UTOPIE/SATIRE/THRILLER/DRAMA: FRANKREICH/ ITA, 2009
Regie: Nicolas Alberny, Jean Mach
Darsteller: Matthew Géczy, Alain Azerot, Robert William Bradford, Eloïssa Florez, Alexandre Guégan
Internetbenutzer aus der ganzen Welt schließen sich zusammen und bevölkern einen virtuellen Staat. Also kein zweites Facebook, kein soziales Netzwerk, sondern eine virtuelle Basisdemokratie. Zunächst bemüht man sich um harmlose Weltverbesserungsaktionen, doch die Sache entwickelt eine gewisse Eigendynamik und als 8th Wonderland in die Weltpolitik eingreift, ist es nur eine Frage der Zeit, bis den "Bürgern" die Sache über den Kopf wächst ...
KRITIK:Als ich den Trailer zu diesem kleinen Filmwunder sah, traute ich meinen Augen nicht. Ein Undergroundfilm, der mir verdammt noch einmal eine meiner besten Ideen geklaut (und noch dazu verbessert) hat, die Gründung eines neuen Staates, auf virtueller Basis, ein Lebenszeichen einer Gruppe von motivierten, mündigen und politischen Wesen. Als dann noch am Ende des Trailers "No fucking Sponsors!" in großen Lettern prangte, dachte ich mir: Jetzt sind die Revolutionäre unter den Franzosen endgültig verrückt geworden, oder aber in der Gegenwart angekommen.
Auch wenn manche Menschen daran zweifeln, so ist doch das Kino eines der mächtigsten Medien, wenn es darum geht Ideen zu verbreiten. Das Hollywoodkino leisten in den arabischen Staaten mehr als es jede Propagandamaschinerie könnte, wobei man sich dann natürlich auch fragen möchte, wer Jerry Bruckheimers Filme wirklich finanziert. Das Kino als Instrument zur Beeinflussung der Massen zu missbrauchen ist eine "Kulturtechnik", derer sich schon Propagandaminisiter Goebbels bedient hat.
Da ist es natürlich nett, dass Gruppierungen wie das "Unsichtbare Komitee" Flugschriften mit eindringlichem Titel wie "Der kommende Aufstand" herausgeben und zu Linksterrorismus und Anarchismus (im politischen Sinn) aufrufen (und damit in Frankreich etwa ähnlich hohe Wellen geschlagen haben wie Sarrazin in Deutschland), aber wie viel sie damit wirklich erreichen, bleibt ungewiss. Ein Buch stellt man in den Schrank und liest das nächste. Die Macher von 8th Wonderland haben nicht nur den Werbefilm für ihre Bewegung gedreht, sie haben auch gleich die Homepage dazu ins Netz gestellt und sie sieht genau so aus wie im Film, sogar ihre Verfassung haben sie beigefügt. Aber ob sich der Zuckerberg jetzt warm anziehen muss, sei mal dahingestellt.
Aber kommen wir zum Film, der natürlich selbst niemals so interessant sein kann, wie das ganze Phänomen an sich. Trotzdem ist er erstaunlich gut gelungen. Die Handlung hat Hand und Fuß, von Propaganda kann keine Rede sein, weil er durchaus die Schattenseiten einer solchen Bewegung aufzeigt. Basisdemokratie schön und gut, aber wie sagte schon Bruno Kreisky: Die Basis ist primär reaktionär. Ein paar Demonstrationen zu organisieren oder Kondomautomaten aufzuhängen ist eine Sache, aber eine wütende Masse über ein Attentat an Politiker (auch wenn er korrupt ist) abstimmen zu lassen, das wird dann schon ein wenig fragwürdig und ist bei weitem nicht die extremste Aktion, die "8th Wonderland" zu bieten hat.
