etwas traut", sprich: auf konventionelle Erwartungen hinsichtlich Story und Logik pfeift, - auf die Schnelle fallen mir jetzt THE NEON DEMON oder HIGH-RISE ein, fiel auch A CURE FOR WELLNESS bei den "Mainstream-Medien" (ja, ich weiß: an sich ein indiskutabler Trottel-Begriff, aber in der Filmberichterstattung leider sehr oft zutreffend) durch. Der Kurier schrieb irgendwas von "Shutter Island für Arme", und der Augsburger Allgemeinen fiel nicht viel mehr ein, als über die "märchenhaften 9,2 Millionen Euro Fördergeld" dieser deutsch-amerikanischen Co-Produktion zu lästern.
Auch das Publikum blieb in Massen fern: Vielleicht zwei Dutzend Leute hatten sich an diesem Abend in den großen Saal des Wiener Village-Kinos verirrt. Piratenkapitän Gore Verbinski wird sich deshalb aber nicht von der Brücke stürzen müssen wie der Vater des jungen Börsen-Brokers Lockhart (eindringlich: Dane DeHaan) im Film. Freuen wir uns lieber, dass der stets unterschätzte Blockbuster-Handwerker ein derartig weirdes Herzensprojekt umsetzen konnte. Dass man den Film UNBEDINGT im Kino auf größtmöglicher Leinwand sehen muss, versteht sich wohl von selbst.
Ein amerikanischer Börsenbroker wird gegen seinem Willen in einem mysteriösen Schweizer Sanatorium festgehalten, in dem garantiert niemand gesund wird. Der stets unterschätzte karibische Piratenkapitän Gore Verbinski hat ein weirdes Herzensprojekt von einem gotischen Horrorfilm verwirklicht: Der Stoff, aus dem die Albträume sind - und zwar in jeder einzigen Einstellung.
In diesem Sinne: "Ich bin kein Patient!"