Zweitens kann man dem Film sicher nicht vorwerfen naive Sozialromantik zu betreiben. Erstens gibt sich dieser Versuch erstaunlich selbstbewusst, die Macher wissen genau was sie da tun und das ist trotz aller Ausgewogenheit nicht immer politisch korrekt und korrumpiert deren Ideale natürlich dadurch. Andererseits wird hier auch erstaunlich viel durch Ironie gebrochen. 8th Wonderland schreckt also nicht davor zurück, sich die Hände schmutzig zu machen trotz politischer Botschaft von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Faszinierend ist auch die Hellsichtigkeit des Filmes. Irgendwie fallen einem einem da schon die Wikileaks ein. Onlinebeeinflussung der Weltpolitik. Und, dass im Film auch noch ein selbsternannter Botschafter mit bezeichnendem Namen John McClane auftaucht und sich als neuer Revolutionär feiern lässt, als Createur von 8th Wonderland ausgibt, gemahnt in beinahe gespenstischer Weise an Cyberché Julien Assange, aber bevor den irgendwer auch nur erahnen, ich will nicht einmal kennen sagen, konnte.
Aufstieg und Fall dieses "Staates" oder sollte man besser "dieses Hypes" sagen, inklusive gewollter Parallelen zur Wirklichkeit, werden durchaus gekonnt geschildert, elegante Steadycamfahrten und reichlich Spannungsbögen lassen zu (fast) keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen. Das ist bei Undergroundfilmen keine Selbstverständlichkeit. Da waren Leute am Werk, die durchaus Profis auf dem Gebiet der Dramaturgie und der Technik sind, und gar nicht einmal zu verbergen versuchen, dass sie auch viel von Hollywood gelernt haben.
Trotzdem hat der Film auch seine Schwachstellen, die man ihm aber sicher verziehen kann. Dass man in 105 Minuten eine gewisses Maß an Komplexität nicht überschreiten kann ist klar. Die wohl größere Schwäche liegt in den Charakteren, die nur als politische Wesen geschildert werden. Das kann einigen Zusehern viel zu abstrakt sein, zumindest jenen, die selbst nicht so sehr an Politik interessiert sind. Ich nehme also an, dass diese Leute ohnehin nicht zur Zielgruppe gehören.
Alles in allem also ein sehr interessanter, trotz sehr geringen Budgets technisch sauber gemachter und relativ unterhaltsamer Film, der darüber hinaus aber einen ungemein innovativen politischen Ansatz für all diejenigen bietet, die verstanden haben, dass sich unsere Welt auf herkömmlichen Wege nicht mehr retten lässt, denn sonst wäre es vermutlich schon passiert, wenn ich das mal mutmaßen darf. Ob die Autorität einer anonymen Masse wirklich so erstrebenswert ist, ist natürlich fraglich, aber wieso wir statt dessen womöglich von der Autorität einer anonymen Minderheit gelenkt werden ebenso. Der Film gibt erst im Abspann konkrete und somit naive Antworten und das ist gut so. Hoffentlich schadet dieser Kurs nicht dem sich bereits in Produktion befindlichen "9th Wonderland". Wir werden sehen.
Was ist 8th Wonderland? Sozialromantischer Wunschtraum, Korrektiv oder richtige Alternative? Ist eigentlich völlig egal. Es ist eine verdammt faszinierende Idee einen virtuellen Staat zu gründen, wenn man mit seinem politischen Glauben an die reale Welt abgeschlossen hat oder nach neuen Visionen für diese sucht. Dass die Erfinder des Konzeptes gleich noch einen (Propaganda/Werbe?) Film nachgelegt haben, ist eine feine Idee, und dass dieser Film vollkommen unabhängig, daher "ohne fucking Sponsors" finanziert wurde und trotzdem sehr unterhaltsam, witzig und technisch einwandfrei wurde, ist im Zeitalter von ähnlichen (finanzierten und ansehnlichen) Werken wie etwa Paranormal Activity oder Monsters vielleicht keine Überraschung, wohl aber immer wieder ein angenehmer Beweis, dass man gute und interessante Filme auch ganz ohne Geld drehen kann. Es lebe die globale digital-virtuelle Nouvelle Nouvelle Vague.
Zu sehen im Wiener Top-Kino und De France.